Welchen Einfluss hat Ernährung auf die Artenvielfalt?

Menschen sind widersprüchlich. Sie stellen hohe Ansprüche an ihre Lebensmittel (biologisch, fair etc.), bei der Kaufentscheidung zählt aber letztlich nur der Preis, erklärt Ernährungswissenschafter Jürgen König. Das geht auf Kosten von Arten- und Geschmacksvielfalt. Im Bild ein Porträt von Jürgen König.

Von den über 2.000 Apfelsorten, die es in Österreich gibt, finden sich nur zehn im Supermarkt. Warum? Weil wir sie am liebsten kaufen: Sie sind günstig, schauen immer gleich aus, lassen sich gut bearbeiten. Im Gastbeitrag zur Semesterfrage erklärt Jürgen König den Zusammenhang zwischen Essverhalten und Artenvielfalt.

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
die eine will sich von der andern trennen:
Die eine hält in derber Liebeslust
sich an die Welt mit klammernden Organen;
die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
zu den Gefilden hoher Ahnen.


Diese Worte lässt Goethe seinen Doktor Faust sagen, und sie beschreiben das menschliche Handeln auch hinsichtlich seiner Ernährung sehr gut – unsere innerliche Zerrissenheit zwischen dem Streben nach "Höherem" und dem Drang zum Hedonismus. Bei der Frage nach dem Einfluss der Ernährung auf die Artenvielfalt ist daher als erstes zu überlegen, wie wir unsere Essentscheidungen treffen und welche Faktoren unser Essverhalten und unsere Lebensmittelauswahl beeinflussen.

Erst kürzlich veröffentlichte das deutsche Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Zuge der Diskussion um eine erweiterte Nährwertkennzeichnung die Ergebnisse einer Umfrage, die auch die Kriterien der Lebensmittelauswahl erhob. Laut dieser Umfrage sind Frische und Haltbarkeit und der Geschmack die beiden wichtigsten Punkte für die Kaufentscheidung. Ähnliche Daten finden sich auch im Eurobarometer: Hier geben 96 Prozent der Befragten an, dass ihnen die Qualität "sehr wichtig" bzw. "ziemlich wichtig" sei.

EVENT-TIPP: Podiumsdiskussion zur Semesterfrage

Am Montag, 13. Jänner 2020, findet im Großen Festsaal der Universität Wien die Abschlussveranstaltung zur Semesterfrage "Wie schützen wir die Artenvielfalt?" statt. Katrin Böhning-Gaese hält den Impulsvortrag und diskutiert mit Franz Essl, Alice Vadrot, Luc Bas und Kathi Schneider unter der Moderation von Martin Kotynek (DerStandard).

Beobachtet man die Menschen, wie sie sich tatsächlich verhalten, ergibt sich jedoch, dass nur vier Prozent sich auch an das halten, was sie für richtig halten und am Ende ein einziges Kriterium für unsere Konsumentscheidung bei Lebensmitteln ausschlaggebend ist: der Preis.

Hohe Qualität zu niedrigen Preisen


Nun kann man trefflich darüber streiten, ob hohe Lebensmittelpreise soziökonomisch akzeptabel sind. Fakt ist jedoch, dass die Ansprüche, die wir an unsere Lebensmittel stellen (biologisch, regional, saisonal, ethisch, ökologisch, fair, usw.), zu den derzeitigen Preisen nicht erfüllbar sind. Und eine Folge niedriger Lebensmittelpreise ist schlicht die Notwendigkeit von Spezialisierung und effizienter Massenproduktion, da sich nur so die geringen Margen für die Lebensmittelproduktion wirtschaftlich rechnen.

Dennoch erwarten wir zu den Preisen, die wir bereit sind, für Lebensmittel zu bezahlen, eine hohe Qualität. Wir bekommen diese hohe Qualität auch – unsere Lebensmittel sind (entgegen der landläufigen Meinung) so sicher wie nie zuvor und dazu noch praktisch ständig und überall verfügbar.

Bequemlichkeit sticht Geschmacksvielfalt


Dieser Widerspruch der zwei Seelen in unserer Brust führt aber nun in der Tat dazu, dass die Vielfalt innerhalb der einzelnen Lebensmittelkategorien immer geringer wird. So finden sich von den etwa 2.000 Apfelsorten, die es in Österreich gibt, nur zehn im Supermarkt. Warum? Weil wir nur diese Sorten kaufen, da sie sich zu niedrigen Preisen so produzieren lassen, dass sie immer gleich aussehen, gleich schmecken, sich gut lagern, gut bearbeiten, gut standardisieren lassen. Wir kaufen keine Äpfel, die unterschiedlich groß sind, die eine fleckige Schale haben oder nicht gleichmäßig geformt sind.

Ähnlich sieht es bei nahezu jedem anderen Lebensmittel aus: Wer einmal einen Kipfler oder eine Vitelotte (Anm.: Erdäpfelsorten) geschält hat, wägt am Ende zwischen Bequemlichkeit und Geschmacksvielfalt ab – und entscheidet sich für die Bequemlichkeit. 


Erdäpfel sollen möglichst immer gleich groß sein, damit wir sie ohne großes Sortieren kochen können, und sie sollen eine glatte Außenhaut haben, damit wir sie ohne große Mühe schälen können. (© pxhere.com)

Sich Artenvielfalt etwas kosten lassen

Aber nicht nur die Geschmacksvielfalt leidet unter unserem Hang zur Bequemlichkeit, auch der Nährstoffgehalt wird hierdurch beeinträchtigt. So wird der Rückgang der ernährungsphysiologischen Qualität von Lebensmitteln weniger mit veränderten Anbaubedingungen, sondern eher mit dem Rückgang der Artenvielfalt begründet.

Wir könnten also durch unser Ernährungsverhalten einen erheblichen Einfluss auf die Erhaltung der Artenvielfalt haben. Das funktioniert aber nur, wenn wir wieder bereit sind, diese auch zu bezahlen. Als Gegenleistung bekommen wir dafür eine bessere ernährungsphysiologische Qualität und vor allem eine Erweiterung unseres Geschmacksspektrums, dessen Nuancen wir erst wieder schätzen lernen müssen.

Artenschutz im Alltag – Tipp von Jürgen König:

"Nutzen wir wieder die Vielfalt der verschiedenen Lebensmittel, indem wir nicht nur dem "Mainstream" aus dem Supermarkt folgen, sondern wieder mehr auf dem Wochenmarkt und bei kleineren HändlerInnen einkaufen, die auch Produkte abseits des Massenmarktes anbieten. Wir sollten uns nicht von Einheitsgröße und Gleichförmigkeit blenden lassen, sondern das Angebot genießen, das uns die Natur bietet."

Jürgen König ist Leiter des Departments für Ernährungswissenschaften der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien und Professor für Spezielle Humanernährung. Seine Arbeitsgruppe beschäftigt sich hauptsächlich mit der Regulation von Hunger und Sättigung auf physiologischer Ebene unter dem Einfluss nicht physiologischer Reize.