Un/diszipliniert diskutiert

Junge Forschung zu Frauen- und Geschlechtergeschichte: Zweieinhalb Tage lang trafen auf der Tagung "un/diszipliniert?" die Standpunkte von JungwissenschafterInnen aus acht europäischen Ländern, arrivierten ForscherInnen der Universität Wien und zahlreichen Studierenden und Gästen aufeinander.

Am Montag, 27. Februar 2012, konnten die Veranstaltungsorganisatorinnen – Alexia Bumbaris, Veronika Helfert, Jessica Richter, Brigitte Semanek und Karolina Sigmund vom Verein "fernetzt" – in der Aula am Campus etwa 130 ZuhörerInnen zur Eröffnung der internationalen DissertantInnentagung "un/diszipliniert? Methoden, Theorien und Positionen der Frauen- und Geschlechtergeschichte" begrüßen. Weitere Willkommensworte kamen von den Sprecherinnen des Schwerpunktfeldes Frauen- und Geschlechtergeschichte der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät, Gabriella Hauch und Johanna Gehmacher. Beide gingen die auf die bereits langjährige Tradition dieses Forschungsbereichs an der Universität Wien ein und begrüßten die neueste Initiative zur Vernetzung junger Wissenschaft.

Eröffnungsvortrag von Barbara Duden

Für den Eröffnungsvortrag konnte Barbara Duden von der Leibniz Universität Hannover gewonnen werden, die einen Vergleich zwischen dem politischen Anspruch und den Forderungen der Frauenbewegung und -geschichte in den 1970er Jahren und deren Umsetzung und Verbindungen zwischen Politik, Gesellschaft und feministischer Wissenschaft heute anhand von Beispielen aus der deutschen Sozialpolitik zog. Wie sehr dieser den Nerv aktueller Diskussionen getroffen hat, wurde an den zahlreichen und lebhaften Wortbeiträgen aus den Reihen der Zuhörenden deutlich.

Zwei intensive Tage Forschungsdiskussion

An den darauffolgenden Tagen wurden die Diskussionen um Anspruch und Realität der Frauen- und Geschlechtergeschichte fortgesetzt. 16 DissertantInnen stellten nicht nur ihre Projekte vor, sondern vor allem die damit verbundenen theoretischen Ansätze und methodischen Positionen. Diese fanden sich in der Epistemologie, der Kritischen Theorie oder der Intersektionalität. Aus der antiken Epigraphik, der Selbstzeugnisforschung und der Diskursanalyse war ebenfalls Interessantes zu erfahren.

Das Spannungsfeld zwischen textbasierten Lesarten und dem Suchen nach AkteurInnenschaft sowie Handlungsmöglichkeiten tat sich nicht nur in den Untersuchungen zu Frauenbewegungen in der Tschechoslowakei und der Türkei auf. Diskutiert wurde, was Nachbardisziplinen wie Politik- oder Literaturwissenschaft, aber auch Architektur und Informatik zu einer neuen Frauen- und Geschlechtergeschichte beitragen können – und auch, was Innovation für einzelne Arbeiten überhaupt bedeutet und wie sich eine gemeinsame Sprache zum produktiven Austausch finden lässt. Dass dieser möglich ist, zeigte sich durch die nicht abreißende Diskussionslust aller TeilnehmerInnen.

Permanente Neuverortung

Als ein Ergebnis der Tagung lässt sich eine permanente Neuverortung und Neuorientierung festhalten, die für die Frauen- und Geschlechtergeschichte als oft querliegende oder randständig wahrgenommene Disziplin von besonderer Bedeutung ist. Als gemeinsames politisches Anliegen der NachwuchswissenschafterInnen wurde der Kampf gegen die zunehmende Prekarisierung von deren Arbeitsverhältnissen ausgemacht. Der mit der Frauen- und Geschlechtergeschichte verbundene gesellschafts- und institutionenkritische Anspruch ist eben nur dann einlösbar, wenn es auch längerfristige finanzielle Perspektiven für junge Forschung gibt.


Viele Tagungsthemen konnten bereits zwei Tage später weiter diskutiert werden – beim 4. Workshop des Fakultätsschwerpunktfeldes Frauen- und Geschlechtergeschichte (Lesen Sie den Nachbericht zum Workshop in uni:view)



So geht es weiter: Die Arbeit des Vereins "fernetzt"

Der veranstaltende Verein "fernetzt" wurde 2011 von DissertantInnen der Universität Wien als ein Forum für junge ForscherInnen der Frauen- und Geschlechtergeschichte gegründet. Im Sommersemester 2012 bietet "fernetzt" in monatlichen Treffen wieder Lesekreise und Mini-Workshops an. Dazu ist ein "Schreibmarathon" im Anlaufen, und die bei der Tagung geknüpften Kontakte zu KollegInnen in Deutschland, Tschechien, der Schweiz u.a. werden die internationale Vernetzung und Möglichkeiten zum Austausch vorantreiben.


Interessierte, die sich im Rahmen von "fernetzt" engagieren wollen, sind herzlich zur Mitarbeit eingeladen. Genaue Termine und Informationen finden sich auf der Website des Vereins.



Die Internationale DissertantInnentagung "un/diszipliniert? Methoden, Theorien und Positionen der Frauen- und Geschlechtergeschichte" fand von Montag, 27. Februar bis Mittwoch, 29. Februar 2012 am Campus der Universität Wien statt.

Mag.a Brigitte Semanek vom Institut für Geschichte ist Mitbegründerin des Vereins "fernetzt" und Mitorganisatorin der Tagung.