Terror trifft Lockdown: Nicht das auch noch!
| 05. November 2020Brigitte Lueger-Schuster, Leiterin der Arbeitsgruppe Psychotraumatologie der Universität Wien, über die psychischen Herausforderungen, die ein traumatisches Ereignis gepaart mit Pandemie-Einschränkungen auslösen kann.
Grundsätzlich leben wir alle in unserer Blase der Illusion, dass schon nichts passieren wird. Die meisten Menschen haben fast immer das Gefühl, sicher zu sein, gut eingebettet in ein soziales Gefüge. Der terroristische Akt am 2. November in Wien trifft uns psychologisch betrachtet unvorbereitet, wir sind nicht auf derartige Vorkommnisse eingestellt, selbst dann nicht, wenn man zu der Gruppe der Wissenschafter*innen zählt und der Welt mit viel Wissen begegnen kann.
Ein terroristischer Akt ist ein Ereignis, welches traumatische Qualität aufweist, durch die Nähe zum Tod, durch die interpersonelle Gewalt, durch die massive Bedrohung der psychischen und körperlichen Integrität, die damit einhergeht. Es bedroht und somit traumatisiert nicht nur die direkt Betroffenen – es bedroht auch die Gesellschaft als solche, indem es unsere Werte und die Grundrechte in Frage stellt, und zwar massiv.
Trauma in Zeiten von "Coronamüdigkeit"
Dieses traumatische Ereignis trifft uns in einer Situation, die am besten durch das Wort "Coronamüdigkeit" gekennzeichnet ist. Hervorgerufen durch den ersten Lockdown, gefolgt von einer etwas lockeren Zeit, die viele Entscheidungen abverlangte, etwa bei der Frage, ob man eine Veranstaltung besucht oder wie viele Menschen zum Essen eingeladen werden können.
Viele Teile der Bevölkerung leiden zudem unter ökonomischen Problemen und Zukunftsängsten. Unsere Kapazität, sich stets an die neuen Verhältnisse anzupassen, kostet Kraft, vor allem psychische Kraft. Wir sehen es auf psychologischer Ebene in steigenden Raten von Depressivität, Angst, Posttraumatischer Belastungsstörungen und vor allem in den Anpassungsstörungen, wie erste Berechnungen einer europaweiten Studie zeigen, an der wir beteiligt sind.
Corona-Virus: Wie es unser Leben verändert
Von neuen familiären Abläufen bis hin zu den Auswirkungen auf Logistikketten: Expert*innen der Universität Wien sprechen über die Konsequenzen des Corona-Virus in unterschiedlichsten Bereichen. (© iXismus/Pixabay)
Auf Schock folgt Verunsicherung
Auf diese vor allem psychische Ermüdung trifft nun der terroristische Akt, das traumatisierende Geschehen. Plötzlich war Wien nicht mehr der sichere Ort, die Stadt mit der besten Lebensqualität, sondern reihte sich in die terrorbetroffenen Städte ein. Wir waren konfrontiert mit Bildern, die an Krieg erinnern, Einsatzkräfte unter Waffen, schreiende und flüchtende Menschen, Einsatzwägen, die durch die Stadt rasten. Besorgte Nachfragen von Familie, Freunden, internationalen Kolleg*innen, ob man "okay" sei, verstärkten zunächst die eigene Betroffenheit, tun aber gut, weil sie uns als Betroffene anerkennen.
Nun müssen wir lernen, mit diesem Akt der Gewalt umzugehen. Der erste Schock klingt ab, zurück bleiben Ängstlichkeit, Verunsicherung, auch Wut oder Resignation können auftreten. Manche leiden unter Konzentrationsproblemen, schlafen schlecht, sind weniger motiviert zu arbeiten oder zu lernen. Viele plagen sich mit dem Alltag im Lockdown, weil vielleicht der Kindergarten schon wieder zu ist oder das Internet Probleme macht. Das Bewältigen von zwei massiven Herausforderungen ist unser Thema und zwar für längere Zeit.
Nichts verdrängen
Machen Sie etwas öfter Pause, die Anstrengung dieser letzten Tage verlangt nach Verlangsamung und Regeneration. Tun Sie das, was Ihnen üblicherweise hilft, sich zu entspannen: ein wenig Sport, ein kleiner Spaziergang, ein Telefonat mit Freunden, etwas gutes Essen.
Schieben Sie die Bilder, die Sie vielleicht noch im Kopf haben, nicht weg, setzen Sie sich immer mal wieder mit dem Geschehenen auseinander. Das Verdrängen und Wegschieben hat eine fatale Wirkung: die eines Bumerangs. Die Bilder kommen mit ziemlicher Wucht wieder zurück, sie werden in der Regel stärker und kommen mit höherer Frequenz. Auch Alkohol dämpft die Irritationen nur kurzfristig, verstärkt aber längerfristig die Symptome, etwa einer Posttraumatischen Belastungsstörung, und bringt das Risiko der Suchtentwicklung mit sich. Gleiches gilt für Beruhigungsmittel.
Wenn Sie direkt vom Attentat betroffen sind und das Gefühl haben, dass sie mit jemanden außerhalb Ihres vertrauten Kreises sprechen wollen, holen Sie sich Hilfe. Rufen Sie 144 an, erklären Sie, dass Sie in der Attentatszone waren und fragen Sie um Betreuung. Es wird Ihnen dann ein Angebot für Psychosoziale Betreuung durch die AkutBetreuung der Stadt Wien gemacht. Das sind speziell ausgebildete Fachkräfte, die mit Ihnen Kontakt aufnehmen. Sollten Sie in psychotherapeutischer Betreuung sein, sprechen Sie mit Ihrem Therapeuten über das Attentat, die meisten Therapeuten wissen mit Traumatisierungen umzugehen.
Verbunden bleiben
Bleiben Sie verbunden, aber am besten online, wir haben ja einen Lockdown. Pflegen Sie Ihre sozialen Kontakte. Vereinsamung verstärkt die psychischen Reaktionen, die Trauma und Lockdown hervorgerufen haben. Soziale Unterstützung wirkt quasi wie ein Schutzschild gegen psychische Beschwerden oder gar der Entwicklung psychischer Störungen.
Bleiben Sie mutig, lassen Sie sich nicht zu sehr verunsichern, die Welt und auch Wien ist im Großen und Ganzen ein guter und sicherer Ort, selbst wenn Sie sich bei den ersten Spaziergängen oder Einkäufen unsicher fühlen. Wagen Sie es, aber bitte mit Abstand und Maske. Dabei hilft Ihnen diese Atemtechnik: Atmen Sie tief ein, ziehen Sie die Luft in den Bauch hinein und lassen Sie die Luft langsam wieder aus. Wenn Sie das ein paar Mal machen, kommt das Gefühl der Stärke wieder zurück. Dieses langsame Ein- und Ausatmen hilft Ihnen auch beim Einschlafen.
Bleiben Sie hoffnungsvoll und aktiv, auch wenn sich die Tage noch etwas holprig anfühlen, bleiben Sie dran. Wir nennen das in der Psychologie "self efficacy", ein Faktor, der in vielen Studien erforscht wurde, und der Faktor ist, der bei der Bewältigung am besten hilft. Bleiben Sie strukturiert und definieren Sie freie Zeiten.
Stay safe and healthy!
Brigitte Lueger-Schuster ist Professorin am Institut für Klinische und Gesundheitspsychologie der Universität Wien und Leiterin der Arbeitsgruppe Psychotraumatologie. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Missbrauch in Institutionen, Psychosoziale Folgen von traumatischem Stress, Bewältigungsstrategien, Resilienz, Komplexes Trauma, Komplexe PTSD, Beurteilung von traumabedingten Störungen sowie Menschenrechtsverletzungen. (© Petra Schiefer)