Zugang zum Arbeitsmarkt: Geflüchtete haben es schwer

Wie funktioniert die Arbeitsmarktintegration für Geflüchtete in Österreich? Das haben aktuell die Soziologen Bernhard Kittel und Roland Verwiebe gemeinsam mit einem Team in einer Studie untersucht. Sie zeigt: Nicht nur die Regierung, auch die österreichischen Kammern müssen dringend umdenken.

Migration ist ein weltweit zunehmendes Phänomen: Über zweihundertfünfzig Millionen Menschen leben heute nicht mehr in dem Land, in dem sie geboren wurden. Während viele Menschen ihr Heimatland freiwillig verlassen, etwa bei Arbeitsmigration oder Familiennachzug, müssen andere Menschen aus der Not heraus flüchten. Österreich gehört zu jenen EU-Ländern, die in Relation zu ihrer EinwohnerInnenzahl die meisten Geflüchteten aufgenommen haben – ähnlich wie Schweden, Ungarn und Deutschland.

Insgesamt wurden zwischen 2013 und 2017 in Österreich 200.662 Asylanträge gestellt. Ein anzustrebendes Ziel ist die rasche Eingliederung der geflüchteten Personen in den hiesigen Arbeitsmarkt. Doch wie gut hat das funktioniert und von welchen Faktoren hängt es ab? Das haben SoziologInnen der Universität Wien in einer aktuellen Studie untersucht und in einer Infografik zusammengefasst (Infografik PDF).

Groß angelegte Studie

Die beiden Projektleiter Roland Verwiebe und Bernhard Kittel haben gemeinsam mit ihrem Team eine Umfrage unter mehr als 1.000 Personen, die gerade erst nach Österreich gekommen sind, sowie qualitative Interviews mit 35 geflüchteten Personen, die sich binnen kurzer Zeit in den Arbeitsmarkt integriert haben, durchgeführt.

"Die Herstellung einer repräsentativen Stichprobe erwies sich als unmöglich, wir haben keine Unterstützung von offiziellen Stellen erhalten, um die Grundgesamtheit abzugrenzen", berichtet Wirtschaftssoziologe Bernhard Kittel. Den Kontakt stellten die ForscherInnen schließlich über Wiener Grundsicherungsunterkünfte sowie das Asylzentrum der Caritas in der Spitalgasse her. Informationen zur Verteilung nach soziodemographischen Kriterien wurden genutzt, um durch Gewichtung möglichst repräsentative Aussagen machen zu können. "Unser Fokus liegt auf Geflüchteten aus Syrien, Afghanistan, Irak und Iran. Bei den muttersprachlichen Interviews setzten wir ÜbersetzerInnen ein, um die Barrieren möglichst gering zu halten", erklärt Soziologe Roland Verwiebe den Schwerpunkt der Studie, die mit eindeutigen Ergebnissen aufwarten kann.

Dienstleistung und Gastronomie

Die meisten Geflüchteten arbeiten im Dienstleistungssektor (33 Prozent) und in der Gastronomie (24 Prozent). "Es ist nicht verwunderlich, dass viele Geflüchtete trotz guter Qualifikation in eher niedrigqualifizierten und schlecht bezahlten Branchen tätig sind. Der österreichische Arbeitsmarkt ist im europäischen Vergleich extrem professionalisiert. Man braucht praktisch für jeden Beruf ein Zertifikat", so Bernhard Kittel. Dieses bringen Geflüchtete oft nicht mit, weil es zur Ausübung des Berufs in ihrem Heimatland nicht notwendig war. "Der Arbeitsmarktzugang wird Geflüchteten dadurch deutlich erschwert. Hier müssten die Kammern aktiv werden und über Wege nachdenken, wie Qualitätsstandards gesichert werden können, ohne prohibitive Hürden im Verfahren aufzubauen", ergänzt Roland Verwiebe.

Netzwerke statt AMS

55 Prozent der Befragten möchten möglichst schnell eine Arbeit aufnehmen, 21 Prozent innerhalb eines Jahres. "Wir sehen, dass die Jobvermittlung vielfach über Netzwerke funktioniert. 37 Prozent der Geflüchteten finden einen Job über FreundInnen aus Österreich, 17 Prozent über FreundInnen und Familie aus dem eigenen Herkunftsland. Obwohl 43 Prozent auch den Weg über das AMS gehen, waren dabei nur 15 Prozent erfolgreich", erläutert Bernhard Kittel.

Nur wenige Geflüchtete schaffen auf Grund der Barrieren den Berufseinstieg auf dem Niveau und in dem Berufsfeld, in dem sie in ihrer Heimat gearbeitet haben. Das ist nicht nur frustrierend und demotivierend, sondern auch ökonomisch eine Vergeudung von Humankapital. Es gibt zwar institutionalisierte Programme, etwa die Öffnung von Ausbildungsberufen im dualen System für Geflüchtete, die noch im Asylverfahren sind, aber aktuell werden diese extrem erschwert.

"Die Menschen gehen hochmotiviert in die Betriebe, die Betriebe wiederum investieren in das Humankapital und dann schiebt man die Personen dennoch ab. Das ist zum einen ökonomisch unsinnig, zum anderen widerspricht es den Grundprinzipien des Rechtsstaates, der Vertragssicherheit für alle Beteiligten", betont Roland Verwiebe und ergänzt: "Wir sehen in unseren Daten deutlich, dass die Verknüpfung zwischen staatlichen Initiativen, den Betrieben und dem Engagement der Geflüchteten plus freiwilliger UnterstützerInnen letztlich auch zur kulturellen Integration beiträgt. Aber das scheint nicht das zu sein, was man politisch aktuell anstrebt."

Ähnlichkeiten zur österreichischen Arbeitsauffassung

Das SoziologInnen-Team zieht in seiner Studie auch einen Vergleich zur autochthonen Bevölkerung. Hier zeigt sich: Es gibt viele Ähnlichkeiten, etwa bei der Frage nach Wünschen an den Beruf. 93 Prozent der Geflüchteten möchten neue Dinge lernen, 89 Prozent der ÖsterreicherInnen ebenfalls. Und während sich 94 Prozent der ÖsterreicherInnen einen sicheren Arbeitsplatz wünschen, gilt das für 91 Prozent der Geflüchteten auch.

Förderung von Initiativen statt Wertekurse

"Die Geflüchteten sind Boten eines weltweiten Wandels. Krisen werden zunehmen – ob durch klimatische Veränderungen, Kriege oder ähnliches. Darauf können wir uns im 21. Jahrhundert einstellen", prognostiziert Roland Verwiebe. Die sich daraus ergebenden Herausforderungen müssten viel produktiver angegangen werden, sind die beiden Soziologen überzeugt: "Die Maßnahmen der aktuellen Regierung erschweren Integration statt sie zu fördern", so Bernhard Kittel.

Der Lösungsansatz aus wissenschaftlicher Sicht: Statt Wertekurse bedarf es einer Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements, der NGOs, privater Nachbarschaftsinitiativen sowie lokaler Aktionen in Betrieben und Gemeinden. Gerade die Kontakte zwischen Einheimischen und Geflüchteten, die durch das Engagement von NGOs gefördert werden, sind entscheidend für die Integration.

Die Studie der WissenschafterInnen der Uni Wien zeigt: Zwischen der Arbeitsmarktintegration und der sozialen und kulturellen Integration besteht ein enger, wechselseitiger Zusammenhang. Die Bereitschaft zur sozialen und kulturellen Integration seitens der Geflüchteten ist die eine Seite, der Abbau von Hürden des Arbeitsmarktzugangs ist die andere Seite. Das Zusammenspiel der beiden Aspekte spielt somit für das Zusammenleben von uns allen eine entscheidende Rolle. (mw)

Veranstaltungstipp: Am Dienstag, 30. April, diskutiert Bernhard Kittel im Rahmen der aktuellen Semesterfrage ab 18 Uhr gemeinsam mit Johannes Kopf (Vorstand AMS) und Martin Kocher (Institut für Volkswirtschaftslehre und Direktor des IHS) an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften über die Frage
"Die Jobs der Zukunft – wie viele können mit?":
Fakultät für Wirtschaftswissenschaften (Skylounge, 12. OG), Universität Wien
Oskar-Morgenstern-Platz 1, 1090 Wien
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Das Projekt "Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen in Österreich - Eine Längsschnittanalyse" läuft von Dezember 2016 bis Mai 2019 und wird durch den Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank gefördert. Projektleiter sind Roland Verwiebe vom Institut für Soziologie und Bernhard Kittel, stv. Vorstand des Instituts für Wirtschaftssoziologie. ProjektmitarbeiterInnen sind Raimund Haindorfer, David Schiestl, Christina Liebhart und Fanny Dellinger. Die Studie basiert auf einer Kooperation zwischen dem Institut für Soziologie und dem Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien.