Eva Vetter: Mehrsprachigkeit ist gleich Mehrsprachigkeit. Oder?

Sprachen sind für Eva Vetter, seit September 2011 Professorin für Fachdidaktik und Leiterin des Fachdidaktischen Zentrums Sprachlehr- und -lernforschung, eine Lupe auf die Gesellschaft. Nach 15 Jahren paralleler Tätigkeit als Lehrerin und Forscherin widmet sich Vetter nun ganz der Wissenschaft.

Ein "unglaubliches Paradoxon" ist für Eva Vetter die unterschiedliche Handhabe von Mehrsprachigkeit: "Alle sind sich einig, dass Mehrsprachigkeit positiv ist, und es werden viele Anstrengungen unternommen, Kindern schon früh Sprachen beizubringen", so die Fachdidaktikerin: "Gleichzeitig werden Kinder, die von zu Hause aus bereits mehrsprachig sind, in Schulen immer noch 'einsprachig gemacht' bzw. nicht in ihrem Sprachrepertoire unterstützt."

Trennung aufheben

So ist es Eva Vetter ein wichtiges Anliegen, die Trennung von fremdsprachlicher Mehrsprachigkeit und der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit aufzuheben. "Das sollte im Rahmen eines umfassenden Lehr- und Lernkonzepts erfolgen", so die Fachdidaktikerin: "Da beide Seiten oft eigene Diskurse entwickelt haben, ist es für uns eine wissenschaftliche Herausforderung, sie wieder zusammenzubringen." Als Leiterin des neuen Fachdidaktischen Zentrums Sprachlehr- und -lernforschung möchte Eva Vetter das Bindeglied zwischen beiden Ansätzen stärken und Gemeinsamkeiten betonen.

Fremdsprache Französisch, Muttersprache Polnisch

Für Eva Vetter, deren wesentlicher Forschungsschwerpunkt auf Mehrsprachigkeit liegt, stellen Sprachen insgesamt eine Lupe auf die Sozialstruktur einer Gesellschaft dar. Das sieht man auch am Beispiel der FremdsprachenlehrerInnen, erzählt Vetter: "Nahezu ausnahmslos alle Französisch-Lehramtsstudierenden beherrschen Französisch als Fremd- und nicht als Mutter- bzw. Zweitsprache. Im Gegensatz zu vielen slawischen Sprachen, wo die Studierenden die Sprache als Zweit- oder Muttersprache beherrschen. Diese Studierenden bringen natürlich eine andere emotionale Bindung und andere Spracherfahrungen mit – was sich auf die zukünftigen Lehrkontexte auswirkt."

Im Zentrum der Fachdidaktik

Gleichzeitig mit der Professur für Fachdidaktik übernahm Vetter im September 2011 auch die Leitung des neu gegründeten Fachdidaktischen Zentrums Sprachlehr- und -lernforschung. "Unser erstes Jahr stand unter dem Motto 'Wissen teilen' – das natürlich nach wie vor gilt, erweitert um konkrete Forschungsprojekte im zweiten Jahr." Das Zentrum ist unter anderem am Projekt "MEVIEL" (mehrsprachig vielfältig) beteiligt, das sich darum bemüht, die Bildungschancen von MigrantInnen in Österreich nachhaltig zu verbessern. "Uns geht es darum, dass Erst- und Familiensprachen als Medien des Lernens genützt werden und gleichzeitig das vorhandene sprachliche Repertoire der MigrantInnen im Unterricht durch eine Didaktik der Mehrsprachigkeit gefördert wird", erklärt Vetter die Forschungsziele.

Die Unterstützung von FachdidaktikerInnen steht natürlich ganz oben auf der Liste des Zentrums. So konnte bereits die Lehrbuchsammlung an der FB Romanistik in Kooperation mit dem Institut umfassend erweitert werden. "Ab dem nächsten Semester stehen dort den LehramtskandidatInnen alle approbierten Lehrbücher für Französisch, Spanisch und Italienisch zur Verfügung", so Vetter: "Darauf sind wir wirklich stolz."

Von der Bretagne in die Forschung

Mit dem Berufswunsch Lehrerin studierte Eva Vetter Französisch und Geografie an der Universität Wien, doch die Wissenschaft reizte sie bereits nach Studienabschluss. Da sie die Bretagne in ihrer Zeit als Aupair kennen und lieben gelernt hatte, beschloss sie, vor Ort ihre Dissertation zu machen, in der sie sich inhaltlich mit dem Sprachenkonflikt zwischen Bretonisch und Französisch beschäftigte. "In der Bretagne wurde mir bewusst, dass Sprache zum politischen Akt werden kann, dass sie eine große soziale Komponente besitzt und in die Menschen eingeschrieben ist." Fasziniert von Forschung und Mehrsprachigkeit arbeitete sie nach ihrer Promotion 1993 die nächsten 15 Jahre sowohl als Lehrerin als auch als Wissenschafterin in Forschungsprojekten zu Textanalyse, Sprachkonflikt und Mehrsprachigkeit, u.a. im LINEE-Netzwerk. In ihrer Habilitationsschrift brachte sie 2008 ihre beiden beruflichen Aktionsfelder zusammen und befasste sich mit der Sprachenbewusstheit von SprachlehrerInnen.

Vollzeit-Wissenschafterin

Ein wenig gehen ihr die SchülerInnen schon ab, besonders ihre Lebendigkeit, gibt Eva Vetter zu, die seit dem Antritt ihrer Professur natürlich nicht mehr als Lehrerin arbeitet. Insgesamt sei sie unglaublich froh, das Fachdidaktische Zentrum von Null aufbauen zu können: "Die Universität Wien bietet ein wunderbares Feld für Kooperationen und ein sehr reiches Forschungsumfeld, an das wir anknüpfen können."

Vetter, die fast jeden Tag mit Zug und Klapp-Bike von Krems an den Campus der Universität Wien pendelt, hat ganz klare Vorstellungen, was sie den zukünftigen SprachenlehrerInnen vermitteln möchte: "Unbedingt die Lernenden ernst nehmen. Und dabei nie vergessen, dass Sprachen sehr tief gehen. Sie stellen einen wichtigen Teil des Selbst dar." (td)

Die Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Mag. Dr. Eva Vetter, Leiterin des Fachdidaktischen Zentrums der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät zum Thema "Sprachliche Bildung macht den Unterschied: Sprachen in schulischen Lehrkontexten" findet am Mittwoch, 13. Juni 2012 um 17 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien statt.