"Schreiben ist erlernbar"

Wie schreibe ich eine Seminararbeit? Was kann ich an meinem Text verbessern? Für diese und andere Fragen bietet das Center for Teaching and Learning (CTL) der Universität Wien Schreibmentoring zum Aufbau akademischer Schreibkompetenzen an. Das Motto lautet: Von Studierenden für Studierende.

uniview: Frau Kuntschner, Sie sind Schreibtrainerin und arbeiten am Center for Teaching and Learning (CTL), wo Sie das Schreibmentoring betreuen. Mein Deutschlehrer sagte in der Schule immer: Entweder man kann schreiben, oder eben nicht. Was sagen Sie dazu? 
Eva Kuntschner: Schreiben ist definitiv erlernbar. Im deutschsprachigen Raum ist allerdings nach wie vor der Geniegedanke vorherrschend. Das ändert sich zwar aktuell, indem etwa der Schreibunterricht an Schulen ausgeweitet wird, aber nur sehr langsam. Die prozessorientierte Schreibdidaktik, die unseren Hintergrund am CTL bildet, geht davon aus, dass Schreiben ein Skill ist, den man erwerben kann. Natürlich heißt es nicht, dass alle Menschen der nächste Goethe oder die nächste Bronte werden können, aber das ist auch nicht der Anspruch. Es geht uns darum, Schreibentwicklungen zu unterstützen und zu fördern. 

Eva Kuntschner (li.) und Brigitte Römmer-Nossek arbeiten am Center for Teaching and Learning (CTL) und sind u.a. für das Schreibmentoring zuständig. Im letzten Semester wurden insgesamt 220 Studierende aus 26 Studienrichtungen betreut, Tendenz steigend. (Foto: Universität Wien)

uni:view: Sollte man nicht davon ausgehen, dass Studierende "schreiben können"?
Kuntschner: Die Annahme, dass Studierende umso besser schreiben können, je weiter sie im Studium voranschreiten, kann ich eindeutig widerlegen. Die Probleme sind, egal in welchem Semester, eigentlich immer dieselben. Als erfahrene Schreibende und Schreibender eignet man sich idealerweise im Laufe der Zeit unterschiedliche Schreibstrategien an. Eine E-Mail schreibe ich anders als einen Artikel oder eine Doktorarbeit. Mit zunehmender Übung kommt ein immer größeres Repertoire zusammen, aber dennoch kommen immer wieder neue Situationen. Unser Ziel ist es nicht, perfekt selbstoptimiert Schreibende auszubilden, sondern es geht um die Erweiterung des "Strategie-Repertoires". Dazu gehört es auch zu lernen, wie ich mit Problemen umgehe, an wen ich mich wenden kann und wo ich mir Unterstützung holen kann. Damit ich nicht das Gefühl bekomme, eine Lehrveranstaltung sofort "schmeißen" zu müssen, wenn etwa Schreibblockaden auftreten. Es gibt ein berühmtes Zitat des irischen Schriftstellers Oscar Wilde:

If you cannot write well
you cannot think well;
if you cannot think well
others will do your thinking for you.


Deswegen ist es wichtig, das Schreiben auch an der Universität zugänglicher und sichtbarer zu machen, indem wir die Schreibgruppen anbieten.

uni:view: Was passiert beim Schreibmentoring? 
Kuntschner: Beim Schreibmentoring werden Bachelorstudierende ab dem zweiten Semester von älteren, bei uns als SchreibmentorInnen ausgebildeten Studierenden unterstützt. Dabei geht es um die Vermittlung von Recherche-, Lese-, Schreib- und Überarbeitungsstrategien, aber beinhaltet auch eine starke soziale und sozialisierende Komponente, die uns ebenfalls sehr wichtig ist. In Österreich und anderen europäischen Ländern ist es so: Es wird eine Schreibaufgabe gestellt und jede bzw. jeder schreibt für sich allein. Auch aus eigener Erfahrung kann ich aber bestätigen: Das Schreiben in der Gruppe ist wirklich sehr effektiv.

Termine
Eine Teilnahme an den Schreibmentoring-Gruppen ist ohne Anmeldung möglich. Alle Termine für die jeweiligen Institute im Wintersemester 2017 gibt es hier. (Foto: Pixabay / CC0 1.0)

uni:view: Wieso ist es notwendig, solche Kurse anzubieten? Sollten die Studierenden das Schreiben nicht in den Lehrveranstaltungen lernen?
Kuntschner:
Schreiben ist eine Fertigkeit, so wie etwa das Spielen eines Musikinstruments. Es dauert lange, bis man es kann. Wir können nicht erwarten, dass Studierende eine Lehrveranstaltung besuchen und sofort schreiben können. Meist zeigen sich die "Früchte der Arbeit" sowieso erst zwei bis vier Semester später. Natürlich, der Peerzugang ist wichtig. Für Studierende ist es gewinnbringend, sich mit anderen Studierenden auszutauschen und von ihnen zu lernen. Den Lehrenden gegenüber herrscht eine gewisse Hierarchie, die es im Schreibmentoring so nicht gibt. Wir hatten jüngst den Fall, dass ein Mentee peinlich berührt zu seinen SchreibmentorInnen kam und sagte, er studiere im vierten Semester und wisse dennoch nicht, wo die Bibliothek ist. So etwas traut man sich Lehrende nicht zu fragen, andere Studierende hingegen schon. Schreibmentoring soll die Lehrenden entlasten und gleichzeitig Studierende unterstützen.

uni:view: Neben Schreibwerkstätten mit Fokus auf Abschlussarbeiten ist etwa ein anderer Schwerpunkt das Mehrsprachige Schreiben (DaF/Z)…
Kuntschner:
Wir bemühen uns sehr, diversitätsorientiert zu arbeiten. Das betrifft sowohl Studierende mit nichtdeutscher Erstsprache als auch jene aus bildungsfernen Haushalten. Wir möchten eine Anlaufstelle sein, zu der Leute einfach hingehen und Dinge fragen können, wie etwa bezüglich der Verwendung von Deutsch als Wissenschaftssprache. Hier helfen uns SchreibmentorInnen aus dem MA-Studium Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (DaF/Z), die Studierende mit einer anderen Erstsprache bei Unsicherheiten beim Umgang mit Deutsch als Wissenschaftssprache unterstützen.

SchreibmentorIn werden
Du hast Spaß am Schreiben und an der Arbeit mit anderen Studierenden? Dann bewirb dich als SchreibmentorIn am Center for Teaching and Learning. Der nächste Call erfolgt im November/Dezember. Die Ausbildungskurse finden in der vorlesungsfreien Zeit statt. (Foto: Universität Wien)

uni:view: Gibt es so etwas wie "die drei wichtigsten Zutaten für korrektes wissenschaftliches Schreiben"?
Kuntschner: Jeder Schreibprozess ist individuell. Diesen Satz hören meine Studierenden wohl am häufigsten in meinen Kursen (lacht). Ich kann und möchte es also nicht pauschalisieren. Sonst ginge es wieder um die Vorstellung von "fix it", also die Idee, dass etwas mit mir nicht stimmt, wenn ich es nicht so schaffe wie erwartet. Als prozessorientierte Schreibdidaktikerin geht es mir darum zu vermitteln, wie Studierende mit sich und ihren Lebensvoraussetzungen umgehen können, um das zu tun, was sie zu tun haben.

uni:view: Ein wichtiger Aspekt in Ihren Kursen ist auch das Geben und Erhalten von Feedback – inwiefern ist das beim Schreiben relevant?
Kuntschner: Feedback ist zur Förderung der Schreibentwicklung extrem wichtig. Hierbei geht es nicht um Korrektur, sondern darum, Feedback so zu formulieren, dass es stärkt und fördert. Schreibentwicklung braucht Zeit. Zu lernen, dass man nicht nur für sich selbst schreibt, sondern immer auch für ein Gegenüber. Dabei helfen die Schreibgruppen: Man sitzt zusammen, liest das Geschriebene vor und redet darüber, ob es von den anderen verstanden wurde oder wo noch Verbesserungsmöglichkeiten schlummern. Dadurch wird das Gefühl des "Gegenüber" greifbar, und außerdem macht es auch noch Spaß.


uni:view: Was reizt Sie persönlich an der Arbeit im CTL? 
Kuntschner: Schreiben zu unterrichten bzw. Menschen zu SchreibmentorInnen auszubilden ist eine schöne Arbeit. Weil es darum geht, Menschen dabei zu unterstützen, ihre Gedanken formulieren zu können. Wir hören nachher von den Studierenden oft Sätze wie "ich fürchte mich nicht mehr vor meinem Computer" oder "Schreiben macht mir wieder Spaß". Die Hilfe zur Selbsthilfe, die wir anbieten, empfinde ich als eine tolle Sache. 

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (mw)