Zensierte Habsburgerwelt

Über 150 Jahre wurde in Österreich Literatur vom Staat zensiert – Verbotslisten und verpönte AutorInnen prägten den Literaturbetrieb der Monarchie. Die Literaturwissenschafter Norbert Bachleitner und Daniel Syrovy beschäftigen sich mit Zensurstrukturen und -alltag im Italien der Habsburger.

Heute findet man Goethes gesammelte Werke in jeder Buchhandlung – das war nicht immer so. Denn im 18. Jahrhundert zählte "Die Leiden des jungen Werthers" nicht zur "einwandfreien" Literatur und wurde verboten. "Interessant wird es für unsere Forschung ab 1751, mit dem Start der staatlich-strukturierten Zensur durch die Einführung der Zensur-Hofkommission unter Maria Theresia", erklärt Daniel Syrovy von der Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Wien. Gemeinsam mit Projektleiter Norbert Bachleitner arbeitete er die letzten drei Jahre am ÖNB-Projekt "Die Zensur der italienischsprachigen Literatur in der Habsburgermonarchie, 1750-1918".

Wiener Zensur und italienische Zensoren

Die Geschichte der Zensur ist lang und wechselhaft: Lockere Phasen in der Zeit des "aufgeklärten Absolutismus" unter Joseph II. wechselten sich mit strengen Verboten etwa Ende des 18. Jahrhunderts, zur Zeit der französischen Revolution, ab. Die Zensur umfasste sowohl Werke vor der Veröffentlichung – die sogenannte Vorzensur – als auch bereits Gedrucktes. Wollte man ein fragwürdiges Buch in die Monarchie einführen, wurde es zunächst am Zoll festgehalten, bis es von der Kommission in Wien freigegeben oder verboten wurde.

Der Fokus auf Italien ist nicht zufällig gewählt. Im Gebiet des ehemaligen Königreichs Lombardo-Venetien – das heutige Gebiet um Venedig und Mailand – sind detaillierte Aufzeichnungen zur Zensur erhalten geblieben. So können die beiden Wissenschafter durch die Analyse der italienischen Zensurorganisation Parallelen zu Wien ziehen, wo nicht mehr alle Daten von damals erhalten sind. Eine wichtige Datenquelle ist auch die Doppelproduktion von Büchern. Das heißt, dass Bücher nicht nur innerhalb der Monarchie, sondern auch außerhalb produziert wurden, und sich die Werke so gut auf zensurbedingte Unterschiede vergleichen lassen.

Im Zuge des Vorgänger-FWF-Projekts "Österreichische Zensur 1750-1848" erstellten Norbert Bachleitner und Daniel Syrovy bereits eine umfangreiche Datenbank, die öffentlich zugänglich ist. Sie umfasst Zensurfälle aus den Verbotslisten von zwei Jahrhunderten, die die Wissenschafter zusammengetragen und digitalisiert haben. (Foto: Universität Wien)
Zur Datenbank

Zuständigkeits-Wirrwarr

Aufgabe der Zensoren in Mailand und Venedig war es, italienischsprachige Bücher auf verbotene Inhalte zu überprüfen. Zensiert wurde aus moralischen, politischen und religiösen Gründen, etwa bei einer Beleidigung der kaiserlichen Familie oder einem Angriff auf eine religiöse Institution.

Alles zu kontrollieren, war keine leichte Arbeit. "Die Zensoren waren im Grunde pausenlos überarbeitet und schlecht bezahlt", schildert Syrovy die Arbeitsbedingungen.
Wollte ein Zensor ein Werk verbieten, musste er zuerst einen Antrag stellen. Durch den langen Postweg vergingen oft Wochen, bis die Entscheidung aus Wien eintraf. Das erschwerte die Arbeit der Zensoren, die pro Jahr bis zu 600 Titel kontrollierten – von einseitigen Pamphleten bis hin zu mehrbändigen Werken. Zu der Textarbeit kam die bürokratische Last hinzu: Protokolle schreiben, Listen erstellen, Duplikate anfertigen, Werke verschicken, Briefwechsel.

Zudem trug jeder Zensor selbst die Verantwortung für seine Entscheidungen. "Wenn ein Zensor etwas durchließ, was im Nachhinein verboten wurde, war er Schuld und nicht der Autor. Es ging also nicht in erster Linie darum, Autoren und Verleger zu schikanieren, sondern darum, eine homogene Literatur zu schaffen, die staatlich sanktioniert war", so der Literaturwissenschafter. 

Widerstand regt sich

Doch diese staatlichen Sanktionen werden nicht immer akzeptiert. Seit es Zensur gibt, versuchen BuchhändlerInnen und SchriftstellerInnen sie zu umgehen. "Die Bücher im 19. Jahrhundert waren überwiegend ungebunden. Es war also möglich, zwischen den vielen Bögen andere Bücher zu verstecken und sie so ins Land zu schmuggeln", erzählt Syrovy. Auch mit Anspielungen wurde vielfach gearbeitet, denn "was nicht im Text steht, kann nicht so einfach zensiert werden." Man müsse aber vorsichtig sein und dürfe die Geschichte der Zensur nicht mit der Brille einer späteren Generation sehen: "Die Zensur ist kein Bösewicht, sondern in diesem konkreten historisch-soziologischen Literaturbetrieb eine Sache, die von allen Beteiligten mehr oder weniger akzeptiert werden musste", stellt Syrovy fest.

Gesamtüberblick zum Abschluss

Mit den Ergebnissen der langjährigen Forschungsarbeit wird zum einen die bereits bestehende Datenbank um etwa 15.000 Einträge erweitert. Zusätzlich stellen Syrovy und Bachleitner Gesetzestexte, wie etwa den ausführlichen Nachdruck der "Lombardo-Venetianischen Zensurordnung 1815/16" aus den 1840er-Jahren, digital zur Verfügung. In der nächsten Zeit sind auch mehrere Publikationen geplant: Zum einen eine Monographie über die Zensur in Österreich von Bachleitner, zum anderen eine Monographie zur Zensurorganisation in Lombardo-Venetien von Syrovy, in der es nicht nur um Fallbeispiele gehen soll, sondern auch darum, wie die Zensur mit wissenschaftlichen Texten und Zeitschriften umgeht. (pp)

Das Projekt "Die Zensur der italienischsprachigen Literatur in der Habsburgermonarchie, 1750-1918" unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Norbert Bachleitner und der wissenschaftlichen Mitarbeit von Univ.-Ass. Dr. Daniel Syrovy wird vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank gefördert und läuft von 1. Oktober 2014 bis 30. September 2017.