Auf den Spuren politischer Nachkriegsliteratur
| 13. April 2011"Die österreichische Nachkriegsliteratur war weitgehend unpolitisch", so ein verbreitetes Vorurteil der Literaturgeschichtsschreibung. Günther Stocker und sein Team vom Institut für Germanistik hinterfragen diese Annahme und machen sich auf die Suche nach dem Politischen – konkret: den Diskursen des Kalten Krieges in der Literatur der Jahre 1945 bis 1966. Fündig werden sie zunächst eher am Rande des literarischen Geschehens: bei wenig bekannten AutorInnen, in nicht so renommierten Genres und eher unbeachteten Werken angesehener SchriftstellerInnen.
Das Ende des Kalten Krieges 1989 bedeutete für die Geschichtswissenschaft eine veränderte Quellenlage, zahlreiche Archive öffneten ihre Pforten. Das erzeugte eine neue Dynamik in den "Cold War Studies". Daran will nun auch die literaturwissenschaftliche Forschung anschließen. "Es gibt in unserem Bereich reichlich Nachholbedarf. Die österreichische Nachkriegsliteratur wird sehr polarisierend dargestellt: auf der einen Seite die traditionelle Linie konservativer AutorInnen, die teilweise schon vor dem Zweiten Weltkrieg publiziert haben, und auf der anderen Seite die experimentelle, der Avantgarde verpflichtete Literatur. Unter den Tisch fällt, dass es sehr wohl AutorInnen gab, die sich explizit mit zeitgenössischen, politischen Themen beschäftigt haben", so der Germanist Günther Stocker. Im Rahmen eines dreijährigen FWF-Projekts erforscht er die Diskurse des Kalten Krieges in der Nachkriegsliteratur gemeinsam mit Stefan Maurer und Doris Neumann-Rieser.
Literatur außerhalb des Kanons
Es sind nicht unbedingt Bücher aus renommierten Genres, in denen der Kalte Krieg eine Rolle spielt. So gehören etwa AutorInnen von Kriminalromanen nicht zum Kanon der österreichischen Literatur. Relevant sind aber auch Texte bekannter SchriftstellerInnen, die entweder entpolitisiert interpretiert oder als "mindere" Werke angesehen wurden. Wie Denkfiguren des Kalten Krieges in der Literatur aufgegriffen bzw. welche Bilder und Metaphern herangezogen werden, sind die zentralen Fragestellungen des Forschungsprojekts.
Darüber hinaus werden die Werke im Kontext der internationalen und nationalen Diskurse des Kalten Krieges verortet. Dieses Ziel wird auch durch zahlreiche Kooperationen – u.a. mit den Universitäten Stanford und Salzburg, der Wienbibliothek im Rathaus und der Historischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften – verfolgt.
Die Besatzungszeit im Unterhaltungsroman
Einer der interessanten Autoren am "Rande des Literaturbetriebs" war Reinhard Federmann. Er schrieb neben anspruchsvollen politischen Romanen auch Unterhaltungsliteratur, teilweise gemeinsam mit Milo Dor, und wirft darin einen scharfen Blick auf zeitgenössische Phänomene. "In den Thrillern von Federmann und Dor kommen beispielsweise die Menschenverschleppungen seitens der Sowjetbehörden vor, die während der Besatzungszeit ein dominierendes Thema in den österreichischen Medien waren, von denen aber heute kaum noch jemand etwas weiß", erzählt Stocker.
Erforscht werden auch die Werke des Schriftstellers Robert Neumann: Er flüchtete bereits 1934 ins Exil und ließ sich nach dem Krieg in der Schweiz nieder. 1946 beschrieb Neumann in "The children of Vienna" sehr hellsichtige Szenen: Etwa die rasche Verdrängung der NS-Vergangenheit durch die neuen Fronten zwischen Ost und West.
Kultureller Kalter Krieg
Warum so manche AutorInnen im Literaturbetrieb der Nachkriegszeit nie richtig Fuß fassen konnten, ist u.a. auch auf Hans Weigel und Friedrich Torberg zurückzuführen. Stocker bezeichnet die beiden Autoren und Literatur-/Theaterkritiker als "Protagonisten des Kulturellen Kalten Krieges in Österreich". Beide waren erklärte Antikommunisten, die in ihrer publizistischen Tätigkeit als Vermittler von Literatur auftraten. Sie förderten eine bestimmte Art von Literatur und verhinderten, was nicht in ihr Weltbild passte. "Im 1950 erschienenen Roman 'Die zweite Begegnung' von Torberg ist das antikommunistische Argumentationsmuster bereits vorgezeichnet, das er zwischen 1954 und 1966 als Herausgeber der kulturpolitischen Zeitschrift 'Forum' immer wieder verfolgen wird", so der Projektleiter.
Dekodierung: Kartoffelkäfer
Viele der Metaphern und Slogans, die in der untersuchten Literatur vorkommen, müssen zunächst dekodiert werden – denn so manche dieser Bilder haben heute jegliche Bedeutung verloren. Im Roman "Romeo und Julia in Wien" von Federmann und Dor verliebt sich ein amerikanischer Journalist in eine Übersetzerin der russischen Nachrichtenagentur TASS. Sie kommunizieren anfangs auf Deutsch und wissen gar nicht, dass sie jeweils dem "Feind" gegenübersitzen. Nachdem die Wahrheit ans Licht kommt, merkt der Journalist ironisch an, dass er von einer sehr antikommunistischen Zeitung komme: Sein Chef verspeise jeden Tag ein paar Kommunisten und dessen Kinder würden mit Kartoffelkäfern spielen.
"Hier hält der/die LeserIn inne: Weshalb Kartoffelkäfer? Nun muss man dazu wissen, dass es sich hier um ein Element der antiamerikanischen Propaganda handelt. Im Ostblock machte damals nämlich das Gerücht die Runde, dass Amerikaner Kartoffelkäfer aus Flugzeugen abwerfen, um die Ernte zu vernichten. Das findet sich in diesem Roman wieder. Solche Denkfiguren und Redeweisen gilt es in den Werken der AutorInnen aufzudecken", schließt Stocker ab. (dh)
Das FWF-Projekt "Diskurse des Kalten Krieges" läuft von Dezember 2010 bis November 2013 unter der Leitung von Assistenzprof. PD Mag. Dr. Günther Stocker vom Institut für Germanistik. Mag. Stefan Maurer und Mag. Doris Neumann-Rieser sind ProjektmitarbeiterInnen. KooperationspartnerInnen sind Amir Eshel (Stanford University), Hans Höller (Universität Salzburg), Wolfgang Mueller (Historische Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften), Karl Müller (Universität Salzburg), Alfred Pfoser (Wienbibliothek im Rathaus), Margit Reiter, Michael Rohrwasser und Daniela Strigl (Universität Wien) sowie Sigurd Paul Scheichl (Universität Innsbruck).