Psychologische Facetten gelebter Vaterschaft
| 26. April 2016Fragen nach "Vaterschaft" wurden in der Forschung bislang vernachlässigt. Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert und ihr gemeinsam mit internationalen KollegInnen gegründetes "Central European Network on Fatherhood" möchten dies ändern. In uni:view präsentieren sie erste Forschungsergebnisse.
Wie gehen Väter mit ihren Kindern um und was tragen sie zum Zusammenleben tatsächlich bei? Diese und ähnliche Fragen zu Vater-Kind-Beziehungen standen im Fokus von sechs empirischen Teilprojekten, die im Rahmen der CENOF-Studie "Raising fatherhood: Facets, determinants and perspectives of modern paternal love" in den vergangenen drei Jahren durchgeführt wurden.
The "Central European Network on Fatherhood" (CENOF) wurde im Frühjahr 2013 unter der Schirmherrschaft der Jacobsfoundation gegründet. Ziel des Netzwerks ist es, Vaterschaft aus unterschiedlichen Perspektiven der Evolutions-, Persönlichkeits-, Bio-, Arbeits- und Entwicklungspsychologie sowie Psychopathologie heraus zu untersuchen. Die ProjektleiterInnen sind: Lieselotte Ahnert von der Universität Wien, Ulrike Ehlert von der Universität Zürich, Harald A. Euler von der Universität Kassel, Petra L. Klumb von der Universität Freiburg, Julius Kuhl von der Universität Osnabrück und Katja Nowacki von der Fachhochschule Dortmund.
Im Interview mit uni:view erzählt die Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert, Vorsitzende von CENOF, mehr über die ersten Ergebnisse der Studie.
uni:view: Stimmt es, dass Väter, die ihre Vaterrolle wahrnehmen und aktiv in Kontakt mit den eigenen Kindern sind, auch gesünder und zufriedener sind?
Lieselotte Ahnert: Dazu hat meine Kollegin Ulrike Ehlert von der Universität Zürich im Rahmen unserer CENOF-Studie eine Onlinebefragung von 3.000 Vätern in Deutschland, Österreich und der Schweiz durchgeführt. Im Zentrum standen die Themen Gesundheit, Wohlbefinden und Belastung eines Vaters und dessen Zufriedenheit mit der Vaterrolle.
Dabei zeigte sich unter anderem, dass Väter aus getrennten Familien und Patchwork-Konstellationen im Gegensatz zu Vätern aus traditionellen Vater-Mutter-Kind-Konstellationen über deutliche Beeinträchtigungen bei Gesundheit und Wohlbefinden berichten. Bestand jedoch für Väter aus getrennten Familien oder Patchwork-Konstellationen ein fortdauernder aktiver Kontakt zu den eigenen Kindern, wirkte sich dies positiv auf ihr Wohlbefinden aus.
uni:view: Beeinflusst das Verhältnis zum eigenen Vater bzw. seine Erfahrungen in der Kindheit, wie ein Mann seine Vaterrolle wahrnimmt?
Ahnert: Diese Frage wurde unter der Leitung von Katja Nowacki (FH Dortmund) mit einer Stichprobe von über 100 sogenannten Risikovätern untersucht, die einerseits Erfahrungen aus einer zerrütteten Kindheit, häuslicher Gewalt und Missbrauch vorwiesen, auf der anderen Seite jedoch auch vielfältige Maßnahmen der Jugendhilfe wie Heimunterbringungen, Pflegfamilien etc. erfahren hatten.
Die Väter, die ihre Kindheit in ihren Herkunftsfamilien (und zumeist unter der Beaufsichtigung durch ambulante Hilfen des Jugendamtes) verbracht haben bzw. in Pflegefamilien groß geworden sind, konnten eher auf ein positives kindorientiertes Vaterverhalten zurückgreifen als jene Väter, die im Heim aufgewachsen und bzw. oder im Verlauf der Kindheit mehrfache Unterbringungswechsel durchleben mussten. Positive Haltungen zu Kindern sind vor allem dann wichtig, wenn Partnerschaften in Konflikt kommen und Kinder davor zu schützen sind, "nicht zwischen die Fronten zu geraten".
Seit Oktober 2008 leitet Lieselotte Ahnert den Arbeitsbereich Entwicklungspsychologie der Fakultät für Psychologie der Universität Wien. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören u.a. "Kleinkinder in familiärer und außerfamiliärer Betreuung: Entwicklungskonsequenzen", "Beziehungsbezogene Determinanten früher Bildung: Erzieher(innen)-Kind-Beziehungen" und "Die Mutter-Kind-Bindung und ihre Variationen".
uni:view Inwiefern beeinflussen die Mütter die Rolle des Vaters?
Ahnert: Die KollegInnen der Universität Kassel rund um Harald Euler haben eine vertiefte Untersuchung einer kleinen Stichprobe von 35 Familien mit Stiefvater- und Patchwork-Hintergrund sowie eine parallele Analyse von über 200 online befragten Stiefvätern aus Stief- und Patchwork-Konstellationen unternommen. Dadurch erfuhren sie mehr darüber, wie Männer mit Kindern umgehen, die sie selbst nicht gezeugt haben, deren Mütter jedoch eine hohe Anziehungskraft auf sie ausüben.
Diese Männer empfanden zu ihren biologischen Kindern eine deutlich höhere psychologische Nähe als zu ihren Stiefkindern. Die Distanz verringerte sich, je mehr Zeit sie mit ihren Stiefkindern verbrachten und diese ihren Erwartungen gerecht wurden. Mehr noch, die stiefväterliche Nähe zu einem Stiefkind erscheint abhängig davon, wie lange die Partnerschaft mit der Mutter des Kindes bereits besteht und wie zufrieden der Mann damit ist.
uni:view: Was tragen die Väter selbst zu ihrer Vaterrolle bei?
Ahnert: Mit dieser Frage hat sich unsere Forschungsgruppe in Wien ganz besonders intensiv beschäftigt; wir haben den Vätern unserer Stichproben eine App-Anwendung auf den Smartphones installiert. Über eine ganze Woche hinweg (inklusive Wochenende) wurden so die Väter in zufälligen Zeitabständen dazu aufgefordert, über kurze Ja-Nein-Fragen Auskunft darüber zu geben, wo sie sich gerade befanden, womit sie sich beschäftigten und ob das Kind bei ihnen war. So können wir abschätzen, in welcher Weise Väter ihre Zeit mit dem Kind nutzen und wie viel Zeit sie überhaupt dafür bereitstellen.
Die besseren Vater-Kind-Beziehungen fanden wir bei jenen Vätern, die häufig mit dem Kind angetroffen werden und auch nachts verfügbar und in die täglichen Betreuungsroutinen eingebunden sind sowie gern wilde Spiele machen. Väter, die seltener Betreuungspflichten übernehmen, und weniger spielen, scheinen auch eine geringere Rolle in der Lebenswirklichkeit der Kinder einzunehmen.
Programmtipp: Am Donnerstag, 19.05., wird im ORF und auf 3SAT in der Sendung "nano" über die CENOF-Forschung berichtet. Das Foto entstand während der Dreharbeiten Anfang April. (Foto: Martin Zimmermann)
uni:view: Sind von daher noch weitere Ergebnisse zu erwarten?
Ahnert: Aber ja, der Auswertungsprozess der CENOF-Studie ist jetzt im vollen Gange. Es bedarf noch vieler Analysen, um die Bedeutung der Vaterrolle und die vielschichtigen Einflüsse zufriedenstellend abschätzen und die Bedeutung von Vaterschaft generell für ein Kind zuverlässig bewerten zu können. (red)
Die CENOF-Studie "Raising fatherhood: Facets, determinants and perspectives of modern paternal love" wird mit zwei Millionen Euro von der Zürcher Jacobs Foundation gefördert. Projektleiterin ist Univ.-Prof. DDr. Lieselotte Ahnert vom Institut für Angewandte Psychologie: Gesundheit, Entwicklung und Förderung der Universität Wien, Arbeitsbereich Entwicklungspsychologie.