Frauen- und Geschlechtergeschichte des Ersten Weltkriegs

Beim Stichwort "Erster Weltkrieg" zeigt die Google-Bildersuche Fotos von Männern: von der Westfront, aus den Schützengräben. Wo aber waren die Frauen? Die Historikerin Christa Hämmerle von der Universität Wien blickt aus der Genderperspektive auf die Geschichte des Ersten Weltkriegs.

2014 jährt sich der Beginn des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal: Anlass genug, diese "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" aus verschiedenen wissenschaftlichen Blickwinkeln neu zu beleuchten. Christa Hämmerle vom Institut für Geschichte der Universität Wien setzt sich schon seit den frühen 1990er Jahren mit dem Themenkomplex Erster Weltkrieg auseinander: Im Jahr 1993 erschien ihr erstes Buch: "Kindheit im Ersten Weltkrieg"; in ihrer Dissertation untersuchte sie die multiplen Rollen von Frauen an der "Heimatfront".

Die Forschungsschwerpunkte der heutigen, außerordentlichen Professorin für Neuere Geschichte und Frauen- und Geschlechtergeschichte an der Universität Wien liegen u.a. auf Krieg, Militär und Gewalt sowie der Sozial-, Frauen- und Geschlechtergeschichte. Im Rahmen des Gedenkjahrs 2014 arbeitete die Historikerin u.a. am "Grundlagenpapier österreichischer WissenschafterInnen aus Anlass des Gedenkens des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren" mit; derzeit bearbeitet sie ein Forschungsprojekt über die Kriegserfahrungen österreichisch-ungarischer Krankenschwestern.

Vielfältige Aufgabenbereiche

In ihrer Forschungsarbeit tritt Christa Hämmerle, die Leiterin der Sammlung Frauennachlässe und der Redaktion von "L'Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft", für eine Neuperspektivierung der Geschichtsschreibung mit Fokus auf die Frauen- und Geschlechtergeschichte ein. "Während die Männer als Soldaten dienten, mussten Frauen die unterschiedlichsten Tätigkeiten übernehmen – etwa Arbeiten im öffentlichen Dienst als Schaffnerin oder Straßenkehrerin", erzählt Hämmerle von den konkreten Auswirkungen des Kriegsgeschehens auf herrschende Geschlechterrollen.

Zunächst engagierten sich viele Frauen im Rahmen der freiwilligen Kriegsfürsorge beziehungsweise der breit aufgestellten "Frauenhilfsaktion im Kriege". Später stieg vor allem ihr Anteil in der heimischen Rüstungsindustrie, wo Frauen gemeinsam mit kriegsfreigestellten Männern arbeiteten. Und ab dem Frühjahr 1917 nahm sogar die Armeeverwaltung "weibliche Hilfskräfte für die Armee im Felde" auf, vermutlich bis zu 50.000 Frauen. "Dadurch konnten mehr Männer zum Kriegseinsatz an der unmittelbaren Front freigestellt werden", erklärt die Historikerin.

Ihr ist es ein besonderes Anliegen, die unmittelbare Nähe von Frauen zum Kriegsgeschehen herauszustellen – hier nennt sie als Beispiel die bis in die Zehntausende gehende und sehr verschieden zusammengesetzte Gruppe der Kriegskrankenschwestern: "Die Krankenschwestern arbeiteten oft direkt hinter der Front und fingen gemeinsam mit den Feldärzten und Sanitätern das Gemetzel von der Gefechtslinie auf", so Christa Hämmerle.


  Im Forschungsprojekt "Gewalt & Trauma: Kriegserfahrungen österreichisch.-ungarischer Krankenschwestern im Ersten Weltkrieg" beschäftigt sich Christa Hämmerle mit autobiografischen Schriften von Kriegskrankenschwestern während ihres Einsatzes im 1. Weltkrieg. (Foto: Nachlass von Maria Sieß C Sammlung Frauennachlässe SFN NL 32) Weitere Informationen zum Projekt



Frauenrechte 1918


Der Erste Weltkrieg hatte also Auswirkungen auf die Rollen von Frauen in der Gesellschaft. Christa Hämmerle möchte aber einem weit verbreiteten Topos des Ersten Weltkriegs als "Begründer des Frauenwahlrechts" entgegentreten: "Der Kampf von Frauen um das politische Wahlrecht, aber auch für Bildung, die Öffnung der Universitäten und des Arbeitsmarkts, stand bereits lange vor 1914 auf der Agenda der Frauenbewegungen. Und die Forderung nach dem Frauenwahlrecht stand seit dem 1890er Jahren im Parteiprogramm der Sozialdemokratie."

Allerdings sei das Frauenwahlrecht, das 1918 in einigen, aber längst nicht allen, europäischen Ländern eingeführt worden ist, durch die verschobenen politischen Machtverhältnisse nach dem Krieg ermöglicht worden: "So kann der Erste Weltkrieg möglicherweise als Katalysator frauenrechtlicher Bemühungen gesehen werden, aber sicherlich nicht als ihr Schöpfer", betont Hämmerle.

Den Ersten Weltkrieg verstehen

"Der Erste Weltkrieg war ein Volkskrieg, und in diesen Ausmaßen nur durch die Mobilisierung von Frauen, Männern und Kindern – also der ganzen Gesellschaft – möglich. Und nur in dieser umfassenden Perspektive kann er verstanden werden", so Christa Hämmerle weiter. Geschlechterrollen oder Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzepte spielen dabei also eine fundamentale Rolle, denn an diese wurde bei der Kriegsmobilisierung appelliert. So wurden beispielsweise Männer als tapfere Beschützer des Heimatlandes heroisiert und Frauen zu mütterlich fürsorglichen Krankenschwestern stilisiert.

Der Genderforscherin Christa Hämmerle ist es im medialen Hype um das 100. Gedenkjahr des Ersten Weltkriegs ein besonderes Anliegen, Ansätze und bereits vorliegende Ergebnisse der Frauen- und Geschlechtergeschichte des Ersten Weltkriegs in das Bewusstsein der Gesellschaft zu tragen. "Denn der Blick auf die Geschlechterverhältnisse, besonders im Zusammenhang mit Kriegen, lehrt uns unter anderem, wie damals und auch heute Geschlecht als diskursive Waffe eingesetzt werden kann und wird", schließt die Historikerin. (fh)

Bücher zum Thema:
"Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn" von Christa Hämmerle, Böhlau Verlag 2014
"Gender and the First World War"- ( hg. von Christa Hämmerle, Oswald Überegger und Birgitta Bader-Zaar, Basingstoke Hampshire: Palgrave McMillan 2014)