"Meine Forschung": Suizid als Medienthema
| 13. Juni 2014"Wirtschaftskrise: Immer mehr Griechen verüben Selbstmord" titelte Spiegel Online im November 2012. Izabela Korbiel untersucht in ihrer Dissertation am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien, wie die Medien die steigenden Suizidzahlen mit der Finanzkrise in Zusammenhang bringen.
Selbstmord, Selbsttötung, Suizid und Freitod: Im deutschsprachigen Raum werden verschiedene Begriffe für dieses Phänomen verwendet. "Der neutrale Begriff 'Suizid' stammt vom lateinischen 'sui caedare' und findet heutzutage die meiste Anwendung", erklärt Izabela Korbiel, die derzeit ihre Dissertation über den medialen Umgang mit dem Thema am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien verfasst.
Forschungslücke
Die Literatur zum Thema "Suizid in den Medien" ist von einer Kontroverse geprägt: Verursacht die mediale Berichterstattung über Suizid Imitationseffekte bei den RezipientInnen oder nicht? Diese Imitation, auch 'Werther Effekt' genannt, ist ein häufiger Gegenstand der Suizidologie – jener Disziplin, die sich wissenschaftlich mit Suizid beschäftigt.
Seit dem Jahr 2008 und dem Ausbruch der Finanzkrise wird Suizid zunehmend in den Zeitungen behandelt. "Gleichzeitig fehlt es in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung an Analysen, wie sich die mediale Berichterstattung über den Suizid während einer Finanzkrise von jener in Zeiten ökonomischer Stabilität unterscheidet", erklärt die junge Sozialwissenschafterin.
Krisenopfer
Die Studien über Medieninhalte zum Thema Suizid in Krisenzeiten beschränken sich meistens auf die Analyse der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre. "Diese kommen vorwiegend zum Ergebnis, dass das Thema damals in den Medien überrepräsentiert war", erklärt Korbiel: "Die Statistiken zeigen hingegen nur eine leichte Veränderung der Suizidzahlen nach dem Ausbruch der Krise im Oktober 1929."
Die mediale Präsenz des Themas führte bei den LeserInnen zu der Überzeugung, dass der Börsenzusammenbruch und die dramatische wirtschaftliche Lage in den USA einen enormen Anstieg der Selbstmordrate verursacht habe. Welcher Diskurs die Medien während der aktuellen Wirtschaftskrise dominiert, ist die Forschungsfrage des Dissertationsprojekts von Izabela Korbiel: Sie analysiert mittels qualitativer Diskursanalyse Zeitungsberichte aus vier Ländern: Griechenland, Großbritannien, Polen und Österreich. "Die Finanzkrise hat diese Länder im untersuchten Jahr 2012 unterschiedlich stark betroffen", so die Nachwuchsforscherin.
Diskussion statt Spektakel
Grob lassen sich bei der Analyse der Berichterstattung über Suizid zwei Stile unterscheiden: Entweder wird das Thema sachlich abgehandelt, oder man romantisiert die suizidale Handlung und es werden mehr positive als negative Folgen genannt. "Dabei rechtfertigen die Medien suizidale Handlungen entweder durch psychische Probleme der Suizidopfer – die sogenannte Individualebene – oder durch soziale Instabilität, also die gesellschaftliche Ebene", erklärt die Nachwuchsforscherin, die Boulevardzeitungen aus ihrer Analyse ausschließt – "hier werden Suizidfälle überwiegend im spektakulären Ton geschildert".
Im uni:view-Dossier "Meine Forschung" stellen DoktorandInnen der Universität Wien ihre Forschungsprojekte vor. Das Dossier läuft in Kooperation mit dem DoktorandInnenzentrum.
Vier Länder, acht Zeitungen
In ihrem Dissertationsvorhaben fokussiert Izabela Korbiel auf jeweils zwei Qualitätszeitungen pro Länderbeispiel: die griechischen "Kathimerini" und "The Athens News", die britischen "The Times" und "The Guardian", für Österreich die Zeitungen "Der Standard" und "Die Presse" sowie für Polen die "Rzeczpospolita" und die "Gazeta Wyborcza".
Neue Impulse in der Suizidologie soll das Projekt setzen, indem zusätzlich zur Textanalyse auch die Produktion der Medienberichte zum Forschungsthema wird: Dazu kontaktiert Korbiel JournalistInnen, die über Suizid geschrieben haben, und bittet sie, über ihre Arbeit an den Texten zu erzählen. Ein besonderes Augenmerk richtet Izabela Korbiel auf die journalistischen "codes of ethics" und die Schwierigkeiten bei der Berichterstattung über sensible Themen.
Erste Ergebnisse
Erste Ergebnisse des auf drei Jahre angelegten Dissertationsprojekts liegen bereits für das Länderbeispiel Griechenland vor: Sie zeigen eine Veränderung der Berichterstattung durch die Krise. "Die Suizidopfer wurden in den Jahren vor dem ökonomischen Zusammenbruch häufig in den Medien stigmatisiert", erläutert Korbiel: "Seit der Krise gibt es viel mehr vertiefte Analysen, und die Medien weisen auf Hilfsangebote hin." Erst kürzlich haben sich die griechischen Medien für eine radikale Maßnahme entschieden: über Suizid nicht mehr zu berichten.
Izabela Korbiel, geb. 1985 in Krakau (PL), studierte Soziologie an der Universität zu Köln (D) und der Universität Utrecht (NL). Sie ist Doktorandin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien und Mitglied der Forschungsgruppe "The Media Governance and Industries Research Team". Sie schreibt ihre Dissertation zum Thema "Suizid in Krisenzeiten. Eine Analyse über die mediale Berichterstattung über Suizid während der Weltwirtschaftskrise" unter Betreuung von Univ.-Prof. Dr. Katharine Sarikakis.
Buchtipp:
Erwin Ringel: Das Leben wegwerfen? Reflexionen über Selbstmord. Herder, 1981.