Hummel ist der Herr der Fliegen

Die Entwicklung von Nervenzellen gehorcht in Mensch und Fliege denselben Gesetzen. Und so erforscht der Neurobiologe Thomas Hummel das Geruchssystem am Modellorganismus Drosophila.

Wohltemperierte 18 Grad herrschen dort, wo die tausenden Röhrchen an der Universität Wien lagern – eine riesige Fliegenzucht, und Thomas Hummel ist der Herr der Fliegen. Wie es sich für einen Neurobiologen gehört, sind seine Forschungsobjekte etwas Besonderes - "nicht so, wie die, die über Ihren Bananen in der Obstschüssel kreisen", sagt der Leiter des Departments für Neurobiologie. "Sie sind genverändert." Im Gehirn dieser Fliegen leuchten einzelne Nervenzellen und offenbaren dadurch ihre Verschaltung in komplexen Netzwerken.  

Doch wozu die Manipulation? Artfremde Gene z.B. aus Hefe wurden in die Fliegen eingebracht und sollen es den Forschern erlauben, gezielt Genfunktionen zu untersuchen. Denn Thomas Hummel interessiert sich für die Entwicklung des Nervensystems, besonders für die Frage, wie aus Vorläuferzellen spezielle Nervenzellen hervorgehen. "Z.B. die im Hirn, das ja bekanntlich die größte Vielfalt an Nervenzellen aufweist." "Genetische Regulation neuronaler Identität" heißt eines seiner Forschungsprojekte, in dessen Rahmen er das Geruchssystem von Drosophila untersucht. Womit wir wieder bei den Fliegen wären.

Kleine Fruchfliege mit 100.000 Nervenzellen

Hummel und sein Team untersuchen zwei Aspekte. Einerseits die synaptische Identität: Mit wem verschaltet sich ein Neuron, sprich, wo geht das Signal hin? Jetzt ist Hummel in Fahrt und erklärt: "Die Zellen wachsen aus, machen Fortsätze und treffen auf ihr Zielgebiet. Man kann sich das vorstellen wie ein Auto, das irgendwohin fährt und seinen Zielparkplatz –  und da ganz genau seine Stellfläche - finden muss. Andererseits interessiert ihn die sensorische Identität: welchen Geruchsrezeptor exprimiert ein Neuron? "Also sensorische Neuronen –  sehen, riechen, schmecken –, die mit der Umwelt kommunizieren und Informationen von dort aufnehmen. Dafür sind ganz bestimmte Oberflächenmoleküle zuständig, die vielleicht nur eine Wellenlänge, einen Geruchsstoff, wahrnehmen." So werde auch definiert, was Tier und Mensch überhaupt erkennen können.

All das erforscht der Neurobiologe am Modellorganismus Drosophila. "Die kleine Fruchtfliege hat ein Gehirn mit etwa 100.000 Nervenzellen", erklärt er. "Das liegt natürlich einige Zehnerpotenzen unter unserem, was die Komplexität betrifft. Aber man findet in Drosophila alle Prinzipien, die auch für Säuger gelten: Wie sich die Zellen entwickeln, wie sie wachsen, wie sie sich verschalten und differenzieren."

Genetischer Ansatz


Besonders interessiert Hummel, welche Gene diese Entwicklungsprozesse steuern. "Wir denken, dass es sich dabei um die identen Moleküle handelt, die auch unsere Gehirnentwicklung steuern." Um das herauszufinden, hat Hummel, wie eingangs erwähnt, willkürlich Erbanlagen im Genom der Fliege verändert. Wie bei einem Roulette haben die Forscher "ein bisschen hineingeschossen, dadurch bestimmte Gene verändert und geschaut, was passiert", wie es der Neurobiologe ausdrückt. Welchen Effekt hat diese Manipulation auf die Verschaltung? Um das sichtbar zu machen, markieren die Wissenschafter bestimmte Nervenzellen mit fluoreszierenden Stoffen, die auch im lebenden Tier unter dem Mikroskop und bei bestimmter Wellenlänge sichtbar sind, wie eingang erwähnt. Bei vielleicht fünf Prozent hat Hummel spezifische Veränderungen in den Verschaltungen im Gehirn festgestellt.

Sichtbar gemachte Veränderungen im Gehirn von Drosophila

"Wir haben schon eine Vielzahl unterschiedlicher Moleküle isoliert, wovon ein Großteil auch in unserem Gehirn vorkommt, bei denen wir verstehen wollen, wie sie funktionieren": Dscam (Down Syndrom Cell Adhesion Molecule) zum Beispiel sei ein spannendes Molekül. " Dieses Oberflächenmolekul findet sich auf wachsenen Nervenzellen in ganz vielen verschiedenen Kombinationen, wodurch eine spezifische Erkennung und Verschaltung bei der Entwicklung des Gehirns garantiert ist.

Der Neurobiologe spricht von extremer molekularer Diversität (mehr als 30.000 Moleküle von einem Gen). "Wir haben herausgefunden, dass bei der Verschaltung der Riechzellen im Gehirn der Fruchtfliege dieses Dscam-Molekül eine Rolle spielt." Und weil Drosophila ja als Modellorganismus dient, bringt Hummel einen Vergleich, um die Ähnlichkeit oder Verschiedenheit von Fliege und Mensch zu illustrieren: "In unserer Nase sitzen einige hundert Klassen von Riechzellen. Sie stellen sicher, dass wir verschiedene Düfte wahrnehmen können. Die Fliege hat ungefähr 50 einzelne Typen." Heißt: Der Mensch kann mehr Gerüche identifizieren. "Doch sieht man von der numerischen Geschichte ab, sind Aufbau und viele der Entwicklungsmoleküle ident."

Zwar handle es sich bei dem, was er erforsche, um Grundlagenforschung par excellence, sagt Hummel. Doch was weiß man schon, wofür das einmal gut sein könnte, gehorche doch auch die Regeneration von Nerven nach Verletzungen diesen grundlegenden Mechanismen, denen sein Team nachspürt.