Buntes Leben in arktischen Tiefen

Renate Degen vom Department für Limnologie und Bio-Ozeanographie der Universität Wien erforscht die für Mensch und Tier bedeutsamen arktischen Bodenlebewesen. Gefördert durch das Hertha-Firnberg-Programm erforscht sie Auswirkungen durch Klimawandel und Umweltfaktoren.

Bereits ihr Diplomstudium an der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien inspirierte Renate Degen dazu, sich mit marinen Ökosystemen auseinanderzusetzen. In ihrer Doktorarbeit am Alfred-Wegener-Institut am Helmholtz-Zentrum für Polar-und Meeresforschung in Bremerhaven untersuchte sie die arktischen Bodenlebewesen, zusammenfassend das Benthos genannt. Bis heute sind die marinen Böden zwar einer der größten, aber auch am wenigsten erforschten Lebensräume unseres Planeten. Und was sie an ihrem Hertha-Firnberg-Projekt besonders freut: für die Dauer des Projekts, das auf drei Jahre angesetzt ist, wird ihr Lebensmittelpunkt wieder Wien sein.


Der Meeresboden – das Benthal – wird von einer Vielzahl von Tieren verschiedener Arten und Größenklassen bewohnt. Diese werden als "benthische Fauna" oder "Benthos" bezeichnet. Alle benthischen Größenklassen – von Mikrobenthos, das kleiner als 0,06 Millimeter ist, bis zu Megabenthos, den Tieren die bereits mit freiem Auge auf Fotos oder Videos erkennbar sind – sind an bedeutenden Ökosystemprozessen wie beispielsweise an der Speicherung von Kohlenstoff oder an Nährstoffkreisläufen beteiligt. Die Megafauna – im Bild – arktischer Schelfe ist oft von Stachelhäutern wie Seesternen und Schlangensternen dominiert. (Foto: B. Bluhm und K. Iken)

Frau Degen, warum ist das arktische Benthos von solch großer Bedeutung? 
Renate Degen: Die Arktischen Schelfmeere machen fast 50 Prozent der Fläche des gesamten Arktischen Ozeans aus. Unser Studiengebiet umfasst davon die Barentssee, die Tschuktschensee, die Laptewsee, sowie die angrenzenden Hänge und Tiefseebecken. Die Vielfalt der Arten stellt auch eine wesentliche Nahrungsquelle von kommerziell relevanten (Fisch)arten wie Kabeljau, Heilbutt oder Eismeergarnele dar. Darüber hinaus ist das Benthos an geochemischen Prozessen beteiligt, die das gesamte marine und somit auch das globale Kohlenstoffbudget beeinflussen.

Von vielen dieser benthischen Funktionen wie Klimaregulation, Nahrung oder auch Küstenschutz profitieren also auch wir Menschen, man spricht in dem Zusammenhang dann von sogenannten Ökosystemdienstleistungen. Heute steht dieses arktische Ökosystem aber noch nie dagewesenen Veränderungen durch den Klimawandel gegenüber, die Konsequenzen können wir bis jetzt nur schwer abschätzen.

Ihr Studiengebiet ist ja auch räumlich sehr umfangreich. Mit welchen Methoden gehen Sie an dieses Projekt heran? 
Degen: Ja, es ist ein sehr breites Forschungsgebiet und dieser großflächige Ansatz ist nur mithilfe internationaler Kooperationspartner möglich. Gemeinsam mit Bodil Blum von der Arctic University Tromsö und Monika Bright vom Department für Limnologie und Bio-Ozeanographie der Universität Wien haben wir das Projekt skizziert. Wir werden die "Biological Trait Analysis" (BTA) anwenden, um die Gesamtheit aller Lebensaktivitäten benthischer Fauna zu untersuchen. Die Faunadaten werden von WissenschafterInnen zur Verfügung gestellt, die an definierten Forschungsstationen das Material erhoben haben. Die Daten der Makro- und Megafauna werden dann entlang eines Tiefengradienten analysiert – von seichten Schelfgebieten – bis maximal 500 Meter Tiefe – über die Kontinentalhänge – bis zu 3.000 Meter Tiefe – bis hin zu Tiefseebecken, die über 3.000 Meter tief sind.

Im Rahmen des Projekts entwickeln Sie außerdem eine Online Plattform für den Datenaustausch?
Degen:
Ja, denn in diesem Projekt ist der Austausch von ökologischem ExpertInnenwissen – genauer gesagt von Informationen über Lebenszyklus, Morphologie und Verhalten der arktischen Meeresorganismen – ganz besonders wichtig. Und zu diesem Zweck entwickeln wir in Kooperation mit der Interactive Media Systems Group (IMS) der TU Wien – im Rahmen einer Masterarbeit – eine interaktive Online Plattform, über die sich ExpertInnen vernetzen und ihr Wissen austauschen können.

Welche Ergebnisse erwarten Sie sich am Ende des Projekts?
Degen: Die gesammelten ökologischen Informationen werden gemeinsam mit den Stationsdaten und Umweltdaten in einer relationalen Datenbank gespeichert. Durch die Auswertung dieser Datenbank mithilfe der BTA können wir schließlich mehr über die Funktionen der jeweiligen Ökosysteme erfahren. Die Online Plattform soll nach Beendigung des Projektes übrigens auch einer breiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Ich möchte außerdem herausfinden, welche Umweltparameter mit den beobachteten Funktionsmustern in Verbindung stehen. So können wir womöglich Rückschlüsse ziehen, welche Regionen und Funktionen besonders störanfällig für die Klimaveränderung sind und welche Auswirkungen im Hinblick auf die benthischen Ökosysteme zu erwarten sind.

Sie haben ja selbst bereits Expeditionserfahrungen gesammelt. Nun sind Sie für die Projektdauer mehr oder weniger an den Schreibtisch gebunden. Werden Sie die Arbeit vor Ort vermissen?

Degen: Ja, ich war schon an mehreren Expeditionen beteiligt, unter anderen mit dem Forschungseisbrecher "Polarstern". Das Tolle an den größeren Expeditionen ist, dass so viele WissenschafterInnen aus unterschiedlichsten Fachbereichen auf engstem Raum zusammenarbeiten müssen. Das erfordert genaueste Absprachen und Koordination untereinander. Bei kleineren Expeditionen habe ich immer den fachlichen Austausch mit anderen BenthologInnen genossen – da kann man dann im wahrsten Sinne des Wortes "in die Tiefe" gehen.

Aber auch die Arbeit am Schreibtisch, die Analyse und die Beschäftigung mit Fachliteratur, ist eine lohnende Herausforderung – und außerdem gibt es ja zahlreiche Möglichkeiten, sich direkt mit den einzelnen Kooperationspartnern zu vernetzen – sowohl auf technisch-digitaler Ebene als auch bei internationalen Konferenzen oder Workshops. Eine gute Gelegenheit dazu gibt es bereits kommenden Dezember, bei einem internationalen Workshop, den wir hier an der Universität Wien veranstalten werden.

Im Rahmen des Hertha-Firnberg-Programms des FWF leitet Renate Degen vom Department für Limnologie und Bio-Ozeanographie der Universität Wien das dreijährige Projekt "Benthische Ökosystem Funktionen arktischer Schelfs, Hänge und Tiefseebecken".