Jung, gut ausgebildet und interkulturell

Die Gruppe der AkademikerInnen mit Migrationshintergrund steigt stetig: Fast 19 Prozent aller erwerbsfähigen ÖsterreichInnen mit Migrationshintergrund sind akademisch gebildet. Diese für den Arbeitsmarkt immer wichtiger werdende Gruppe wurde von SoziologInnen der Universität Wien erstmals untersucht.

Asya S.* (28), in Österreich geboren mit türkischem Migrationshintergrund, hat Wirtschaftswissenschaften an der Universität Wien studiert und arbeitet heute in einem gut bezahlten Job für ein internationales Unternehmen. Ihr Weg dorthin war jedoch – im Vergleich zu AbsolventInnen ohne Migrationshintergrund mit demselben Studienabschluss – etwas langwieriger. Deshalb ist es nicht der berufliche Erfolg, den die junge Frau als erstes zur Sprache bringt, sondern die Hürden die sie bis dahin zu bewältigen hatte.


ZAHLEN UND FAKTEN:
18,6 Prozent der ÖsterreicherInnen mit Migrationshintergrund haben einen Universitätsabschluss (unter den ÖsterreicherInnen mit türkischem Hintergrund sind es 4,2 Prozent). Unter den jüngeren Bevölkerungsgruppen ist die AkademikerInnenquote höher: 20,1 Prozent der 25-35-Jährigen insgesamt und 6,1 Prozent bei Personen mit türkischem Migrationshintergrund. Laut Mikrozensus ist die Arbeitslosigkeit unter türkischen (ca. 6,2 Prozent) und ex-jugoslawischen AkademikerInnen (7,1 Prozent) aktuell mehr als doppelt so hoch wie unter österreichischen HochschulabsolventInnen (2,9 Prozent).



Asya trägt Kopftuch, was ihrer Meinung nach mitunter der Grund für die lange Bewerbungsphase war: "Den Bewerbungsunterlagen habe ich kein Foto beigefügt. Im Bewerbungsgespräch ließ mich schließlich das Gefühl nicht los, unerwünscht zu sein", erzählt Asya in ihrem Interview mit Melek Hacioglu, Projektmitarbeiterin von Roland Verwiebe. Im Rahmen einer Studie haben die SozialforscherInnen Berufsverläufe von AkademikerInnen mit Migrationshintergrund untersucht. Laut ihrer Definition sind das jene Personen, deren Eltern – bzw. ein Elternteil – im Ausland geboren sind. Ein zentrales Ergebnis der Analyse: Personen mit Migrationshintergrund suchen intensiver, bis sie einen adäquaten Job finden, und sie schreiben im Schnitt mehr Bewerbungen für ein Vorstellungsgespräch als ÖsterreicherInnen ohne Migrationshintergrund.

Qualitative und quantitative Interviews

JungakademikerInnen sind ein beliebtes Studienobjekt. Die Frage, wie sich deren Jobsuche gestaltet bzw. wo und mit welchem Gehalt diese endet, ist Thema zahlreicher Umfragen. "AkademikerInnen mit Migrationshintergrund wurden aber bisher sowohl in der Arbeitsmarkt- als auch in der Migrationsforschung nicht als eigene Gruppe untersucht – obwohl sie für den österreichischen Arbeitsmarkt immer wichtiger werden", so Verwiebe, der sich gemeinsam mit Hacioglu einem in Österreich bisher unerforschten Feld angenommen und spannende Ergebnisse zu Tage geführt hat.

Asya S. ist eine von 25 AbsolventInnen der Universität Wien, die in einem persönlichen Interview mit den SozialforscherInnen über ihren beruflichen Werdegang gesprochen haben. Neben dieser qualitativen Befragung haben Verwiebe und Hacioglu eine quantitative – sprich eine standardisierte postalische – Umfrage mit rund 800 Personen durchgeführt. "Wir haben uns dabei auf türkische und ex-jugoslawische AkademikerInnen fokussiert, da sie in Österreich die wichtigsten MigrantInnengruppen darstellen", erklärt Verwiebe.




Selbständigkeit und Beamtentum

Verwiebe und Hacioglu haben in erster Linie die Berufseinstiege untersucht: Wie sieht die Phase unmittelbar nach dem Abschluss aus und wie adäquat sind die Jobs bzw. die Bezahlung? Neben der längeren Suchdauer gibt es auch in Hinblick auf die Art der Beschäftigung Unterschiede zwischen ÖsterreicherInnen ohne und mit Migrationshintergrund. So haben zum Beispiel Erstere im Einstiegsjob eher einen unbefristeten Vertrag. "Jene mit Migrationshintergrund arbeiten öfter als freie DienstnehmerInnen und machen sich eher selbstständig – eine leitende Position oder Beamtenstatus haben hingegen überwiegend ÖsterreicherInnen", so Hacioglu zu den bisherigen Projektergebnissen. "Der Migrationshintergrund hat insgesamt einen signifikanten Einfluss auf die berufliche Stellung."

In Hinblick auf die Adäquatheit geben mehr als die Hälfte der Befragten an, dass die berufliche Position der Ausbildung entspricht – mit der Bezahlung sind hingegen die wenigsten zufrieden. Jedoch gibt es keinen signifikanten Unterschied zwischen AbsolventInnen mit und ohne Migrationshintergrund. "Umso auffallender ist der zwischen Männern und Frauen", betont Verwiebe.

Selbstbewusst und ehrgeizig

Im Rahmen der qualitativen Interviews sind die SozialforscherInnen zu dem Schluss gekommen, dass viele der befragten AbsolventInnen mit Migrationshintergrund nach einer sehr intensiven Suchphase in internationalen Unternehmen unterkommen. "Sie werden dort entsprechend ihrer Qualifikation bezahlt und haben gute Aufstiegschancen. Es sind Unternehmen, die den kulturellen Hintergrund nicht nur akzeptieren, sondern als interkulturelle Kompetenz schätzen", erklärt Verwiebe und betont: "Es war auch auffallend, dass es sich quer durch die Bank um selbstbewusste und ehrgeizige junge Menschen handelt, die ein klares Konzept von ihrer Karriere haben und diese sehr genau und systematisch planen."

Dabei spielen soziale Netzwerke jedoch nicht annähernd die Rolle, wie es die klassische Migrationsforschung annehmen lässt. "Ethnische Netzwerke bringen für AkademikerInnen mit Migrationshintergrund relativ wenig. AkademikerInnen ohne Migrationshintergrund können soziale Netzwerke hingegen mit hoher Wahrscheinlichkeit nutzen", beschreibt Verwiebe einen systematischen Unterschied, der aus der Studie hervorgeht.



Benachteiligung auf Mikroebene


Sehen sich migrantische AkademikerInnen in ihrem beruflichen Werdegang diskriminiert? So wie im Fall Asya S. ziehen sich zwar auch durch andere untersuchte Biographien subtile Formen der Benachteiligung. "Massive strukturelle Diskriminierung von AkademikerInnen mit Migrationshintergrund konnten wir aber keine ausmachen", resümiert Roland Verwiebe. "Doch es ist auffallend, dass ein hervorragend qualifizierter Ökonom mit Migrationshintergrund erst nach über 200 Bewerbungsschreiben eine adäquate Arbeitsstelle findet." Diese Formen der Benachteiligung gehen laut Verwiebe aus den Statistiken nicht hervor. "Deshalb sind uns die persönlichen Interviews so wichtig: Sie sagen etwas über die Themen aus, die die Leute beschäftigen. Das Gefühl, abgelehnt zu werden, ist so ein Thema." (ps)

Das Projekt "Berufsverläufe von Akademikern mit Migrationshintergrund" läuft von Juni 2011 bis Oktober 2013 unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Roland Verwiebe, Vorstand des Instituts für Soziologie. Projektmitarbeiterin ist Mag. Melek Hacioglu vom Institut für Soziologie. Die Studie wird vom Jubiläumsfonds der Stadt Wien bei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gefördert.

*Name von der Redaktion geändert