Elisabeth Holzleithner: Die Grundfeste des menschlichen Zusammenlebens

Während Faust die Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält, noch sorgenvolle Nächte bescherte, war sie für Elisabeth Holzleithner der Beginn einer lebenslangen Leidenschaft. Seit Oktober 2014 ist sie Professorin für Rechtsphilosophie und Legal Gender Studies an der Universität Wien.

Dabei stand die heutige Professorin zu Beginn ihrer Karriere noch selbst vor einem Dilemma, das viele StudienanfängerInnen kennen. Was soll man studieren? Was einem Spaß macht oder doch "etwas mit Zukunft?" "Ich hatte sehr überlegt, ob ich Philosophie studieren soll", beschreibt Elisabeth Holzleithner ihre damalige Situation. "Jus erschien mir aber als die pragmatischere Lösung, damit hätte ich einen konkreten Beruf."

Von der Berufsentscheidung zur Berufung

Pragmatismus hin und her, die Entscheidung stellte sich als goldrichtig heraus. Vor allem, weil sich Interesse und Berufsperspektive verbinden ließen. Am Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht der Universität Wien, das sie heute leitet, fand sie bald ihr "Zuhause". Mit ihrer Professur in Wien erfüllte sich die Wissenschafterin, die zuvor in Zürich als Gastprofessorin gelehrt und geforscht hat, einen "heimlichen Traum".

"Immer schon hab ich mir gedacht, ich möchte gerne etwas erforschen oder unterrichten. Nur habe ich als Kind noch nicht gewusst, dass es den Beruf der Universitätsprofessorin gibt", schmunzelt sie.

Ordnungen des staatlichen Zusammenlebens erforschen

Schon während des Studiums wollte sie einer grundlegende Fragen der politischen Philosophie auf den Grund gehen: "Wie wird ein Gemeinwesen, das u.a. durch das Recht geordnet wird, zusammengehalten?" In der Geschichte des Faches wurde diese Frage sehr unterschiedlich beantwortet – nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen Menschenbilder, die philosophischen (Staats-) Theorien zugrunde liegen. "Stellt man sich vor, dass die Menschen prinzipiell gut und rational zugänglich sind oder dass sie sich gegenseitig bedrohen?", veranschaulicht Elisabeth Holzleithner die verschiedenen Zugänge. Sie selbst interessiert sich in diesem Zusammenhang u.a. für die Analyse von Staatskonzeptionen sowie für Formen und Möglichkeiten des Zusammenlebens in multikulturellen und multireligiösen Gesellschaften.

Diskriminierung und Emanzipationspotenziale im Recht

Auch ihr zweites Schwerpunktgebiet stellte sich früh heraus, denn in der Rechtsphilosophie ihrer Studienjahre war das Thema "Geschlecht" weitgehend ein blinder Fleck. Wurden Frauen aus Rechtsphilosophien nicht explizit ausgeschlossen, wurden männliche Lebensverhältnisse und heterosexuelle Beziehungen einseitig als Norm gesetzt.

Dem entgegen verfolgt Elisabeth Holzleithner, wie Rechtsordnungen mit Fragen des Geschlechts und der sexuellen Orientierung umgehen und gleichzeitig auch andere Formen der Macht zum Tragen kommen.

Auch im Jahr 2015 ist die faktische Gleichstellung zwischen Männern und Frauen sowie zwischen Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung noch nicht erreicht. (Foto: Charles Hutchins/Flickr)

Ambivalentes Recht

Für die Rechtsphilosophin hat das Recht an sich einen ambivalenten Charakter: Einerseits gießt es Machtverhältnisse in Gesetzform – und verfestigt so Ungleichheit und Diskriminierung etwa zwischen Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung. Anderseits habe das Recht "das Potenzial, gesellschaftliche Verhältnisse zu verändern", erklärt Holzleithner, die sich auch im Anti-Sexismus-Beirat des Österreichischen Werberats engagiert. Möglichkeiten zur Veränderung sieht sie sowohl in der politischen Einflussnahme, als auch in strategischen Gerichtsprozessen, die die Umsetzung beispielsweise des Gleichheitsgebotes einklagen.

Vom 6. bis zum 8. Mai 2016 findet der 42. Feministische Juristinnentag erstmals an der Universität Wien statt. Elisabeth Holzleithner veranstaltet den FJT mit ihren Mitarbeiterinnen am Institut sowie mit dem Verein österreichischer Juristinnen. Nähere Informationen

Produktive Ablenkungen

Ursprung ihres jüngsten Forschungsschwerpunkts ist ihr liebstes Hobby. "Um vor mir selbst zu rechtfertigen, dass ich immer wieder Fernsehserien verfalle, habe ich begonnen, einzelne auf ihre rechtsphilosophischen und geschlechtertheoretischen Gehalte abzuklopfen", so die Wissenschafterin. "Manche Serien behandeln Themen der Gender Studies oder der Rechtsphilosophie auf spannende und populäre Weise, so dass in einer breiteren Öffentlichkeit darüber diskutiert wird."

Frauen im Gefängnis

Zuletzt hatte es ihr die US-Serie "Orange Is The New Black" angetan. Da sie Protagonistinnen unterschiedlichster sozialer und ethnischer Herkunft und sexueller Orientierung versammelt, ist sie gerade aus geschlechtertheoretischer Perspektive spannend.

Die Serie spielt in einem US-amerikanischen Frauengefängnis und holt damit weibliche Lebenswelten in die Öffentlichkeit, die dort sonst keinen Platz haben. Indem sie die Lebenssituationen der Protagonistinnen beschreibt, die diese ins Gefängnis geführt haben, differenziert sie das Bild der "Kriminellen" aus. "Orange Is The New Black" zeigt den Kreislauf der Kriminalisierung, denn wer einmal im Gefängnis war, hat Schwierigkeiten, "draußen" wieder Fuß zu fassen. "In den USA ist der Betrieb von Gefängnissen längst eine eigene Industrie geworden, die oft unter dem Schlagwort 'prison-industrial complex' thematisiert wird", erklärt Elisabeth Holzleithner.

Forschung und Lehre als lebendiges Miteinander

In ihrer Forschung profitiert die Rechtsphilosophin von ihrer jahrelangen Zusammenarbeit mit internationalen ForscherInnen ihrer und anderer Disziplinen. Schon als Leiterin des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht liegt ihr daran, die internationale Vernetzung "ihres" Instituts in Zukunft weiter auszubauen.

Auch von Studierenden bekommt Holzleithner immer wieder Input, den sie nicht missen möchte. "Für mich bedeutet Universität Kontakt, Diskussion, Auseinandersetzung – einen Denkweg gemeinsam gehen", erklärt sie. Freude und kritisches Argumentieren gehören für sie genauso zur Lehre wie das Fachwissen selbst. "Lehre soll ein offener Raum sein, der konzentriert ist, aber auch heiter. Eine Lehre ohne Lachen finde ich – nun ja, traurig", lacht sie.

Univ.-Prof. Dr. Elisabeth Holzleithner ist seit Oktober 2014 Professorin für Rechtsphilosophie und Legal Gender Studies an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Sie hält am Donnerstag, den 3. Dezember 2015 um 17 Uhr ihre Antrittsvorlesung zum Thema "Dimensionen des Politischen" im Großen Festsaal der Universität Wien. Mit auf dem Programm stehen die Antrittsvorlesungen von Univ.-Prof. Dr. Alexander Somek über "Zwei Welten der Rechtslehre und die Philosophie des Rechts" sowie von Univ.-Prof. Dr. Clemens Jabloner zum Thema "Der Sachverhalt im Recht".