Was werden zukünftige Generationen über unseren Umgang mit der Erde denken?

Janina Loh in Fukushima

Ein Filmteam hat Technikphilosophin Janina Loh von der Universität Wien für den aktuellen Kinofilm "Wer wir waren" bis nach Fukushima begleitet. Vor der Kamera reflektiert sie darüber, wie nachfolgende Generationen unseren Umgang mit der Erde bewerten werden. Jetzt Tickets gewinnen!

uni:view: Worum geht es in dem Film "Wer wir waren"?
Janina Loh:
Der Film orientiert sich an der gleichnamigen Rede des 2016 verstorbenen Bestsellerautors und früheren Fernsehmoderators Roger Willemsen und betrachtet die Welt aus der Perspektive sechs unterschiedlicher Wissenschafter*innen und Expert*innen. Es geht um die Frage, wie zukünftige Generationen im Rückblick auf unsere Gegenwart uns und unser Treiben auf diesem Planeten einschätzen würden.

uni:view: Im Film blicken Sie also in die Zukunft: Was werden zukünftige Generationen über uns denken, wenn wir bereits Geschichte sind?
Loh:
In der Tat. Wobei wir, also die Wissenschafter*innen und Expert*innen, die Protagonist*innen des Films, nicht eigentlich in die Zukunft blicken. Sondern wir blicken aus unserer jeweiligen disziplinären Perspektive auf die Welt und auf die Gesellschaft, fragen, wie mit ihr umgegangen wird und schätzen die Lage mit unserem jeweiligen disziplinären Hintergrund ein. Dabei ist die Reflexionsfolie aber eben immer die Frage, was wohl zukünftige Generationen über uns denken werden. Ich bin zwar aus vermutlich offensichtlichen Gründen im Film auch wütend und empört, formuliere aber auch eine Hoffnung, nämlich die, dass zukünftige Generationen zumindest unsere Bemühungen sehen werden, eine bessere Welt zu schaffen.


uni:view: Im Film sind Sie als Expertin gefragt – worum geht es in Ihrer Forschung?

Loh:
Ich bin Philosophin und unter anderem im Bereich der Roboterethik tätig, die für den Film auch wesentlich war. Als kritische Posthumanistin arbeite ich an einer nicht-humanistischen gesellschaftlichen Utopie und entwickle derzeit eine Ethik, die auf einem prozessontologischen Fundament ruht, die ich "inklusive Ethik" nenne. Es ist, kurz gesagt, eine Ethik, welche die Beziehungen, sozusagen das "Dazwischen" (also die Relationen), in den Mittelpunkt des Interesses stellt und nicht diejenigen, die Beziehungen führen und moralisch handeln (die sogenannten "Relata"). Es ist eine Ethik, die in einer gedachten Zukunft die Speziesgrenzen als moralisch irrelevant oder doch zumindest als nicht mehr sehr relevant einstuft.

MOOC "Digitales Leben"
Bewusstsein für Potenziale und Risiken der Digitalisierung entwickeln und die Tragweite und Folgen des digitalen Wandels beurteilen können – das lernt man im Massive Open Online Course (MOOC) "Digitales Leben" von Fares Kayali. Janina Loh hält im Rahmen des MOOC eine Lektion zum Thema Roboterethik.

uni:view: Warum ist es wichtig, wissenschaftliche Erkenntnisse und Theorien mit der Öffentlichkeit zu teilen – auch mal in einem Kinofilm?
Loh:
Weil wir nur gemeinsam etwas am Gang der Dinge ändern können. Die Zukunft unserer Gesellschaft und unseres Planeten hängt nicht allein von der wissenschaftlichen Expertise und der ökonomischen Elite ab. Wir alle tragen eine (Teil-)Verantwortung dafür, an einer Gesellschaft mitzuwirken, in der wir gerne leben wollen.  

uni:view: Als Wissenschafterin sind Filmarbeiten nicht Ihr "daily business". Wie haben Sie den Dreh erlebt?
Loh:
Es war sehr aufregend. Ich bin ja kein*e Schauspieler*in, und zum Glück wurde von mir auch nicht verlangt zu schauspielern. In Japan lief es für gewöhnlich so, dass ich morgens zwischen fünf und sechs Uhr "verkabelt" wurde. Ab dem Moment war dann quasi nonstop eine Kamera auf mich gerichtet und das Mikro wurde mir erst abends wieder abgenommen. Der Filmregisseur Marc Bauder und ich haben uns aber enorm gut verstanden und im Filmteam herrschte eine angenehme Atmosphäre. Und dann bin ich auch ein recht angstbefreiter Mensch. (lacht) Nach kurzer Zeit schon habe ich die Kamera einfach vergessen und war dann auch so eingenommen von den Gesprächen mit den Robotiker*innen und in Fukushima so überwältigt von meinen Emotionen, dass ich gar nicht anders konnte, als einfach so zu sein, wie ich nun mal bin. Die Dreharbeiten haben mich enorm geprägt und ganz konkret den Grundstein für mein viertes Buch gelegt. Ich bin sehr dankbar für die Möglichkeit, am Film mitzuwirken und für die Erfahrungen, die ich dadurch machen durfte. 

Janina Loh (geb. Sombetzki) ist PostDoc im Bereich Technik- und Medienphilosophie an der Universität Wien. Zu ihren Forschungsinteressen zählen der Trans- und Posthumanismus, Roboterethik, feministische Technikphilosophie, Verantwortungstheorien, Theorien der Urteilskraft und Ethik in den Wissenschaften. Janina Loh schreibt regelmäßig im Think Tank von falter.at und Universität Wien über brisante Themen, die unsere Gesellschaft bewegen.

uni:view: Da sind wir jetzt neugierig geworden – worum wird sich Ihr nächstes Buch drehen?
Loh: Wie ich gerade bereits angedeutet habe, entwerfe ich derzeit eine inklusive Ethik auf einem prozessontologischen Fundament. Sie stellt eine Weiterentwicklung der Unterscheidung zwischen exklusiver und inklusiver Ethik dar, die ich in meiner Roboterethik eingeführt habe. Ich bin indes mit dem Dualismus nicht zufrieden, den ich hier formuliere, weiß aber gerade einfach keinen besseren Begriff dafür. Meine inklusive Ethik entwickle ich mit Rekurs auf und im Weiterdenken von Donna Haraways Konzept der Gefährt*innenschaft am Beispiel der Wissensräume, also der Orte, an denen Wissen entsteht und produziert wird – etwa der Universitäten. Wie würde eine prozessontologische Ethik der Gefährt*innenschaft die Wissensschaffung und -produktion verändern? Das ist eine der Kernfragen, mit denen ich mich gerade auseinandersetze.

Aus dem Buch zum Film
"Donna Haraway und Karen Barad drehen das Verhältnis um, wenn sie sagen, dass die Beziehungen den Wesen vorausgehen: (...) Eigentlich sind wir konstant und dauernd in Beziehungen eingebunden, durch die wir erst entstehen. Für gewöhnlich sagen wir, dass zwei oder mehr Menschen eine Liebesbeziehung eingehen, dass sozusagen aus dem Aufeinanderprallen dieser Handlungssubjekte eine Beziehung entsteht. (...) Wir kennen alle den Satz, dass uns Beziehungen verändern, sogar zu 'neuen' oder 'ganz anderen' Menschen machen können. Haraway und Barad radikalisieren dieses Denken, indem sie sagen, dass Beziehungen 'uns' erst entstehen lassen."


Janina Loh (2021): "Über das Ungeheure und die Technik. Reisenotizen aus Japan". In: Marc Bauder, Lars Abromeit (Hrsg.): Wer Wir Waren. Das Buch zum Film. DK, S. 182.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (hm)