Schmetterlinge im Sommerschlaf

Viele Insekten überdauern die Wintermonate in Kältestarre – die Weibchen der Sardischen Ochsenaugen hingegen verschlafen den Hochsommer: Wird es zu heiß, verschwinden die Tagfalter wie von Zauberhand und tauchen erst im regnerischen September zum Eierablegen wieder auf. Wie diese Sommerruhe (Diapause) gesteuert wird, ist nur eine von vielen Fragen, die Andrea Grill stellt: Zum Beispiel hat die Biologin entdeckt, dass die sommerfaulen Falter hin und wieder mit Verwandten vom Festland "artfremdgehen". Die hybriden Nachkommen dieser natürlichen Kreuzung stehen im Zentrum ihres aktuellen Elise-Richter-Projekts.

Das Große Ochsenauge (Maniola jurtina) gehört zu den geographisch am weitesten verbreiteten Falterarten Europas. Im Juni kann man die rotbraunen Schmetterlinge – die Männchen unterscheiden sich von den Weibchen aufgrund der dunklen Duftschuppen an der Flügeloberseite – auch in österreichischen Blumenwiesen beobachten. Die drei nächstverwandten Maniola-Arten sind hingegen endemisch und leben jede auf einer anderen Mittelmeerinsel: M. nurag auf Sardinien, M. cypricola auf Zypern und M. chia auf der griechischen Insel Chios.

Natürliches Labor

Andrea Grill vom Department für Biodiversität der Tiere hat sich der Erforschung der sardischen Familie verschrieben. Ihr Lebensraum unterscheidet sich vor allem in einem Punkt von jenem der beiden anderen Inselendemiten: "Nur hier lebt die endemische Gruppe Seite an Seite mit der weit verbreiteten Festlandart M. jurtina", erklärt Grill. Die Biologin hat als erste entdeckt, dass es auf Sardinien zu einer Vermischung kommt: "Die Sardischen und die Großen Ochsenaugen paaren sich untereinander, wodurch eine dritte, hybride Gruppe entsteht."

Diese Hybridpopulation ist vor allem auf halber Höhe zwischen der Küste – dem "Hoheitsgebiet" der europäischen Art – und den hauptsächlich von den Inselschmetterlingen besiedelten Bergregionen zu finden. "Weil sie nur hier zusammenkommen oder weil sich die Hybriden auf dieses Habitat spezialisiert haben?", fragt sich die Schmetterlingsforscherin – für sie ist Sardinien ein "riesiges, natürliches Kreuzungslabor".

Überlebensfähige Hybriden?

Im Rahmen des Elise-Richter-Projekts verlegt Andrea Grill dieses Kreuzungslabor nun im Kleinformat nach Wien: In Kooperation mit dem Botanischen Garten der Universität Wien und dem Tiergarten Schönbrunn wird sie in den kommenden fünf Jahren Falter und Raupen sowie deren Futterpflanzen – verschiedene Gräserarten – züchten. Ist das Setting erfolgreich, bringt sie die verschiedenen Maniola-Arten zusammen, um den Prozess der Hybridisierung zu beobachten.

Darüber hinaus untersucht sie, wie die Tiere untereinander kommunizieren: "Allgemein gilt für Schmetterlinge, dass sich am liebsten gleich und gleich gesellt. Hier gilt es zu untersuchen, wie die Ochsenaugen ihre Artgenossen von anderen Faltern unterscheiden. Vielleicht senden die Männchen über die Duftschuppen einen Pheromon-Erkennungscode aus, der dem Weibchen nebenbei verrät, wie fit sein Gegenüber ist."

Dass die hybriden Falter besonders fit sind, glaubt sie hingegen nicht: "Vermutlich sind sie nicht einmal fruchtbar. Falls doch, könnte es allerdings sein, dass wir hier gerade die Entstehung einer neuen Art beobachten – live, sozusagen." Klären will die Forscherin das unter anderem mit genetischen Methoden: der Sequenzierung von DNA und anderen, sehr variablen genetischen Markern, genannt Microsatelliten, die die Verwandtschaft von Arten untereinander und die Ähnlichkeit einzelner Individuen innerhalb einer Population messen.

Evolution im Zeitraffer

Dazu muss sie zunächst einmal versuchen, den Sardischen Ochsenaugen ihren Sommerschlaf abzugewöhnen: "Ich möchte ja nicht drei Monate auf die Eierablage warten müssen", meint die Evolutionsforscherin, für die es wichtig ist, in kurzer Zeit möglichst viele Generationen heranzuzüchten. "Hier verwende ich spezielle Zuchtkästen, in denen sich die Temperatur regeln lässt."
 
Die Erfahrungen, die Grill beim Züchten sammelt, kommen auch den heimischen Tiergärten und Schmetterlingshäusern zugute: "Dort finden sich bisher hauptsächlich tropische Falter, weil sie leichter zu züchten sind als europäische", erklärt sie.

Sommerpause und Klimawandel

Im Zuge der Arbeit mit den Zuchtkästen will die Elise-Richter-Stipendiatin jene Mechanismen genauer untersuchen, die den Sommerschlaf der Weibchen regulieren: "Mich interessiert, inwiefern die Dauer der Diapause mit dem Wetter beziehungsweise der Temperatur zusammenhängt."

Zu erforschen, wie Tagfalter auf Temperaturveränderungen reagieren, ist besonders für Fragen des Klimawandels interessant: "Wenn es heißer wird, werden die Schmetterlinge zunächst einmal in höhere Lagen wandern. Vermutlich verlängert sich die Diapause – aber zu lang darf sie auch wieder nicht werden: Wenn die Raupen zu spät schlüpfen und kein Futter mehr finden, stirbt die Art aus", so Grill.

Oder es stellt sich heraus, dass die Sardischen Ochsenaugen sehr anpassungsfähig sind und bereits innerhalb weniger Generationen eine Überlebensstrategie entwickeln: "In jedem Fall wäre es gut, die Antwort auf diese Frage zu kennen", betont Andrea Grill: "Bisher gibt zu den möglichen Konsequenzen der Klimaerwärmung für Tagfalter nur Simulationsversuche: Mein Projekt ist das erste, das dies auch experimentell untersucht." (br)

Das FWF-Projekt "Hybridisierung in endemischen Tagfaltern" unter der Leitung von Dr. Andrea Grill vom Department für Biodiversität der Tiere wird im Rahmen des Elise-Richter-Programms gefördert und läuft von 2011 bis 2016.