Leben ist rhythmisch
| 17. Juni 2013Während die "innere 24-Stunden-Uhr" unseren biologischen Tagesablauf regelt, folgt z.B. der Zyklus der Frau etwa einem 30-Tage-Rhythmus. Viele Meerestiere, wie der Wurm Platynereis, synchronisieren ihre Fortpflanzung nach dem Mond. Das molekulare Uhrwerk im "Rhythmus des Lebens" steht nun im Zentrum eines einzigartigen Forschungsvorhabens an der Universität Wien.
Im Liebesleben der Meeresringelwürmer Platynereis dumerilii hat gutes Timing eine besondere Bedeutung: Die Befruchtung erfolgt außerhalb ihrer Körper, an der Meeresoberfläche. Sind Männlein und Weiblein nicht zur rechten Zeit am rechten Ort, finden Spermien und Eier nicht zueinander und lösen sich im Wasser auf.
Das Treffen am rechten Ort wird durch den Ausstoß von Pheromonen begünstigt – hormonelle Botenstoffe, die anziehend wirken. Aber auch diese Duftbotschaften sind vergebene Liebesmühe, wenn die Würmer nicht zeitgleich dort auftauchen. Bereits 1911 wurde der Mondzyklus als die "innere Uhr" im Fortpflanzungsrhythmus der Würmer identifiziert. Der Frage, wie das molekular funktionieren kann, geht die Forschungsgruppe der START-Preisträgerin Kristin Teßmar-Raible vom Department für Mikrobiologie, Immunbiologie und Genetik an den Max F. Perutz Laboratories der Universität Wien nach.
Zu einer ganz bestimmten Nachtstunde im Monat erwacht das Meer rund um die kleine Felseninsel bei Ischia, auf der die Festung Aragonese thront, zum Leben. Unzählige Meereswürmer der Gattung Platynereis dumerilii kommen im Mondlicht an die Oberfläche – zu einem merkwürdigen Paarungstanz: Gleichzeitig, aber getrennt voneinander, geben Männchen und Weibchen Spermien und Eier ab. |
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Die Würmer und der Mond
Auch zehn Meter unter der Wasseroberfläche können Platynereis das blaue, grüne und gelbe Licht des Vollmonds wahrnehmen und sich danach richten. Die Neurobiologin sucht nach jenen lichtempfindlichen Sinneszellen, die auf Mondlicht "geeicht" sind: die sogenannten Mondlichtrezeptoren. Vier potenzielle Kandidaten hat Teßmar-Raible schon identifiziert – dank der molekulargenetischen Techniken, die sie und das Team ihres Mannes, Florian Raible (ebenfalls Forscher am Department für Mikrobiologie, Immunbiologie und Genetik), erstmals etabliert haben. "Ein wirklicher technischer Durchbruch", freut sich die Forscherin über diese kürzlich im Journal "PNAS" publizierten Ergebnisse: "Nun ist es uns möglich, genau zu untersuchen, welche Zelle bzw. welches Gen in Platynereis für die Wahrnehmung des Mondlichts zuständig ist."
Überfakultäre Forschungsplattform
Platynereis sind nicht die einzigen Tiere, die ihre Fortpflanzung über das Licht des Mondes synchronisieren. Das Phänomen gibt es von Korallen bis Wirbeltieren. In der neuen Forschungsplattform "Marine Rhythms of Life", die Kristin Teßmar-Raible leitet, wird auch die Meeresmücke Clunio marinus untersucht. Clunio hat ihre "Monduhr" im Gegensatz zum uralten Platynereis-Wurm erst vor kurzem entwickelt – zumindest nach evolutionären Maßstäben: vor 20.000 Jahren, als sie vom Land ins Meer (Clunio kommt in Küstenbereichen am Atlantik vor) zurückkehrte.
Die ForscherInnen – insbesondere Tobias Kaiser, Postdoc im hochdotierten VIPS-Programm, das Renée Schroeder leitet – haben das Genom der marinen Mücke bereits sequenziert und jene Bereiche identifiziert, die mit der monatlichen Uhr und auch mit der Tagesuhr in Zusammenhang stehen. "Jetzt geht es darum, herauszufinden, welche Gene die Monduhr und welche die Sonnen- bzw. Tagesuhr steuern und wie", so Kristin Teßmar-Raible. Hier wird sie vom Team rund um Arndt von Haeseler vom Center for Integrative Bioinformatics Vienna (Max F. Perutz Laboratories, Universität Wien und MedUni Wien) mit bioinformatischen Methoden unterstützt.
Von Clunio zu Drosophila
Ebenfalls mit im Boot der Forschungsplattform sitzt der Neurobiologe und Elektrophysiologe Thomas Hummel von der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien: Experte für die Molekular- und Zellbiologie der Taufliege Drosophila. "Die Arbeit mit der Clunio-Mücke ist Pionierforschung, da gibt es noch keine etablierten Techniken. Wenn ein neuer Organismus genetisch untersucht wird, müssen zunächst einmal die Methoden dafür entwickelt bzw. angepasst werden – das ist sehr zeitaufwändig", erklärt die Leiterin der Forschungsplattform: "Deshalb schaut sich Thomas Hummel die Kandidatengene, die wir in der Meeresmücke für die Tagesuhr identifizieren, zunächst einmal im gut erforschten Modellorganismus Drosophila an."
Langfristig soll in Zusammenarbeit mit Thomas Hummel auch die Frage beantwortet werden, wie der Borstenwurm im Gehirn Lichtinformationen verarbeitet. "Einfacher ausgedrückt: Wie unterscheiden Tiere das Sonnenlicht, das für die Tagesrhythmik – also die 24-Stunden-Uhr – zuständig ist, vom Mondlicht, das die Monatsuhr steuert?", so Teßmar-Raible.
Rhythmen bestimmen unser Leben. So regelt die innere 24-Stunden-Uhr unseren Tagesablauf. Seit kurzem weiß man, dass der Hormonhaushalt von Männern ähnlich dem von Frauen in etwa einem 30-Tage-Rhythmus folgt. Liegt, oder lag, auch dem Fortpflanzungsverhalten des Menschen der Mondzyklus zugrunde? "Wenn wir die biologischen Rhythmen unserer Modellorganismen verstehen, können auch die inneren Zeituhren des Menschen besser erforscht werden", sagt Kristin Teßmar-Raible. (Foto: Rudolf Ortner) |
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Lichtgesteuerte Hormone
Und dann ist da noch die Sache mit den Hormonen. Melatonin spielt – auch im Menschen – eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit der 24-Stunden-Uhr.
Der ERC-Preisträger Florian Raible und seine Forschungsgruppe an den Max F. Perutz Laboratories haben entdeckt, dass der Platynereis-Wurm Enzyme besitzt, die ein bestimmtes Schlüsselhormon herstellen könnten. Dieses Hormon steht in den Würmern scheinbar in engem Kontakt mit der monatlichen, sprich lunaren, Regulation: "Wir finden es interessanterweise in der Nähe einer bestimmten Gruppe von Fotorezeptoren, die wir stark im Verdacht haben, unsere Mondlichtrezeptoren zu sein", erklärt Kristin Teßmar-Raible. Was es dort zu suchen hat, dem gehen Florian Raible und Christopher Gerner vom Institut für Analytische Chemie der Universität Wien im dritten Teilprojekt mit massenspektroskopischen Methoden auf den Grund.
Pionierforschung
Kristin Teßmar-Raible freut sich, dass ihre Arbeitsgruppe auf einem sehr guten Weg ist, "neue Konzepte zur Mondlicht- und Sonnenlichtwahrnehmung in Tieren bereitzustellen." Erst kürzlich veröffentlichten die ForscherInnen im Journal "PLOS Biology" spannende Ergebnisse zum Einfluss von Licht auf Interneuronen – informationsverarbeitende Zellen – im Gehirn von Fischen.
Auch bei geschlossenen Augen erreichen Lichtstrahlen tiefe Bereiche des Gehirns. ForscherInnen um Kristin Teßmar-Raible haben bei Zebra- und Medakafischen entdeckt, dass in den Interneuronen im Gehirn lichtempfindliche Fotorezeptoren sitzen. Verarbeiten sie Informationen bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen anders? "Auf Menschen übersetzt würde die Frage lauten: Denken wir anders, je nachdem, ob wir in der Sonne oder im Schatten sitzen?", veranschaulicht Teßmar-Raible schmunzelnd. |
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Forschen für die Zukunft
An der Forschungsplattform findet die junge Forscherin vor allem den Aspekt der Interdisziplinarität reizvoll: "Im Bereich der Meeresforschung passiert an der Universität unglaublich viel, in verschiedensten Disziplinen. Die Forschungsplattform stellt einen Ausgangspunkt dafür dar, uns noch weiter zu vernetzen und integrativ zu wachsen." Gedeihen soll auch der wissenschaftliche Nachwuchs: "Marine Rhythms of Life" beschäftigt zwei internationale PhD-Studierende und einen Postdoc.
Der klingende Name "Marine Rhythms of Life" ist übrigens bei einem Netzwerktreffen im Rahmen des multidisziplinären EU-Projekts "EuroMarine" entstanden, das europäische Meeresforschung in den Bereichen Biodiversität, Genomforschung und Ökosystemmodellierung bündelt. Kristin Teßmar-Raible sitzt in einer Arbeitsgruppe, die Empfehlungen für die Ausrichtung des marinen Teils im nächsten EU-Rahmenprogramm Horizon 2020, also die EU-Meeresforschung der Zukunft, erarbeitet: "Die Erforschung der rhythmischen Prozesse im Meer, die das Leben von allen marinen Organismen bestimmen, wurde als ein wesentlicher Punkt in das Empfehlungspapier aufgenommen". (br)
Dieser Artikel erschien im aktuellen Forschungsnewsletter. |
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