Daniel Tröhler: "Gegebenes in Frage stellen"
| 13. Juni 2018Nationalliteratur, vaterländische Geschichte oder heimische Geographie: Im Durchlaufen der Schule lernen SchülerInnen "eigene" von "fremden" Symbolen zu unterscheiden. Das Verhältnis von nationaler Identität und Bildungssystem ist Forschungsgegenstand von Uni Wien Bildungswissenschafter Daniel Tröhler.
"R" oder "Rrr": Als Kind wurde ihm ein Sprachfehler attestiert, der nach Meinung der Lehrkräfte Nachhilfe bedurfte, erinnert sich Bildungswissenschafter Daniel Tröhler an seine früheste Schulzeit in der deutschsprachigen Schweiz zurück. Dass er bilingual aufgewachsen war, seine ersten Lebensjahre nur Französisch gesprochen hatte und seine Artikulation aus allein diesem Grund "anders" anmutete, wurde von den LehrerInnen wenig berücksichtigt. An seinen vermeintlichen Sprachfehler denkt Tröhler heute mit einem Lächeln zurück, was ihn aber noch immer beschäftigt: Die Konstruktionen von Normen, Normalem und Nationalismus im Bildungsbereich.
National literacy
"Ich gehe davon aus, dass die Schulen mit ihren Inhalten und ihrer Organisationsform dazu beitragen, dass SchülerInnen eine 'national literacy', also eine Empfänglichkeit für nationale Symbole und Identitäten, entwickeln. Von der Vermittlung vaterländischer Geschichte bis zur Nationalliteratur in der Nationalsprache: SchülerInnen lernen im Durchlaufen der Schule, nationale Attribute zu erkennen und sie von 'anderen' bzw. 'fremden' zu unterscheiden", so die Arbeitsthese, die Bildungswissenschafter Tröhler in den nächsten Jahren beschäftigen wird.
Beim Übertritt vom Kindergarten in die Primarschule 1965 wurde Daniel Tröhlers "Sprachfehler" entdeckt. (© privat)
Verstehen statt dozieren
Zu Beginn seiner Studienzeit war der Schweizer Wissenschafter von der Idee beseelt, etwas zu verändern. Tröhler studierte Pädagogik, Psychologie und Publizistik, sein Herz aber schlug für das Theater. Er wechselte zwischen Bühnen und Hörsaal, ehe er 1988 promovierte und sich 2002 an der Universität Zürich habilitierte. Seinen Moralismus von damals hat er hinter sich gelassen: "Ich möchte die Verknüpfung des Raison d'Être eines Nationalstaates und seines Bildungssystems sichtbar machen, nicht aber dozieren, was für eine etwaige Überwindung zu tun ist."
Normalitätsvorstellungen aufbrechen
Was ihm beim Verstehen hilft: in unterschiedliche Wissenschaftskulturen eintauchen und das so oft wie möglich. Er forschte unter anderem an der Universität Chicago, lehrte an der Universität Luxemburg und war Gastprofessor im finnischen Oulu und im spanischen Granada, ehe er im Jänner 2017 mit einer Professur für Allgemeine (Systematische) Pädagogik an das Institut für Bildungswissenschaften der Universität Wien kam. Seit zehn Jahren nimmt er an einer internationalen DoktorandInnenschule – zusammen mit PartnerInnen aus Stanford und Madison/Wisconsin – teil. "Get on the road" ist auch der Rat, den er seinen Studierenden erteilt: "Die Begegnung mit Anderen lässt uns die eigene Gewachsenheit erkennen und als Gegebenes, Vorausgesetztes in Frage stellen."
Von einer lebenswerten Stadt in die andere
Daniel Tröhler zieht es dahin, wo das Leben gut ist: Zürich und Wien führen die Rankings der lebenswertesten Städte seit Jahren an. An seinem neuen Arbeitsplatz schätzt er die unterstützenden Forschungsbedingungen, die internationalen Studierenden, mit denen sich produktiv arbeiten lässt, und die Lage der Universität Wien als internationalen Forschungshub im Herzen Europas. Außerhalb seiner akademischen Tätigkeiten genießt er den österreichischen Wein und die vielen Schauspielhäuser in Wien – allerdings nur zum Zuschauen. "Ganz habe ich das Schauspielen aber nicht an den Nagel gehängt. Ich bin nach wie vor künstlerischer Leiters eines kleinen Theaters – in der Schweiz." (hm)
Daniel Tröhler ist seit Jänner 2017 Professor für Allgemeine (Systematische) Pädagogik am Institut für Bildungswissenschaften der Universität Wien. Am Donnerstag, 21. Juni 2018, hält er um 17.30 Uhr im Kleinen Festsaal im Rahmen des Dies Facultatis seine Antrittsvorlesung "Internationale Provokationen an nationale Denkstile in der Erziehungswissenschaft". Einladung zur Antrittsvorlesung (PDF)