Erbgut entschlüsseln per Knopfdruck
| 24. April 2014Augenfarbe, Haarfarbe, Blütenfarbe, Blattform, Stressresistenz, Stoffwechsel – das Genom ist Träger aller Erbanlagen von Mensch, Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen. Der Systembiologe Wolfram Weckwerth und sein Team präsentieren neue Erkenntnisse zur Erforschung des Erbguts.
Die vollständige funktionale Aufklärung und Interpretation eines ganzen Genoms eines Organismus ist der "Heilige Gral" in der Biologie der nächsten Dekaden und stellt eine Herausforderung dar, die jene der Genomsequenzierung des Menschen oder der Pflanze vor rund zehn Jahren bei weitem übertrifft.
"Die Dynamik von Lebewesen, wie z.B. ihr Stoffwechsel und ihre Entwicklung, kann man nicht einfach aus dem Erbgut ablesen", so Wolfram Weckwerth vom Department für Ökogenomik und Systembiologie der Universität Wien. Um diese Dynamik auf molekularer Ebene zu verstehen, mit der Genominformation zu verknüpfen und eine funktionale Interpretation des Genoms zu ermöglichen, werden sogenannte "Big Data" (genomweite molekulare Analysen) generiert.
Riesige "Hypothesenmaschinen"
Eine der Schlüsseltechnologien für die funktionale Interpretation von Genomen ist "Metabolomics". Diese Technologie befasst sich mit der möglichst umfangreichen Analyse der Stoffwechselprodukte (Metabolite) eines Organismus. Da die Zusammensetzung sowie die jeweiligen Metabolitgehalte sehr stark variieren können und deutlich von den jeweiligen Entwicklungszuständen, Stresszuständen und Umweltbedingungen des untersuchten Organismus abhängen, kann sich für ein und dieselbe Genom-kodierte Information eine große Variation von Stoffwechselprozessen ergeben und Aufschluss über Genfunktionen geben.
Eine einfache intuitive Interpretation dieser molekularen Daten ist allerdings nicht mehr möglich. Man benötigt biomathematische Modelle und Konzepte, um eine Synthese der Genominformation und der molekularen Dynamik eines Organismus durchzuführen. "Wir generieren quasi riesige 'Hypothesenmaschinen', die mit aussagekräftigen kausalen Modellen verknüpft werden müssen", erklärt der Biologe.
Modellorganismus Arabidopsis thaliana
Das Team von Wolfram Weckwerth schaffte es, molekulare Hochdurchsatzanalysen direkt mit genomischer Information zu verknüpfen. In einem Metabolomics-Experiment wurden Acker-Schmalwand-Pflanzen (Arabidopsis thaliana) unterschiedlichen Umweltbedingungen ausgesetzt und die gewonnenen Daten mit jenen der Genominformation verglichen.
"Wir konnten diese dynamischen Informationen mit den statischen Informationen einer Genomsequenz direkt verknüpfen und daraus ableiten, welche biochemischen Reaktionen als Antwort auf veränderte Umweltbedingungen aktiviert werden", beschreibt der Wissenschafter.
"Diese Information wurde aus einem Metabolit-Netzwerk bestehend aus ca. 2.500 Einzelreaktionen abgeleitet und bildete damit einen kausalen Zusammenhang des experimentell bestimmten Stoffwechselmusters ab", erklärt der Erstautor der Studie, Thomas Nägele, weiter.
Dieser neue biomathematische Ansatz macht es möglich zu ermitteln, welche der biochemischen Reaktionen Einfluss auf dieses Stoffwechselmuster besitzt. "Das erlaubt nun eine direkte Vorhersage solcher Schlüsselreaktionen und stellt einen Meilenstein in der funktionellen Analyse experimenteller Hochdurchsatzdaten dar", erklärt Weckwerth. Die neuartige Methode ist auf alle Organismen anwendbar. (af)
Das Paper "Solving the Differential Biochemical Jacobian from Metabolomics Covariance Data" (AutorInnen: Thomas Nägele, Andrea Mair, Xiaoliang Sun, Lena Fragner, Markus Teige, Wolfram Weckwerth) erschien im Journal "PLOS One".