Vater: Der bislang unerforschte Elternteil
| 08. Mai 2013Die Rolle der Mutter ist in der Psychologie gut erforscht. Anders sieht es mit der des Vaters aus. Diesem Forschungsdesiderat möchte die Psychologin Lieselotte Ahnert gemeinsam mit fünf internationalen ForscherInnen in einem kürzlich gestarteten Projekt entgegentreten.
"Die Zeit ist reif dafür, dass das Thema Vaterschaft erforscht wird. Die modernen Väter fordern das mehr oder weniger auch ein: Sie sind quasi in Aufbruchsstimmung. Doch auf wissenschaftlicher Ebene wissen wir fast nichts über Möglichkeiten und Effekte dieses Aufbruchs", erklärt Projektleiterin Lieselotte Ahnert vom Institut für Angewandte Psychologie der Universität Wien.
Aus diesem Grund hat die Psychologin gemeinsam mit fünf KollegInnen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz das "Central European Network on Fatherhood" (kurz CENOF) gegründet. Vor kurzem startete das Netzwerk die erste hochdotierte internationale Studie – "der wir sinngemäß den Titel 'Väteraufbruch' gegeben haben und die aus sechs Einzelprojekten besteht", erklärt Ahnert. Die zentralen Fragen lauten: Was sind die Motive und Möglichkeiten von Vätern, welche Ziele haben sie im Zusammenleben mit ihren Kindern und wie wirken sich diese auf die Kinder aus?
"The Central European Network on Fatherhood" (CENOF) wurde im Sommer 2012 gegründet und hat das Ziel, Vaterschaft aus unterschiedlichen Perspektiven der Evolutions-, Persönlichkeits-, Bio-, Arbeits- und Entwicklungspsychologie sowie Psychopathologie heraus zu untersuchen. Mitglieder sind Lieselotte Ahnert von der Universität Wien, Ulrike Ehlert von der Universität Zürich, Harald A. Euler von der Universität Kassel, Petra L. Klumb von der Universität Freiburg, Julius Kuhl von der Universität Osnabrück und Katja Nowacki von der Fachhochschule Dortmund. |
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Konzepte von Vaterschaft
Jedes der sechs Einzelprojekte untersucht Vaterschaft aus einem anderen Blickwinkel heraus. "Dabei verstehen wir unter Vaterschaft nicht nur die biologische, sondern auch die kulturelle Form der Fürsorge für ein Kind", so die Forscherin: "So ist etwa das heutzutage weitverbreitete Konzept der Patchwork-Familien Bestandteil eines unserer Projekte."
Im Fokus des Projekts der Universität Wien: Frühgeborene
Sie selbst fokussiert in ihrem Teilprojekt auf die Vater-Kind-Bindung bei Frühgeborenen. Das hat folgenden Hintergrund: Lieselotte Ahnert und ihr Team führen bereits seit etwa anderthalb Jahren in Kooperation mit dem Wiener AKH Studien in der Nachsorgeambulanz von Frühgeborenen durch, um deren weitere Entwicklung im Auge zu behalten.
Nun will die Psychologin im Detail untersuchen, wie sich der väterliche Einfluss auf die emotionale Regulation und die Stressverarbeitung der Kinder auswirkt. "Frühgeburten haben häufig eine tragische Vorgeschichte. Oft existiert ein unstillbarer Kinderwunsch und Reproduktionstechniken verhelfen dann auch gleich zu zwei oder drei Babies, die noch verletzlicher als frühgeborene Einzelkinder sind. Auf diese werden wir unser besonderes Augenmerk richten."
3.700 TeilnehmerInnen
Insgesamt besticht die groß angelegte CENOF-Studie u.a. durch ihre hohe Stichprobenanzahl: 3.700 Väter sollen einbezogen werden. Allein 250 sind es im Projekt von Lieselotte Ahnert, bei dem verschiedene Methoden eingesetzt werden. Neben "klassischen" Fragebögen zu den Themen Familienklima und Partnerschaftsqualität wird eine Smartphone-App benutzt, mit der die Väter ihr Zeitmanagement dokumentieren.
In der Praxis schaut das folgendermaßen aus: "Die Väter bekommen eine Woche lang zu unterschiedlichen Zeiten eine SMS und müssen dann eingeben, was sie gerade tun", erklärt Lieselotte Ahnert die innovative Forschungs-App, die sie derzeit gemeinsam mit ihren Studierenden erprobt: "In den meisten Studien werden die TeilnehmerInnen rückwirkend über ihren Wochenablauf befragt, was sich mitunter verzerrend auswirkt. Das wollen wir mit der neuen Methode verhindern."
Bei den teilnehmenden Kindern stehen vor allem die emotionalen Regulationskompetenzen, aber auch mentale Leistungen sowie der Einsatz von Sprache im Fokus. "Je besser das Beziehungsfeld ist, in dem das Kind aufwächst, desto besser sind auch seine sozialen Techniken – dazu gehören beispielsweise Kooperation, Frustrationstoleranz etc. Das kennen wir aus Tests mit Müttern. Welche Rolle der Vater dabei spielt, wissen wir eben noch nicht", so die Psychologin.
Auf der Suche nach neuen Methoden
Eine besondere Herausforderung im Projekt liegt darin, dass es noch keine erprobten Messverfahren für die Bindung zwischen Vater und Kind gibt. Die traditionellen Verfahren zur Messung der Mutter-Kind-Bindung – etwa ein Setting, wo Mutter und Kind in einem Raum spielen und die Mutter diesen kurz verlässt – lassen sich nicht eins zu eins übertragen. "Deshalb ist ein erklärtes Ziel von CENOF, die Spezifika der Väter herauszufinden und dementsprechende neue Methoden zu generieren." Hierbei wird auch der psychologische Nachwuchs eingebunden: "Derzeit versuche ich im Rahmen eines Forschungspraktikums gemeinsam mit den Studierenden kreative neue Ideen für eine standardisierte Testsituation mit Vater und Kind zu entwickeln."
Angepasste sozialpolitische Maßnahmen
Wichtig ist es den ForscherInnen des CENOF-Netzwerks, ihre Ergebnisse auch in konkrete sozialpolitische Maßnahmen einfließen zu lassen. "In den Erziehungsberatungsstellen und Kliniken, in denen erkrankte Kinder behandelt werden, werden die Maßnahmen immer noch vorrangig an die Mütter adressiert. Der Vater spielt nur eine untergeordnete Rolle", erläutert die Wissenschafterin.
Nachwuchsförderung
Ein weiteres erklärtes Ziel der CENOF-Studie ist die Förderung von NachwuchswissenschafterInnen. "Insgesamt haben wir sieben Prä- und Post-Doc-Stellen besetzt. Uns liegt viel daran, dass sich die JungwissenschafterInnen untereinander austauschen. Deshalb werden an den verschiedenen Standorten immer wieder Netzwerktreffen stattfinden", schließt Lieselotte Ahnert. (mw)
Dieser Artikel erschien im Forschungsnewsletter Mai 2013. |
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Die CENOF-Studie "Raising fatherhood: Facets, determinants and perspectives of modern paternal love" läuft von März 2013 bis Februar 2016 und wird mit zwei Millionen Euro von der Zürcher Jacobs Foundation gefördert. Projektleiterin ist Univ.-Prof. DDr. Lieselotte Ahnert vom Institut für Angewandte Psychologie: Gesundheit, Entwicklung und Förderung der Universität Wien.