Was machen wir überhaupt noch im Büro?
| 20. Mai 2020Momentan läuft Homeoffice unter der Überschrift Ausnahmesituation, doch wir können einiges für unsere zukünftige Arbeitsweise lernen. Arbeitspsychologe Christian Korunka untersucht in einer aktuellen Studie, wie Beschäftigte die neue Situation meistern. Spoiler: Vieles gelingt daheim erstaunlich gut.
uni:view: Homeoffice – was bedeutet das aus arbeitspsychologischer Sicht?
Christian Korunka: Homeoffice hat als Telearbeit begonnen – das klingt heutzutage schon fast altmodisch. Ein passender wissenschaftlicher Begriff dafür wäre "entgrenzte Arbeit", wir erledigen Aufgaben zeitlich und örtlich ungebunden. Der Motor hinter dieser Arbeitsform ist die entsprechende Informations- und Kommunikationstechnologie, die sich in den letzten Jahren rasant entwickelt hat. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass wir bei Homeoffice nur von gewissen Tätigkeiten sprechen, etwa Büro- und Wissensarbeiten. Die EU geht von ungefähr 18 Prozent mobiler Arbeitsplätze aus. Wir vermuten, dass in der derzeitigen Krise die Anzahl der Heimarbeiter*innen auf maximal 25 Prozent gestiegen ist.
uni:view: Was gelingt im Homeoffice gut, wo liegen die Herausforderungen?
Korunka: Homeoffice ist ein spannendes (Forschungs-)Thema; nahezu jeder Vorteil geht gleichzeitig auch mit einem Nachteil einher – das zeigen auch die Zwischenergebnisse unserer Studie: Man kann ungestört arbeiten, vereinsamt aber dabei. Familie und Job lassen sich vereinbaren, doch fällt es schwer, die Work-Life-Balance zu wahren. Wir können autonom arbeiten, die Strukturierungsarbeit, die damit einhergeht, ist jedoch enorm herausfordernd. Der derzeitige Wandel hat ein hohes Potenzial, birgt aber auch Gefahren. Fazit: Auf die Gestaltung kommt es an.
uni:view: Wie Beschäftigte ihr Homeoffice gestalten, erheben Sie an der Fakultät für Psychologie in einer Online-Studie – worum geht es Ihnen?
Korunka: Wir wollten die Krise als wissenschaftliche Möglichkeit nutzen und haben eine relativ große Stichprobe im Laufe einer Arbeitswoche täglich nach ihren Erfahrungen gefragt. Wir planen eine Wiederholung im Herbst, um die Unterschiede zu erheben und zu lernen, was von der Krise geblieben ist.
uni:view: Können Sie von ersten Ergebnissen berichten?
Korunka: Es zeichnet sich ab, dass die Arbeit im Homeoffice sehr motivierend und produktiv ist – das bestätigt auch die bisherige Forschung in diesem Bereich. Die Arbeit ist intensiver, die Pausen sind kürzer und die Überstunden häufen sich. Besonders gut gelingen konzentrative Tätigkeiten oder Kreativaufgaben in Einzelarbeit.
Überall dort, wo betreuungspflichtige Kinder im Haushalt leben, berichten die Beschäftigten von besonderen Herausforderungen und Arbeitsunterbrechungen. Frauen sind davon mehr betroffen und wir sehen ein Risiko, dass die derzeitige Situation traditionelle Rollenbilder verstärkt. Ein weiterer Aspekt ist die Arbeitsausstattung im Homeoffice, die entspricht laut Angaben der Befragten nicht den ergonomischen Standards – da muss langfristig nachgebessert werden.
uni:view: Die Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 werden gelockert und für viele geht es zurück ins Büro. Was bietet uns das Büro – abseits vom ergonomischen Sessel?
Korunka: Der Mensch ist ein soziales Wesen und die informelle Kommunikation – das kurze Plaudern in der Pause etwa – findet im Homeoffice nicht bzw. anders statt. Welchen Stellenwert das Miteinander für das soziale Klima und die Mikropolitik in einem Unternehmen hat, ist eine interessante Frage, die sich nur schwer quantifizieren lässt. Doch es gibt Studien, die zeigen, dass die Gespräche zwischen Tür und Angel mitunter Karriereverläufe beeinflussen – wenn Kolleg*innen weiterempfohlen werden oder man von frei werdenden Positionen erfährt. Aktuell werden eingespielte Riten wie das gemeinsame Mittagessen oder Kaffeepausen virtuell simuliert, doch das kann unsere sozialen Bedürfnisse wohl nicht ganz befriedigen.
uni:view: Was lernen Sie als Arbeitspsychologe aus dem auferlegten Homeoffice?
Korunka: Ich leite den postgraduellen Universitätslehrgang "Psychotherapeutisches Propädeutikum", den wir kurzerhand zu einem virtuellem Präsenzlehrgang umbauen mussten. Ich habe die Softwaremöglichkeiten und das Unterstützungsangebot der Universität Wien dabei sehr schätzen gelernt. In gewissen seminaristischen Kontexten geht der Unterschied zwischen Präsenz- und virtueller Lehre gegen null. In Zukunft werde ich mir einiges davon mitnehmen: zum Beispiel meine Sprechstunden flexibler gestalten und Beratung auch online anbieten.
uni:view: Ihre Webcam gewährt uns einen Blick in Ihr Bücherregal. Unter anderen Umständen hätten wir Sie nicht in Ihren Privaträumen angetroffen – und nie gewusst, dass Sie einmal in Guatemala waren.
Korunka: Als Kommunikationspartner*in gewinnt man in Zeiten von Videochat Einblicke, die man sonst nicht hat. Es werden ganz klar Intimitätsgrenzen überschritten. Der Blick auf die Reiseführer des Gegenübers ist da harmlos, anders ist es vielleicht bei Unordnung oder einer eher außergewöhnlichen Sammelleidenschaft. Es erinnert mich ein wenig an die Zeit, in der Menschen noch unreflektiert Fotos mit dem Feierabendbier auf Facebook gepostet haben. Man hat rasch gelernt, damit umzugehen und gewisse Aspekte des Privatlebens nicht zu teilen, die einem vielleicht im nächsten Bewerbungsgespräch zum Verhängnis werden könnten. Was den Hintergrund beim Videochat betrifft, werden wir einen ähnlichen Lernprozess durchlaufen – und in Zukunft vermehr auf technische Ausblendung setzen.
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Von neuen familiären Abläufen bis hin zu den Auswirkungen auf Logistikketten: Expert*innen der Universität Wien sprechen über die Konsequenzen des Corona-Virus in unterschiedlichsten Bereichen. (© iXismus/Pixabay)
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uni:view: Deutschlands Arbeitsminister Hubertus Heil denkt über ein "Recht auf Homeoffice" nach. Ist das auch in Österreich denkbar?
Korunka: Deutschland ist mit einem Recht auf Homeoffice vorgeprescht – aus Expert*innengesprächen weiß ich, dass dies auch ein Thema ist, das in Österreich diskutiert wird. Und das aus gutem Grund: Für Unternehmen stellt die Arbeit im Homeoffice eine enorme Kostenersparnis da – man kann einen wesentlichen Teil facility management Kosten einsparen.
Doch auch von Beschäftigten hören wir immer wieder großes Erstaunen darüber, was von daheim aus alles möglich ist. Dazu kommt die Verkürzung der Fahrzeiten oder die Pause gemeinsam mit der Familie. Generell ist auch die Leistung im Homeoffice höher. Das irritiert so mache Führungskräfte – vor allem jene, die den Eindruck haben, dass sie ihre Mitarbeiter*innen kontrollieren müssten. Das ist nicht so, Studien zeigen da eine klare Tendenz.
Ein wichtiger Aspekt, den wir nicht vergessen dürfen, ist der ökologische Faktor – das Pendeln ins Büro fällt weg und dadurch werden Emissionen eingespart. Es stellen sich zu Recht einige die Frage, warum wir überhaupt noch ins Büro gehen sollten. Ob es bald einen entsprechenden Gesetzesentwurf gibt, ist eine politische Entscheidung.
uni:view: Sie liefern der Politik mit Ihren Ergebnissen eine Entscheidungsgrundlage. Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Ergebnisse auch ankommen, wo sie etwas bewirken können?
Korunka: Die Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik ist so gut wie lange nicht. Die wissenschaftliche Expertise und ihre Bedeutung werden in Zeiten von COVID-19 stark gesehen. Man möchte Antworten von der Wissenschaft auf gesellschaftliche Fragen, unsere Ergebnisse werden dementsprechend ernstgenommen. Ich habe schon lange nicht mehr so viele Gesprächsanfragen bekommen – das ist natürlich erfreulich für einen Wissenschafter.
uni:view: Danke für das Gespräch! (hm)
Christian Korunka hat eine Professur für Arbeits- und Organisationspsychologe an der Fakultät für Psychologie. Er leitet den postgraduellen Universitätslehrgang "Psychotherapeutisches Propädeutikum". Seine These für die Post-Coronazeit: Wir werden Arbeitsweisen bewusster hinterfragen und eine Mischform aus Büro und Homeoffice leben.