Wie tickt der Mensch?

"Radikal interdisziplinär" nennt Markus Peschl vom Institut für Philosophie den Ansatz der neuen Forschungsplattform "Cognitive Science: Entwicklung der Kognition". Gemeinsam mit Helmut Leder, Vorstand des Instituts für Psychologische Grundlagenforschung, leitet Peschl die Plattform, die seit Jänner 2011 läuft und natur- und lebenswissenschaftliches mit geistes- und sozialwissenschaftlichem Fachwissen verknüpft. Beteiligt sind WissenschafterInnen u.a. aus den Bereichen Philosophie, Psychologie, Translationswissenschaft, Kognitionsbiologie, Anthropologie und Kunstgeschichte.

Im Mittelpunkt der neuen Forschungsplattform steht der menschliche Wahrnehmungs- und Denkapparat: "Die Kognitionswissenschaft ist ein 'Emerging Focus' an der Universität Wien. Wir besitzen hier eine unglaubliche Expertise – von den Lebenswissenschaften über die Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften", erklärt der Sprecher der Plattform, Markus Peschl: "Nun bündeln wir dieses Wissen, um neuen Raum für die Kognitionsforschung zu schaffen und ein 'Wiener Profil der Cognitive Science' zu entwickeln und zu schärfen."

In den kommenden drei Jahren wird das Team rund um Peschl und Leder an drei großen Schwerpunkten arbeiten: Kognition und Kunst, Kognition zwischen Tieren und Menschen sowie Kognition, Sprache und Kreativität.

Mensch und Kunst

Warum werden bestimmte Artefakte als ästhetisch empfunden? Wie funktioniert Kunstwahrnehmung? Das sind die großen Fragen, mit denen sich Helmut Leder und Raphael Rosenberg vom Institut für Kunstgeschichte – einer der Initiatoren der neuen Plattform – beschäftigen werden. Die Methode, die Rosenberg u.a. anwendet, ist Eye Tracking: Mit einem speziellen Aufzeichnungsgerät lässt sich etwa feststellen, wie der Blick über Kunstwerke wandert bzw. wo er innehält – auf Gemälden zählen vor allem Gesichter zu häufig fixierten Punkten.

Die Emotionen, die dabei im Spiel sind, untersucht Helmut Leder anhand von Bewegungen der Gesichtsmuskulatur: Mit welchen Gesichtsausdrücken reagieren Menschen zum Beispiel auf als hässlich geltende Abbildungen – wie etwa verunstaltete Gesichter – und wie auf "schöne" Kunstwerke? "Durch die Verknüpfung von Kunstgeschichte, Neurowissenschaft und Psychologie werden gänzlich neue Theorieräume erschlossen", erklärt Peschl.

Von Tieren lernen

Am Department für Kognitionsbiologie erforschen Tecumseh Fitch, Thomas Bugnyar, Ludwig Huber und ihre Teams das Verhalten von Tieren. Sie stehen damit in der langjährigen Tradition der Kognitionsbiologie an der Universität Wien, die auf Rupert Riedl und Konrad Lorenz zurückgeht. Im Zentrum der Forschungen, die nun als zweiter Schwerpunkt in die Plattform einfließen, stehen visuelle, soziale und technische Kognition sowie die Evolution der Wahrnehmung.

Die WissenschafterInnen arbeiten mit Kolkraben, Tauben, Keas und Hunden. "Von den Tieren und ihrem Verhalten erhalten wir neue Perspektiven, die weit über die klassische Psychologie hinausgehen", so Peschl, der sich freut, die KognitionsbiologInnen mit an Bord zu haben: "Wenn wir Tiere genauer verstehen, verstehen wir auch Menschen besser. Und das ist ja unser großes Anliegen."


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"Fokus Kognition"



Ich denke, also bin ich


Wie entsteht Wissen? Wie kommt das Neue in die Welt? So lauten die anspruchsvollen philosophischen Fragen des dritten Schwerpunkts "Kognition, Sprache und Kreativität". Für Markus Peschl sind sie eine spannende Herausforderung, an die Antworten mache man sich Schritt für Schritt: "Damit überhaupt etwas Neues entstehen kann, spielt natürlich zunächst die Sprache eine zentrale Rolle", sagt er.

Dass der Philosoph und sein Team durchaus angewandte Forschung betreiben, zeigen die vielen Kooperationen und konkreten Projekte: "Wir haben zum Beispiel gemeinsam mit ArchitektInnen den Neubau der Zeppelin Universität in Deutschland geplant. Unsere Aufgabe als Kognitionswissenschafter lag darin, sogenannte Enabling Spaces zu schaffen – Räume, die ein hohes Ausmaß an Kommunikation sowie die Entstehung neuen Wissens ermöglichen."

Von der Lehre in die Forschung

Recht ungewöhnlich ist der Hintergrund der Forschungsplattform: Sie ist nicht aus einem Forschungsprojekt, sondern aus der Lehre heraus entstanden. "Den Ausgangspunkt bildete 'MEi:CogSci' – ein interdisziplinäres Joint-Degree-Programm in Kognitionswissenschaften", resümiert Peschl, "ein schönes Beispiel dafür, wie sich die interdisziplinären Strukturen in Lehre und Forschung ergänzen." Die Studierenden des Masterprogramms, das 2009 mit dem Lifelong Learning Award ausgezeichnet wurde, werden auch aktiv in die Forschungsplattform eingebunden.

"Unsere Ziele sind klar: Wir wollen 'Cognitive Science' als neuen großen Forschungsschwerpunkt an der Universität Wien etablieren, kooperative Forschungsprojekte durchführen, Drittmittel an Land ziehen und eine 'Vibrant Community' schaffen", so Markus Pesch abschließend. (td)



Die Forschungsplattform "Cognitive Science" startete im Jänner 2011 und ist auf drei Jahre anberaumt. Sprecher der Plattform sind Ao. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Franz-Markus Peschl vom Institut für Philosophie und Univ.-Prof. Dipl.-Psych. Dr. Helmut Leder, Vorstand des Instituts für Psychologische Grundlagenforschung.
Darüber hinaus sind Univ.-Prof. Dr. Raphael Rosenberg (Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät), V.-Prof. Dr. Ulrich Ansorge (Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft), Univ.-Prof. Mag. Dr. Claus Lamm (Fakultät für Psychologie), Univ.-Prof. Mag. Dr. Thomas Bugnyar, Univ.-Prof. William Tecumseh Sherman Fitch, PhD und Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Ludwig Huber (Fakultät für Lebenswissenschaften) sowie Univ.-Prof. Mag. Dr. Gerhard Budin (Zentrum für Translationswissenschaft) beteiligt.