Alexander Somek: Den rechtswissenschaftlichen Denktraditionen auf der Spur

Für die nächsten Jahre hat Alexander Somek Großes im Sinn: Er möchte nicht eine, sondern am besten DIE Rechtstheorie schreiben. Dafür nimmt er einiges auf sich, etwa Expeditionen durch 200 Jahre Rechtsphilosophiegeschichte sowie die "Mission", zwischen nationalen Denktraditionen zu vermitteln.

Eigentlich ging es Alexander Somek ja gut am College of Law der University of Iowa, an dem er die letzten zwölf Jahre verbrachte. Wär da nicht etwas Entscheidendes zu kurz gekommen: die Möglichkeit, dem Recht philosophisch hinter die Kulissen zu schauen.

"An amerikanischen Universitäten hat die Vermittlung berufspraktischen Wissens heute den größten Stellenwert. Aber ich möchte ja die Welt verstehen! Da es an der Universität Wien einen Lehrstuhl für Rechtsphilosophie gibt, wollte ich gern an meine Alma Mater zurückkehren", erklärt der Rechtswissenschafter, dem gerade die Theorieentwicklung ein Anliegen ist.

Transatlantischer Forschungsalltag

Gesagt, getan – im August dieses Jahres trat er die Professur für Rechtsphilosophie und Methodenlehre der Rechtswissenschaften an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien an. Mit dieser war er auch nach seinem Studium verbunden geblieben: Obwohl es ihn nach der Promotion zunächst an verschiedene US-amerikanische Universitäten, später auch nach Sydney und Berlin verschlug, schaute er doch immer wieder für Forschungs- und Lehraufenthalte an "seiner" Universität vorbei.

So ein "transatlantischer Lebensweg" habe Auswirkungen auf die Forschung. "Ich bin mit den rechtsphilosophischen Diskursen in den USA und in Europa vertraut", erläutert er. "In den kommenden Jahren möchte ich diese stärker miteinander ins Gespräch bringen" – sei es durch seine Forschungsarbeiten oder den Ausbau der internationalen Ausrichtung des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht der Universität Wien, dessen stellvertretender Leiter Alexander Somek ist. Seine guten internationalen Kontakte machen es möglich.

Eine ganz neue Rechtstheorie

Dabei ist Übersetzungsleistung gefragt, denn die Denktraditionen lassen sich nicht nahtlos unter einen Hut bringen. "In Europa war der Denkstil etwas weniger analytisch als in den USA, dafür behielt man stärker den Blick für das große Ganze", fasst der Wissenschafter zusammen.

In seiner Arbeit versucht Somek also, die unterschiedlichen Denktraditionen zu verknüpfen. Aber für sein Vorhaben, das rechtstheoretische Standardwerk der kommenden Jahre zu verfassen, sind auch Zeitreisen in vergangene Epochen des deutschsprachigen rechtswissenschaftlichen Denkens vonnöten.

Wie schon sein "geistiger Urahn" Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) studiert Alexander Somek die Transformationen des Denkens. (Bild: Wikimedia Commons)

Veränderungen rechtswissenschaftlichen Denkens

Herrschte im 19. Jahrhundert noch die Anschauung vor, dass sich jedes noch so komplexe juristische Problem mit Hilfe der Logik lösen lasse, wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert stärker der politisch-moralische Anteil an juristischen Entscheidungen hervorgehoben. So müssen Richter in gerichtlichen Streitfällen häufig zwei zu schützende Rechtsgüter gegeneinander abwägen – die öffentliche Sicherheit gegen die Versammlungsfreiheit etwa. In solchen Situationen haben Entscheidungen immer auch eine persönliche Färbung.

Derartige Paradigmenwechsel von einer theoretischen "Epoche" zur nächsten waren im 20. Jahrhundert häufig. "Sie waren Versuche, eine in die Krise geratene Rechtswissenschaft zu retten – brachten aber eigene Probleme mit sich, die sie erst recht in die Krise führten", erklärt der Rechtsphilosoph.

Zu den Forschungsinteressen Alexander Someks gehören Ländergrenzen, die in der globalisierten Welt rechtsphilosophisch neu durchdacht werden müssen. (Foto: Kecko/flickr)

In der permanenten Luxuskrise

Ziel seiner Forschung ist es, "ein alternatives Verständnis des Rechtsdenkens zu entwerfen, das die historischen Standpunkte aufgreift" – ergo: eine Rechtstheorie zu entwickeln. "Mein Leben ist eine einzige kleine Identitätskrise zwischen Jurist- und Philosoph-Sein. Was für ein Luxus!", schmunzelt er.

Und in diesem schwelgt er auch in seinen anderen Forschungsaktivitäten. Ganz tagesaktuell sind Grenzen und Migration ein wichtiges Thema für den Wissenschafter. Denn im Zuge der immer rasanteren Globalisierung geraten Grenzen unter Legitimationsdruck – damit sind sie für rechtsphilosophische Auseinandersetzungen besonders interessant.

Zum Philosoph-Sein gehört Engagement. Alexander Somek hier bei einer Demonstration im Jänner 2011 gegen die Politik des Republikanischen Gouverneurs Walker im State House von Wisconsin in Madison. (Foto: Sabine Somek)

Lebensnähe mit Methode

Seine Überlegungen überführt er in die Lehre, in der es ihm Spaß macht, Studierende in sein lebensnahes Fach einzuführen. "RechtsphilosophInnen", so Somek, "beschäftigen sich mit den Fragen, die unser Leben in dieser Gesellschaft betreffen – ein schöner Beruf!" Wichtig ist es ihm, die Studierenden zu begeistern und ihnen das notwendige juristisch-methodische Handwerkszeug mitzugeben.

Neben der Philosophie, die für ihn nicht nur Arbeit, sondern auch Freizeitvergnügen ist, liebt er klassische Musik, so dass er selbst ein Lied von den akustischen Qualitäten oder Mängeln der Wiener Konzertsäle singen könnte. Wie er verrät, wäre er in einem anderen Leben gerne auch noch Komponist geworden – aber was nicht ist, kann ja noch werden. (jr)

Univ.-Prof. Dr. Alexander Somek ist seit August 2015 Professor für Rechtsphilosophie und Methodenlehre der Rechtswissenschaften an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Er hält am Donnerstag, den 3. Dezember 2015 um 17 Uhr seine Antrittsvorlesung zum Thema "Zwei Welten der Rechtslehre und die Philosophie des Rechts" im Großen Festsaal der Universität Wien. Mit auf dem Programm stehen die Antrittsvorlesungen von Univ.-Prof. Dr. Elisabeth Holzleithner über "Dimensionen des Politischen" sowie von Univ.-Prof. Dr. Clemens Jabloner zum Thema "Der Sachverhalt im Recht".