Zwischen den Zeilen lesen
| 23. Mai 2014Geheimschriften und Codes sind der Gesellschaft nicht erst seit der Whistleblower-Affäre um Edward Snowden ein Begriff. LiteraturwissenschafterInnen der Universität Wien entschlüsseln Geheimcodes im spanischen Barocktheater des 17. Jahrhunderts.
Ein Herzoghof in Italien. Hofdame Laura und Sekretär Frederico wollen über ihre Liebe sprechen. Dies soll aber einer Reihe von umstehenden Personen verborgen bleiben. Kurzerhand erfinden die beiden eine Geheimsprache und beweisen größtes Geschick in der Stegreif-Verschlüsselung von Sätzen. Dabei schaffen sie es, ein raffiniertes Verwechslungsspiel in Bewegung zu halten. Das Theaterstück rund um diese barocke Geheimniskrämerei von Pedro Calderón de la Barca begeisterte nicht nur das spanische Publikum des 17. Jahrhunderts, es erfreute auch 1671 Kaiser Leopold I. und seine spanische Gemahlin Margarita Teresa am Hofe der Habsburger in Wien.
Vom Lehr- zum Forschungsprojekt
Im Rahmen eines Lehrprojekts am Institut für Romanistik der Universität Wien haben Wolfram Aichinger und Simon Kroll im Jahr 2010 das etwas in Vergessenheit geratene Stück "El secreto a voces" ("Das laute Geheimnis") aus der Schublade geholt und gemeinsam mit Studierenden aufgeführt. Aus dem Projekt innovativer Lehre ist schließlich das Buch "Laute Geheimnisse" hervorgegangen. Nicht zuletzt aufgrund dieses Erfolgs haben Aichinger und Kroll beschlossen, sich weiterhin dem facettenreichen Werk des Spaniers zu widmen und dazu erfolgreich ein FWF- und OeNB-Projekt eingereicht. "Schon der Titel des Theaterstücks erscheint zweideutig – zum einen bedeutet er übersetzt 'lautes Geheimnis', zum anderen beschreibt er aber auch den Geheimcode, um den sich das ganze Stück dreht", erzählen die Forscher.
Die Kommunikation des Liebespaars in Calderóns "El secreto a voces" gestaltet sich als recht schwierig. Um einander ihre Liebe kund zu tun, nutzen Frederico und Laura einen Geheimcode. Ein Zeichen mit einem Taschentuch signalisiert den Beginn der Geheimbotschaft: Das erste Wort in jedem neuen Vers ergibt dabei schließlich die verborgene Nachricht.
Betrachtet man so die ersten Wörter des folgenden Absatzes:
Flerida, – in deren Graben
Hat – der Himmel sich verändert
Kunde, – wie mein Herz dich ehrt,
Schon – vorlängst musst du sie haben
lässt sich folgende Botschaft ablesen: "Flerida hat Kunde schon."
Internationale Kooperation
Die Romanisten Wolfram Aichinger (Projektleiter) und Simon Kroll (Projektmitarbeiter) bilden das Kernteam im laufenden FWF- und OeNB-Projekt, in dem sie eng mit ForscherInnen der Universitäten Navarra in Pamplona und Santiago de Compostela zusammenarbeiten. Die spanischen ProjektpartnerInnen, Fernando Rodriguez-Gallego und Alicia Vara, sind auf den spanischen Barock spezialisiert, was sie mit ihren kritischen Editionen und Fachartikeln belegen können. "Wir sind hier mit den weltweit besten Calderón-ExpertInnen in Kontakt" freut sich Kroll über die internationale Kooperation, in deren Rahmen mehrere Monographien sowie eine Reihe von Fachartikeln entstehen sollen.
Für das erste Buchprojekt, bei dem es sich um eine kritische Edition "Secreto a voces" handelt, befassen sich die drei Forscher eingehend mit Originalhandschriften (sogenannten Autographen) Calderóns. Ein Novum, da diesen, obwohl verhältnismäßig zahlreich erhalten, bis jetzt zu wenig wissenschaftliche Beachtung geschenkt wurde. "Im Laufe unserer Recherchen konnte, in Zusammenarbeit mit Andrea Sommer-Mathis und José María Viña Liste, auch die verloren geglaubte Druckfassung der Aufführung am Wiener Hofe in Cesky Krumlov, nahe der österreichischen Grenze, wiederentdeckt werden", erklärt Simon Kroll.
Entdecken, aufdecken, zudecken
"Wir glauben, dass die öffentliche Inszenierung des Geheimen Teil der spanischen Barockkultur ist", so Kroll weiter. "Calderóns Werke sind ein gutes Beispiel dafür." Denn in vielen seiner Stücke finden sich besondere Metaphern zum Geheimnis, die letztendlich davon zeugen, dass Calderón durchaus ein sehr moderner Autor war. "Er hat eben die Logik des Geheimnisses sehr scharf durchschaut und lässt das seine Figuren immer wieder thematisieren" führt der Forscher weiter aus.
Ein Geheimnis ist dabei nicht einfach nur eine verdeckte Sache. Vielmehr stellt es sich als Information dar, die mit besonderen kommunikativen Regeln aufgeladen wird. Selbst wenn der Informationsgehalt negativ ist, benötigt es enorm viel Energie, das Geheimnis zu entdecken, aufzudecken, oder zuzudecken.
Der aus einer spanischen Adelsfamilie stammende Dichter Pedro Calderón de la Barca, dessen Büste auch die Fassade des Wiener Burgtheaters ziert, steht für den Höhepunkt des spanischen Barocktheaters. "Das laute Geheimnis" zählte neben "Das Leben ist Traum" zu seinen bekanntesten Stücken. (Foto: Wikipedia) |
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Inspiration für Goethe?
Bereits die ersten Ergebnisse bringen eine interessante These hervor. Nämlich, dass Calderón für Goethe ein Quell der Inspiration gewesen sein könnte. Schließlich verbindet beide Johann Diederich Gries, der nicht nur Calderóns Werke übersetzte, sondern auch Kontakt zu Goethe pflegte. Die Forscher kommen sogar zu dem Schluss, dass es durchaus wahrscheinlich ist, dass eine Flohgeschichte, die Mephisto in Goethes "Faust 1" (Auerbachs Keller) erzählt, aufgrund zahlreicher Ähnlichkeiten an "El secreto a voces" angelehnt ist.
Die Kultur der Geheimhaltung
Des Weiteren arbeitet die Gruppe an der Logik des Geheimnisses in sämtlichen Werken Calderóns. Aufgeschlüsselt werden unter anderem Metaphern, Geheimtechniken, Anagramme sowie Chiffren. Eine dritte Publikation, die im Rahmen des Projekts entstehen wird, beleuchtet das Thema aus kulturwissenschaftlicher Perspektive.
Im Zuge der Arbeiten ist etwa aufgefallen, dass Geheimhaltung sowohl in der Botschafter- und Sekretärskultur als auch in der häuslichen Kultur des Barocks ständig präsent war. "Die Technik und Kultur der Geheimhaltung hatten im 17. Jahrhundert doch eine besondere Dynamik", erklärt Kroll. Hier spielten nicht nur die Chiffrierung, sondern etwa auch die heiklen Transportwege der Nachrichten eine wesentliche Rolle, die die WissenschafterInnen nun erforschen. (sb)
Das FWF und OeNB-Projekt "Geheimnisse und Geheimhaltung in Calderons Komödien und im Habsburg-Spanien" unter der Leitung von Mag. Dr. Wolfram Aichinger vom Institut für Romanistik – Projektmitarbeiter ist Simon Kroll, BA MA – startete im November 2012 und läuft noch bis Ende Oktober 2015.
Konferenz: Calderón en su laboratorio: los manuscritos autógrafos y el proceso de escritura.
Zeit: Montag, 26. und Dienstag, 27 Mai 2014
Ort: Seminarraum "Alte Kapelle“, Hof 2.8, Spitalgasse 2, 1090 Wien
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