Bitt'schön euer Gnaden

Justiz und Recht waren im Mittelalter Sache des Kaisers. Wollten Untertanen ihr Recht einfordern oder um Gnade bitten, blieb oft nur eine Möglichkeit: Eine Supplik schreiben. Diese historischen Bittschriften aus dem 15. Jahrhundert stehen im Fokus von Christian Lackners ÖNB-Jubiläumsfonds-Projekt.

Das Grundstück verspielt, in die Armut getrunken oder zu hohe Steuern. Die Gründe, den Kaiser um etwas zu bitten, waren im Mittelalter vielfältig. Über eine Bittschrift, eine sogenannte Supplik, konnten Untertanen Kontakt mit dem Hof herstellen und ihre Anliegen vorbringen. Christian Lackner vom Institut für Geschichte beschäftigt sich in seinem aktuellen Forschungsprojekt mit der Entstehung und dem sozialen Hintergrund dieser Schriftstücke. 

Ein Stück Sozialgeschichte

Anhand der Bittschriften können die Historiker nicht nur die Bedürfnisse der BittstellerInnen erforschen, sie verraten auch viel über die sozialen Strukturen des 15. Jahrhunderts. Dort waren Suppliken eine übliche Form der Kommunikation mit hierarchisch höher gestellten Personen. Dass diese Informationen bis heute noch nicht aufgearbeitet wurden, liegt vor allem an der Überlieferung.

Bittschriften wurden am habsburgischen Hof des Spätmittelalters nicht eigens archiviert, sondern häufig in anderen Zusammenhängen und an verschiedenen Orten aufbewahrt. Heute lagern sie vor allem in Wien, aber auch in Innsbruck. Lackner und sein Projektmitarbeiter Daniel Luger haben viel Zeit investiert, um diese bislang kaum beachteten Schriftstücke zu erschließen und darüber hinaus auch weitere, erzählende Quellen wie Tagebücher oder juristische Dokumente zum spätmittelalterlichen Supplikenwesen zu finden.

Teure Mittelsmänner

Ziel des Projekts ist es, neben der Dokumentation der Suppliken auch den Kontext ihrer Entstehung zu verstehen. Zwar konnten Angehörige aller sozialen Schichten eine Bittschrift vorbringen, in den wenigsten Fällen wurden sie jedoch von ihnen selbst verfasst. Aufschluss bringt eine quellenkundliche Analyse: Wortwahl, Satzstellung und Schrift geben Hinweise darüber, ob die VerfasserInnen mit dem höfischen Brauch vertraut waren.

Auch der formale Aufbau folgte – von der Anrede bis zur Schlussformel – häufig dem gleichen Muster. Wer diese Regeln nicht kannte oder nicht schreiben konnte, bat einen Höfling oder landesfürstlichen Amtsträger, das Schriftstück aufzusetzen und dem Kaiser vorlegen zu lassen. "Das war aber wiederum mit Kosten verbunden", berichtet Luger von den Forschungsergebnissen. Einen Mittelsmann konnten sich nicht alle leisten.

Geld oder Gnade


Warum Untertanen Bittgesuche formulieren, hing auch stark von der politischen Lage ab. Zu Kriegszeiten etwa hofften Händler mit dem Argument, die Straßen seien zu unsicher, auf eine Entschädigung für ihren Geschäftsausfall. Manchmal ging es aber auch sehr persönlich zu. Als Beispiel nennt Luger eine Supplik um einen Wiener Mordfall: "Der Angeklagte schildert in seiner Bittschrift an den Kaiser detailliert, wie es am Friedhof von St. Stephan zu den Streitigkeiten kam, um so Gnade zu erwirken." Auffallend oft wurden Suppliken von Frauen eingebracht, die den aufwändigen Lebenswandel ihres Mannes oder ihren großen Kinderreichtum anführten. "Ziel jeder Supplik war, die eigenen Lebensumstände zu verbessern, oft in finanzieller Sicht", schildert Luger.

Wie lange die Reise eines schriftlichen Bittgesuchs gedauert hat, von der Erstellung bis zur Erledigung, ist nur selten überliefert. Allerdings lässt sich mitunter anhand von mehreren Suppliken zum selben Thema erkennen, dass sich eine Sache oft jahrelang hinzog. Nur auf manchen erhaltenen Suppliken ist das kaiserliche "Fiat" für "Es geschehe" vermerkt.

Ohne Supplik in die Republik

Im Laufe der vergangenen Jahre sind deutlich mehr Quellen aufgetaucht, als die Wissenschafter anfangs vorhergesehen hatten. Neben einer Publikation der Quellenauswertung ist nun geplant, die Dokumente in einer digitalen Datenbank zu erschließen und öffentlich zugänglich zu machen.

Die Tradition der Bittschriften wurde an den habsburgischen Herrscherhöfen bis in die Neuzeit hinein gelebt. Die Tugend, als Kaiser ein "offenes Ohr" zu haben, habe man schon Karl dem Großen nachgesagt, erzählt Luger. Dennoch verschwindet mit der Gründung der Republik 1918 auch die große Zahl an Bittschriften, wie er erklärt: "Wenn es keinen Monarchen mehr gibt, der Gnadenakte vollführen kann, ist natürlich auch das Supplikenwesen weitgehend obsolet. Allerdings sind einzelne Reste dieser Institution bis heute in der österreichischen Bundesverfassung vorhanden. Die Weihnachtsbegnadigungen des Bundespräsidenten oder das Petitionswesen im Parlament haben ihre Wurzeln im Supplikenwesen." (pp)

Das ÖNB-Jubiläumsfonds-Projekt "Das spätmittelalterliche Supplikenwesen am römisch-deutschen Herrscherhof (1440-1493)" läuft unter der Leitung von Univ.-Prof. Mag. Dr. Christian Lackner und unter Mitarbeit von Univ.-Ass. MMag. Dr. Daniel Luger von 1. Februar 2016 bis 28. Februar 2018.