Wenn Blut fließt – Rezensionen als Forschungsobjekt

WissenschafterInnen und Verlage tun es, aber auch viele LeserInnen und KäuferInnen von Büchern im Internet: Sie verfassen, veranlassen bzw. lesen Rezensionen. In seinem Gastbeitrag beschäftigt sich der Historiker Martin Scheutz von der Universität Wien mit der Rezension als Forschungsobjekt.

Rezensionen sind eine wichtige Textsorte der Information, die nicht nur in- und ausländische Qualitätszeitungen (meist in den Wochenendbeilagen) auszeichnet, sondern sie gelten auch als ein wichtiger Bestandteil von Periodika verschiedenster Fachdisziplinen. Neuerscheinungen werden in eigenen Rezensionsteilen von wissenschaftlichen Zeitschriften durch ausgewiesene Fachleute eingehend besprochen und ermöglichen einer interessierten Fachöffentlichkeit rasche und kritische Information über Neuerscheinungen. Nach unserem heutigen Verständnis sollten Rezensionen keine Freundschaftsdienste sein, sondern aus kritischer Distanz und mit dem Anspruch eines ausgewogenen Urteils, das unparteiisch Stärken und Schwächen des Buches fair benennt, verfasst werden.

Ungeschriebene Geschichte der Rezension

Die Geschichte der Rezension in Europa ist bislang noch nicht geschrieben. Die frühesten Auseinandersetzungen mit fremden Druckwerken haben ihre Wurzeln in der Auseinandersetzung der protestantischen und katholischen Gelehrtenwelt der Frühen Neuzeit um die jeweilige konfessionelle "Wahrheit". Protestantische Zeitschriften begannen zuerst, Literatur kritisch oder bloß nacherzählend "anzuzeigen", die katholischen Zeitschriften folgten mit einigem Abstand nach.

Erst im 19. Jahrhundert, als sich Standards für Wissenschaftlichkeit zu festigen begannen, avancierten Gründlichkeit, bibliographische Genauigkeit und Vollständigkeit, Quellenerschließung und Souveränität der Darstellung zu unterschiedlich gewichteten Kriterien in der Beurteilung von wissenschaftlichen Werken. In der Gründungswelle der wissenschaftlichen Zeitschriften ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gerieten diese Rezensionsteile mitunter zu Schlachtfeldern, auf denen Terrain verteidigt bzw. Neuland erobert werden sollte.

Vielfach standen sich bei den Herausgebergruppen verfeindete Bündnissysteme von Wissenschaftern gegenüber, die mitunter scharf und überaus kritisch die Ergebnisse anderer Forschungstraditionen besprachen. Auf eine Kritik folgte rasch eine Gegenkritik – nicht immer in derselben Zeitschrift. Richtige Rezensionsfehden – nahezu mit Duellen vergleichbar – entbrannten auf diese Weise, die schwer und oft via Gericht oder Duell wieder in "zivilisierte" Bahnen zu lenken waren.


Heinrich (Ritter von) Srbik (1878–1951) reagierte auf eine Rezension seiner Edition zu Österreichischen Staatsverträgen im April 1914 durch Gustav Turba (1864–1935) empört. In einem Brief an einen Wiener Historiker schreibt er: "Du glaubst nicht, wie mich diese Sache alteriert". Turba sei ein "ganz gemeiner Kerl", seine Rezension eine "Läusesucherei" und eine "lächerliche Klügelei". Srbik ließ die beanstandeten Stellen im Wiener Staatsarchiv kollationieren und schrieb eine scharfe Entgegnung und ortete dann beim "Gegner" aufgrund seiner Entgegnung "schwere Schnitte mit Arteriendurchschlag". Srbik schrieb übrigens 1935 – milde gestimmt – den Nachruf auf Gustav Turba ("ein gläubiger Katholik und ein dynastisch gesinnter Österreicher"). (Bild: ÖNB, Pb 580.555-F 497, Abb. 2).



Die Rezension als Bühne


Am Beispiel der 1880 gegründeten "Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung" (MIÖG) unternehmen mehrere AutorInnen (Christine Ottner, Martin Scheutz, Ursula Klingenböck; Ines Peper und Thomas Wallnig behandeln frühe konfessionelle Zeitschriften) im aktuellen Frühjahrsheft dieser Zeitschrift 2013 den Versuch, den kaum untersuchten Forschungsgegenstand Rezensionen unter die "geschichtswissenschaftliche Lupe" zu nehmen.

Die Rezension als Textsorte, die zwischen Schablone und höchst eigenständigem Text angesiedelt ist, erfährt dabei als ein Mittel der Information, der Wissenschaftsgeschichte und der Netzwerkbildung kritische Betrachtung. Rezensionskartelle und Rezensionsfehden lassen sich oft erst durch genaue Lektüre von hunderten Rezensionen erkennen. Die Besprechungen zeigen aber auch das Netzwerk, vor dem sich eine Fachdisziplin etabliert und inszeniert, weil auf die Bühne der Rezension oft nur bestimmte Autorinnen und Autoren gebeten wurden.
Mitunter suchte man gezielt "scharfe" und gnadenlose RezensentInnen, die das Richtschwert über mehr oder weniger geschätzte FachkollegInnen schwenken sollten.



Beispiel einer Rezensionsfehde in der MIÖG 44 (1930, 526-528) wo eine "Duplik" und andere Texte die erbitterten Auseinandersetzungen um "Wissenschaftlichkeit", "Gründlichkeit" oder etwa bibliographische Vollständigkeit belegen.



Auf der Grundlage der Rezensionskultur der MIÖG zwischen 1918 und 1939 lassen sich Rezensionen als Schauplätze verstehen, wo die Ehre von WissenschafterInnen angegriffen, Chancen auf anstehende Besetzung von freien Professuren, nationale Streitigkeiten und Ethnizität verhandelt, aber auch gönnerhaftes Lob und Zustimmung verteilt wurden. Neue Forschungsgebiete können im Feld der Rezension skizziert oder auch verdammt, methodische Herangehensweise hinterfragt und gelobt werden. Mitunter dienen die Rezensionen als Beweis, dass der Rezensent dem Gegenstand deutlich besser gewachsen gewesen wäre als der Autor.

Wie Rezensionen wirken

Im Kontrast der erhaltenen Rezension mit Briefen oder Tagebüchern sieht man erst die Wirkungsweise der Rezension auf AutorInnen, die durch Lob und Kritik entweder geschmeichelt oder, aufs höchste ergrimmt, zornig auf Rache in Form einer Replik sannen. "Man sollte Rezensionen nicht lesen. Es ist zu viel Gewissenlosigkeit und Dummheit in diesen literarischen Kryptogrammen" notierte Josef Redlich am 18. Juni 1903 in seinen Tagebüchern – gelesen hat er die Rezensionen seiner Bücher aber dann doch ziemlich genau …


LESETIPP:
Die aktuellen "Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung" (erschienen bei Böhlau) erkunden die Forschungslücke "Rezensionswesen".



Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Martin Scheutz ist am Institut für Geschichte der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät und am Institut für Österreichische Geschichtsforschung – eine Forschungseinrichtung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung in Kooperation mit der Universität Wien – tätig.