Was ist "böses Tun"?

Bergen alle Handlungen, auch wenn sie egoistisch oder unmoralisch sein mögen, zumindest in subjektiver Hinsicht "etwas Gutes" in sich? Oder existieren Handlungen, die mehr als nur schlecht, nämlich "wahrhaftig böse" sind? Dazu forscht der Philosoph Hans Bernhard Schmid an der Universität Wien.

Mit der Suche nach dem genuin Bösen beschäftigt sich der Philosoph Hans Bernhard Schmid, seit 2011 Professor für Politische Philosophie und Sozialphilosophie an der Universität Wien, und hält dazu u.a. die Vorlesung "Böses Tun". Gegenwärtig schreibt der Philosoph an einem Buch zum Thema und veranstaltet dieses Frühjahr zusammen mit Herlinde Pauer-Studer vom Institut für Philosophie einen hochkarätig besetzten Workshop unter dem Titel "Acting under the Guise of the Bad".

Einkaufen bei einem Textildiscounter – eine böse Tat?


Ist es zum Beispiel böse, wenn ich bei einem Textildiscounter einkaufe, obwohl ich um die unfairen Arbeitsbedingungen in den Herstellungsländern weiß? Nein, sagt Hans Bernhard Schmid: "Das Spektrum an Begriffen, die wir für moralische Verurteilung heranziehen, ist breit. Hier gilt es, je nach Fall den richtigen Begriff zu wählen. In diesem Fall vollzieht der bzw. die Handelnde einfach eine Abwägung  zwischen eigenen und fremden Interessen. Das Resultat wäre wohl als egoistisch oder vielleicht als kurzsichtig zu bezeichnen – als schlecht – aber nicht als böse."

Das Böse im Birnendiebstahl

Wie man "das Böse" definieren kann, erklärt der Philosoph an einem für die Philosophiegeschichte wichtigen Beispiel: dem sogenannten Birnendiebstahl-Paradigma von Aurelius Augustinus, Philosoph und Kirchenvater der ausgehenden Antike. Beim "Birnendiebstahl" trifft sich eine Gruppe Jugendlicher, darunter Augustinus selbst, um gemeinsam etwas zu unternehmen. Zufällig entdecken die Jugendlichen einen Birnenbaum und stehlen ein paar Früchte. Da sie die Birnen gar nicht essen wollen, verfüttern die Jugendlichen das Obst an Schweine.

Das Böse an der Handlung verortet Augustinus in der Motivation der Jugendlichen, erklärt Hans Bernhard Schmid: "Die Gruppe stahl nicht etwa aus Not, war einem besonderen Reiz der Birnen verfallen oder verfolgte von Beginn an das Ziel, die Schweine zu füttern. Das Ziel war der Diebstahl selbst", erklärt der Sozialphilosoph, der heuer im Juni im Rahmen des Dies Facultatis der Fakultät für Philosophie- und Bildungswissenschaft seine Antrittsvorlesung an der Universität Wien hält.

Die Motivation von Handlungen erforschen

Für Schmid ist der Birnendiebstahl keine harmlose Jugendsünde. Vielmehr verberge sich in der Handlung der "Kern des Bösen". Seine Forschungen zum Thema sind von der philosophischen Frage geleitet: Wie kann eine Handlung einzig darauf zielen eine Norm zu verletzten, ohne zumindest den Funken einer guten Absicht zu enthalten? In diesem Zusammenhang analysiert der Wissenschafter in seiner Vorlesung die Ansichten bedeutender PhilosophInnen von der Antike bis in die Postmoderne.

Widerspruch durch Thomas von Aquin


Im Mittelalter interpretiert ein anderer Philosoph den Birnendiebstahl anders: Thomas von Aquin. Schmid nutzt dessen Ansatz, um in seiner Vorlesung zum kritischen Denken und Diskutieren anzuregen. Von Aquin nämlich sieht nicht das  Vergehen selbst als den Motivator für Augustinus' Teilnahme am Obstklau, sondern  vielmehr das gemeinschaftliche Handeln im Kreis der Jugendlichen an sich. "Der Birnendiebstahl  bleibt auch hier eine schlechte Tat, jedoch lässt sich dadurch immerhin in subjektiver Betrachtungsweise auch 'etwas Gutes' darin ausmachen", erläutert Hans Bernhard Schmid von Aquins Deutung.

Was ist dann das wahrhaftige Böse?


Zurück zur Analyse des Besuchs eines Textildiscounters: Hans Bernhard Schmid hält sich an Augustinus: "Böse ist Handeln, wenn das Schlechte nicht einfach in Kauf genommen wird, sondern das Motiv des Handelns darstellt, wenn sie also nicht deshalb beim Textildiscounter einkaufen, weil er billig anbietet, sondern deshalb, weil er unter unfairen Arbeitsbedingungen produzieren lässt. Das scheint aber kaum vorstellbar", schließt der Philosoph. Wer mitdiskutieren möchte, dem sei der Workshop  "Acting under the Guise of the Bad" vom 15. bis 17 Mai 2014 an der Universität Wien empfohlen. Diese Veranstaltung versammelt einen ausgewählten Kreis international führender PhilosophInnen aus Europa und den USA. (fh)