Justitia im Kampf gegen den Drogenhandel

Die EU sagt dem illegalen Drogenhandel verstärkt den Kampf an. Ein neues Rechtsinstrument soll den Rahmenbeschluss von 2004 ersetzen. Dafür hat sich Brüssel wissenschaftlichen Rat von der Universität Wien geholt: Die JuristInnen Robert Kert und Andrea Lehner haben nun ihre Studienergebnisse auf den Tisch gelegt.

"Im Frühsommer 2008 gab es in Österreich fast keine Drogendelikte. Der Grund: Alle PolizistInnen waren im Bereich der Fußball-EM im Einsatz", so Robert Kert vom Institut für Strafrecht und Kriminologie. Drogendelikte unterscheiden sich von anderen Strafdelikten, weil hier die "Opfer" keine Anzeige erstatten und es in der Regel vor allem von der Polizeiarbeit abhängt, ob ein Delikt verfolgt wird oder nicht – es handelt sich um sogenannte Kontrolldelikte. Das macht es besonders schwierig, im Bereich des Drogenhandels strafrechtliche Instrumente nach deren Kosten-Nutzen zu beurteilen.


Dieser Artikel erschien im aktuellen Forschungsnewsletter der Universität Wien. Lesen Sie auch:
Pfeilgiftfrösche: Polygamie sichert Überleben
"Molecular Drug Targets": Doktoratskolleg im Arzneistofflabor
Erfolgreiche NachwuchswissenschafterInnen



Das zeigt auch eine europaweite Studie, die Kert und seine Kollegin Andrea Lehner vom Institut für Strafrecht und Kriminologie durchgeführt haben: Im Auftrag der Europäischen Kommission haben sie die Mittel zur Bekämpfung des Drogenhandels in den einzelnen Mitgliedstaaten erhoben – aufgrund der unterschiedlichen Rechtssysteme eine Herausforderung.

Im Auftrag der Kommission

Auf Basis von 27 Länderberichten und nationalen Befragungen – die im Rahmen des bestehenden "European Criminal Law Academic Network" (ECLAN) erhoben wurden – haben Kert und Lehner die Auswirkungen des Rahmenbeschlusses zur Angleichung der nationalen Rechtsordnungen im Bereich des Drogenhandels umfassend analysiert. Zentrales Ergebnis: Der Rahmenbeschluss hat sich nicht merkbar auf die Drogenhandelssituation ausgewirkt. "Er war eine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner: Die EU-Staaten haben folglich keine oder nur minimale Änderungen durchführen müssen", so der wissenschaftliche Leiter Kert, der gemeinsam mit Lehner Vorschläge für andere – effektivere – Inhalte eines neuen Rechtsinstruments ausgearbeitet hat.


Der Rahmenbeschluss ist eine Folgemaßnahme der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von 1999. Ziel ist die Bekämpfung des Drogenhandels, um den Drogennachschub und -konsum einzudämmen. Er enthält Mindestvorschriften und -strafen, die von den Mitgliedstaaten anzuwenden sind. Rahmenbeschluss 2004



Kontroverses "Drogenthema"

"Das 'Drogenthema' führt immer wieder zu Grundsatzdiskussionen – vor allem bei den kleinen Delikten gibt es viele Kontroversen", betont Kert. Die unterschiedlichen nationalen Zugänge zur Drogenpolitik erschweren die Angleichung der Strafen. Der Rahmenbeschluss von 2004 legt deshalb nur die unteren Limits bei Höchststrafen fest – nach oben ist alles offen. So drohen manche Länder – etwa Zypern, Griechenland oder Großbritannien – für den Handel mit kleinen Drogenmengen lebenslange Freiheitsstrafen an, während andere dafür nur maximal ein Jahr vorsehen. "Die Strafandrohung sagt aber noch nichts über die tatsächlich verhängten Strafen aus", gibt Kert zu bedenken. Staaten wie Slowenien und Portugal drohen zwar durchaus mit hohen Strafen, verhängen aber verhältnismäßig niedrige.

Was ist ein "schweres" Delikt?

Insgesamt ist das Strafniveau bei Drogendelikten in den meisten Staaten sehr hoch – zum Teil höher als bei Gewaltdelikten. "Auch die Probleme sind überall die gleichen: Die kleinen Straßendealer werden gefasst, während die 'großen Fische' nicht ins Netz gehen", kritisiert Lehner, weshalb sie Maßnahmen auf einer höheren Ebene empfiehlt. Zunächst muss auf EU-Ebene definiert werden, was als schweres Drogendelikt gilt: Ist die Menge der Drogen oder des reinen Wirkstoffs, ihr Wert oder der Profit ausschlaggebend? "In Österreich z.B. wird die Menge des reinen Suchtmittels als Maßstab herangezogen", sagt die Juristin, die auf die Schwierigkeit hinweist, hier zu einer Einigung zu gelangen.


Während einige Länder positive Erfahrungen mit niederen Strafen bei Grunddelikten gemacht haben und auf soziale Eingliederung statt Gefängnis setzen, glauben andere Staaten an die abschreckende Wirkung hoher Strafen. Da es bei Grunddelikten unterschiedliche nationale Zugangsweisen gibt und daher keine Aussicht auf Konsens, schlagen Kert und Lehner vor, das neue europäische Rechtsinstrument auf die schweren Fälle und kriminelle Organisationen zu beschränken. (Foto: Arno Bachert/pixelio)



Keine weitere Straferhöhung


Ein neues europäisches Rechtsinstrument sollte sich nach Meinung der JuristInnen nur auf diese "schweren" Delikte beschränken, da hier Einigkeit zwischen den Staaten besteht und es nicht wieder Gefahr läuft, bis zum kleinsten gemeinsamen Nenner aufgeweicht zu werden. "Auch wenn es im Bereich der Strafen große Unterschiede gibt, sollte die EU hier keine weitere Angleichung forcieren", rät Kert. Zum einen seien die Strafen schon hoch genug – die Tendenz der ständigen Straferhöhung müsste eher gebremst werden – und zum anderen zeigen kriminologische Studien, dass die Höhe der angedrohten Strafe keine Auswirkungen auf die Kriminalitätsraten hat.

Über Kronzeugen zu den Drahtziehern


Kann ein Österreicher, der zwischen Litauen und Estland mit Drogen handelt, in Österreich belangt werden? Welche nationalen Strafbestimmungen finden dann Anwendung? "Obwohl die Zusammenarbeit zwischen den Staaten gut funktioniert, könnte im Bereich der Gerichtsbarkeit einiges verbessert werden", meint Kert. Ihm zufolge sollte die EU auch bei der Beweiserhebung und Kronzeugenregelung maßregeln: "Kronzeugen sind wichtig, um an die Hintermänner zu kommen – alle EU-Staaten brauchen eine diesbezügliche Regelung."

Die JuristInnen hoffen, dass die Kommission das neue Rechtsinstrument nach ihren Vorstellungen umsetzen wird – der breite Rechtsvergleich und die Verhandlungen mit der Kommission waren für die beiden jedenfalls spannend: "Vor allem das Zusammentreffen von wissenschaftlicher und politischer Arbeit war eine sehr interessante Erfahrung für uns." (ps)

Die "Preparatory study for an impact assessment on a new legislative instrument replacing the Council Framework Decision 2004/757/JHA on illicit drug trafficking" (RS 2011/03) im Auftrag der Europäischen Kommission, lief von September 2011 bis Juni 2012 unter der wissenschaftlichen Leitung von Ass.-Prof. Mag. Dr. Robert Kert vom Institut für Strafrecht und Kriminologie. ProjektmitarbeiterInnen waren Prof. Valsamis Mitsilegas, Queen Mary University of London (Senior Researcher), Univ.-Ass. Mag. Andrea Lehner, Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien, Dr. Francesca Galli, Université Libre de Bruxelles (JuniorResearchers) sowie die nationalen Kontakte des ECLAN-Netzwerks (
European Criminal Law Academic Network).