Warum Singen beim Sprachenlernen hilft

Wieso tun sich manche Menschen leichter bei der Aussprache einer Fremdsprache als andere? Vielen hilft ihr Gesangstalent weiter. Susanne M. Reiterer und Markus Christiner sind den Geheimnissen des Fremdsprachenlernens am Zentrum für Sprachlehr- und lernforschung der Universität Wien auf der Spur.

Ausgangspunkt ihrer Forschungen an der Universität Wien war ein aufwändiges Projekt an der Universität Tübingen, an dem Susanne Reiterer bis 2011 beteiligt war. Als Gruppenleiterin interessierte es sie, dass manche Menschen den Klang einer Fremdsprache mühelos imitieren können – während andere trotz langen Trainings Schwierigkeiten bei der Aussprache haben. In ihrer Untersuchung verband sie psychologische, neurologische und sprachwissenschaftliche Erkenntnisse und Testverfahren und erforschte ergebnisoffen die Faktoren, die den Erwerb von Fremdsprachen und die Aussprachefähigkeit bedingen.

Gesangsfähigkeit und Spracherwerb gehören zusammen

Mit ihren Resultaten im Gepäck kehrte die Wissenschafterin an ihre Alma Mater zurück, an der sie bereits ihr Doktoratsstudium absolviert hatte. Am Zentrum für Sprachlehr- und lernforschung der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät, das dem Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität Wien als Arbeitsbereich zugeordnet ist, findet sie für ihre interdisziplinären Forschungen einen geeigneten Rahmen.

Gemeinsam mit Praedoc-Sprachforscher Markus Christiner geht sie dem Zusammenhang von Aussprache- und Gesangsfähigkeit nach. Denn Menschen, die singen können, imitieren die Aussprache von FremdsprachlerInnen im Vergleich mit "Nicht-SängerInnen" wesentlich besser. Das Projekt profitiert sowohl von den vielfältigen Forschungs- und Arbeitsinteressen Susanne Reiterers zwischen Hirnforschung, Psychologie und Sprachwissenschaften als auch von jenen Markus Christiners. Der Sprachwissenschafter ist auch als Gesangslehrer und Musiker tätig.

SängerInnen toppen die MusikerInnen

In Sprachtests, in denen ProbandInnen nicht nur englische, sondern auch eine ihnen unbekannte Sprache (Hindi) wiedergeben mussten, ragten die noch in Tübingen beforschten SängerInnen mit ihrer guten Aussprache besonders heraus. Sie überholten sogar andere MusikerInnen, die nach aktuellem Erkenntnisstand Sprachen tendenziell besser imitieren als Nicht-MusikerInnen. "Wenn jemand singt, werden ähnliche Hirnareale angesteuert wie beim Sprechen" erklärt Susanne Reiterer dieses Phänomen. "Das gilt auch für die Sprachmotorik. Es gibt große Ähnlichkeiten in der Produktion von Sprache und Gesang." Für die ForscherInnen ist das Singen daher weniger mit der Musikalität als mit der Sprache verwandt.

Einige ihrer Forschungsergebnisse fassen Susanne Reiterer und Markus Christiner in ihrem Artikel "A Mozart is not a Pavarotti: Singers outperform instrumentalists on foreign accent imitation" zusammen, der online zugänglich ist.


Ähnlichkeiten als Vorteil

Ähnlich wie SängerInnen können auch InstrumentalmusikerInnen Töne, Tonfolgen und Aussprachen oft gut wahrnehmen und erinnern. Im Vergleich hapert es aber nicht am Hören von Ton und Sprache, sondern an der Wiedergabe: "Zwar haben etwa PianistInnen tolle rezeptive Fähigkeiten, aber einige Aspekte der Produktion von Sprache kommen beim Klavierspiel nicht zum Einsatz", erläutern die ForscherInnen.

Wo hilft das Singen weiter?

Dies sind nicht die einzigen Vorteile, die gute SängerInnen gegenüber anderen MusikerInnen oder sogar musikalisch ungeübten Menschen haben. Die WissenschafterInnen untersuchen sie im Detail, indem sie das Singen und Sprechen von Menschen, die mehr oder weniger begabt oder ausgebildet sind, einer ganzen Palette an linguistischen, musikwissenschaftlichen, psychologischen und neurologischen Tests unterziehen und mit bereits erhobenen Daten vergleichen.

Singen ist ja nicht gleich Singen: Ist es das Rhythmusgefühl, das die Aussprache verbessert, die Kreativität, die Stimme? "Besonders essenziell ist die Stimmqualität, die sich selbst erst nach jahrelangem Gesangsunterricht entwickelt," fasst Christiner den bisherigen Stand der gemeinsamen Forschung zusammen. "Diese macht zusammen mit dem Gefühl für Rhythmus und Melodie einen wesentlichen Unterschied aus."

Vom 1. bis zum 3. September nächsten Jahres organisiert das Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität Wien die Konferenz "10th International Conference on Multilingualism and Third Language Acquisition" der International Association of Multilingualism in Wien, zu der Susanne Reiterer als Key Note Sprecherin eingeladen ist. Nähere Informationen

Unterschiede zwischen Fremdsprachen

Derzeit erweitern die WissenschafterInnen ihre Untersuchungen auf eine Vielzahl an  Fremdsprachen, um ihre bisherigen Erkenntnisse auszudifferenzieren und zu testen. Dabei zeichnen sich bereits Unterschiede im Vermögen der ProbandInnen ab, die eine oder die andere Fremdsprache zu reproduzieren. Besonders Chinesisch bereitet deutschen MuttersprachlerInnen Kopfzerbrechen, wobei auch hier die Gesangsbegabten die Nase vorn haben. "Dieselbe Anzahl von Silben erscheint von der Akustik her auf Chinesisch länger als in einer anderen Sprache. SängerInnen können sich die Sprache aber räumlich vorstellen, Töne in Höhen und Linien denken und erinnern. Sie tun sich daher leichter", erklärt Christiner.

Sprachenlernen für NichtsängerInnen

Können schlechte SängerInnen angesichts dessen jemals auf einen grünen Zweig kommen? Schon, denn für die WissenschafterInnen ist das Erlernen der perfekten Aussprache einer Fremdsprache nicht nur eine Frage der Begabung als auch des Trainings. "Beide Faktoren zusammen bestimmen das Endprodukt. Ein Mittelmäßiger, der viel trainiert, kann auch mehr erreichen als ein Begabter, der nichts tut", erklärt Susanne Reiterer. Auf dieser Basis plädieren die ForscherInnen für eine gezieltere Förderung von Talenten in der Schule, die im Lehralltag häufig zu kurz kommt. (jr)

Das Forschungsprojekt "Song and Speech" sucht laufend nach ProbandInnen für weitere Forschungen. Interessierte werden gebeten, mit Markus Christiner, office@christiner.at Kontakt aufzunehmen.

Ass.-Prof. Mag. Dr. Susanne Reiterer, Institut für Sprachwissenschaft und Zentrum für LehrerInnenbildung, forscht gemeinsam mit Mag. Markus Christiner am Zentrum für Sprachlehr- und lernforschung der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien zu "Song and Speech – Sprache und Musikalität".