Frauen- und Geschlechtergeschichte im Fokus

Am Freitag, 2. März 2012, fand der 4. Workshop des Fakultätsschwerpunktfeldes Frauen- und Geschlechtergeschichte an der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät statt. Im Zentrum der Veranstaltung stand vor allem die Frage nach den disziplinären Verortungen der Frauen- und Geschlechtergeschichte.

Die vergangene Woche war eine ereignisreiche für die Frauen- und Geschlechtergeschichte: Schon am 27. Februar widmete sich die von dem jungen Forschungsnetzwerk fernetzt organisierte DissertantInnentagung "Un/diszipliniert?" drei Tage lang der Frage nach dem gesellschaftspolitischen Anspruch der Frauen- und Geschlechtergeschichte. Darüber hinaus konnte am Freitag, 2. März, bereits der 4. Workshop des Fakultätsschwerpunktfeldes Frauen- und Geschlechtergeschichte an der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät stattfinden.


Die DissertantInnentagung "Un/diszipliniert?" (siehe Nachbericht in uni:view) und der Workshop am 2. März teilten nicht nur den frauen- und geschlechtergeschichtlichen Fokus, beide Veranstaltungen beschäftigten sich ausführlich mit dem Potenzial interdisziplinärer Herangehensweisen.



Eingeleitet wurde der Workshop durch die beiden Sprecherinnen des Schwerpunkts, Gabriella Hauch und Johanna Gehmacher, sowie Vizedekanin Marianne Klemun. Sie betonten die Bedeutung der Veranstaltung als Kommunikationsort junger und arrivierter WissenschafterInnen, um sich über neueste Debatten im Feld der Frauen- und Geschlechtergeschichte sowie aktuelle Forschungsvorhaben austauschen zu können.

Relational gefasste Kategorie "Geschlecht"

Der Vormittag stand ganz im Zeichen der Frage, welche Auswirkungen der Blick mit einer als relational gefassten Kategorie "Geschlecht" im Zentrum auf Geschichtsschreibung haben könne. Der Vortrag von Stefanie Schüler-Springorum, den sie kurzfristig leider nicht selbst halten konnte, widmete sich den möglichen Fragen und Herausforderungen einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive auf die deutsch-jüdische Historiographie der letzten 200 Jahre. Fokussiert wurde dabei sowohl auf die Frage nach den geschlechtlich codierten Bildern als auch nach den Geschlechterverhältnissen in dem als Krise erlebten Übergang von der traditionellen jüdischen Gesellschaft zum modernen Judentum.

Carola Sachse stellte in einer zweiten Keynote ihre Überlegungen zu einer Geschlechtergeschichte der universalen individuellen Menschenrechte vor. Sachse hielt fest, dass eine Historisierung dieses Felds erst seit der Jahrtausendwende stattfinde, geschlechterhistorische Analysen darüber hinaus noch am Anfang stehen würden. Diese seien aber gerade zentral, um Geschlechterkodifizierungen in Menschenrechtskonzepten sichtbar und Periodisierungen überprüfbar zu machen und nicht zuletzt den Frauenrechtsaktivismus im Kontext der Menschenrechte bilanzieren zu können.

Berichte von unterwegs

Die Nachmittagseinheit war den Werkstattberichten von NachwuchswissenschafterInnen sowie aktuellen Forschungsprojekten gewidmet. Sowohl bei Veronika Helfert als auch bei Ulrich Schwarz ließ sich anhand der im Zentrum stehenden Quellen – im ersten Fall das Tagebuch als nur vermeintlich privater Ort, an dem politische und damit vergeschlechtlichte Handlungsräume sichtbar werden, im zweiten Hofakten des so genannten Reichsnährstandes einer niederösterreichischen Ortschaft zur Zeit des Nationalsozialismus – die Notwendigkeit interdisziplinärer Zugänge veranschaulichen.

Weitere aktuelle Forschungsprojekte zu Konfliktfeldern und Handlungsoptionen von Ehepaaren vor Gericht vom 16. bis ins 19. Jahrhundert wurden von Andrea Griesebner, Susanne Hehenberger und Georg Tschannett präsentiert, der Philosoph Moses Mendelssohn als vergeschlechtlichter Erinnerungsort von Martina Steer sowie die Relevanz der Kategorie Geschlecht für den Zusammenhang von Universalreligionen und Gemeinschaft von Christina Lutter zur Diskussion gestellt.


Die Historikerin Andrea Griesebner und ihr Team stellten im Rahmen des Workshops das Projekt "Ehen vor Gericht" vor. Darin gehen sie u.a. der Frage nach, was katholische Ehepaare im im ausgehenden Mittelalter unternehmen konnten, wenn sie nicht mehr zusammenleben wollten?
Lesen Sie mehr im Artikel "Trennung von Tisch und Bett" in uni:view. (Foto: WStLA)



Interdisziplinäres Denken


Natascha Vittorelli resümierte nach einem äußerst spannenden Tag in ihrem Abschlussstatement die sichtbar gewordenen unterschiedlichen Bedeutungsfelder von Interdisziplinarität: von der Vorstellung als Kooperationsprojekt verschiedener Disziplinen, in dem Vermittlung und Übersetzung im Vordergrund stünden, über Interdisziplinarität als Herangehensweise, die etwas sichtbar machen und den eigenen Horizont erweitern könne, bis hin zur Vorstellung eines interdisziplinären Zugangs als konzeptuell-methodisches System, das den Zugriff auf andere Erklärungsmodelle und Theoriegebäude ermögliche, wenn die eigene Disziplin an ihre Grenzen stoße.

Interdisziplinäres Denken und Arbeiten sei darüber hinaus ein Ort, wo Missverständnisse entstehen und Streits ausgefochten werden könnten. Christina Lutter ergänzte, dass es auch um eine "produktive Verunsicherung" gehe, da über den Austausch mit VertreterInnen anderer Disziplinen der Blick auf das Eigene geschärft werde.

Der 4. Workshop des Fakultätsschwerpunktfeldes Frauen- und Geschlechtergeschichte fand am Freitag, 2. März 2012, am Institut für Zeitgeschichte am Campus der Universität Wien statt.

Mag.a Elisa Heinrich hat im November 2011 ihr Geschichtestudium mit einer Diplomarbeit über Fragen des Gedenkens an homosexuelle NS-Opfer abgeschlossen und ist in verschiedenen feministischen und erinnerungspolitischen Projekten aktiv.