Nichtstun ist keine Option
| 15. November 2019Freitags streiken die SchülerInnen, die Städte suchen nach Konzepten gegen die Hitze und im jüngsten Wahlkampf zur Nationalratswahl war die Klimafrage das Topthema. Welche Rolle nimmt die Wissenschaft im Klimadiskurs ein? Dieser Frage widmet sich die aktuelle Ausgabe des Alumni-Magazins univie.
Ein Freitagmorgen im Dezember 2018. Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg sitzt mit ihrem Schild am Korridor des Konferenzzentrums im polnischen Katowice, wo gerade der UN-Klimagipfel über die Bühne geht, und streikt. Die Rede, die die damals 15-jährige Schülerin später vor den PolitikerInnen aus aller Welt hält, bewegt viele Menschen und geht als Video viral.
Tief beeindruckt von der jungen Schwedin ist auch Katharina Rogenhofer. Die Biologie-Alumna war als Praktikantin der UNO-Klimarahmenkonvention vor Ort und traf dort zum ersten Mal auf ihr heutiges Vorbild. "Greta saß dort, wo die EntscheidungsträgerInnen der Welt vorbeigingen, und machte deutlich, worum es wirklich geht: um unsere Zukunft, um die Kinder und um die Generationen, die folgen. Ich fand das einfach ein starkes Zeichen und hätte mich gerne zu ihr gesetzt, war aber in einem Interessenskonflikt, weil ich ja für die UNO arbeitete."
An der Universität Wien wird in vielen Disziplinen zu Umweltfragen gearbeitet. Das Forschungsnetzwerk Umwelt bündelt die universitäre Umweltforschung und stellt Umweltwissen für die Öffentlichkeit bereit. Es umfasst WissenschafterInnen aus den Naturwissenschaften wie auch Geistes- und Sozialwissenschaften und bringt diese im Rahmen verschiedener Initiativen zusammen.
Zurück in Österreich organisierte Rogenhofer gemeinsam mit zwei Freunden die erste Klimademo am Wiener Heldenplatz und holte damit die "Fridays for Future"-Bewegung nach Österreich. Als nur drei Monate später schließlich über 25.000 großteils junge Menschen zum Klimastreik auf den Heldenplatz strömten, war sie selbst überrascht. "Ich hatte das Gefühl, endlich ist da etwas, das der Größe des Problems angemessen ist, und dachte, ja, so könnten sie tatsächlich klappen, die großen Veränderungen."
Folgen der Klimakrise als Treiber
Neben der politischen Energie der Jugendbewegung sieht der Biodiversitätsforscher Franz Essl vor allem die fühlbaren Folgen als Treiber, warum die Klimakrise aktuell so viele bewegt. Es mache eben einen Unterschied, ob man über abstrakte Modelle spreche oder ob man die Auswirkungen selbst spüren könne, so der Wissenschafter der Uni Wien. "Die vergangenen drei Jahre waren in Österreich die heißesten in der bisherigen Messgeschichte. Wir leiden unter den Hitzeperioden in den Städten, man sieht es an den Wäldern, wo die Fichten sterben, die Landwirte haben Ernteausfälle zu beklagen. Der anlaufende Klimawandel ist nicht neu, doch wie rasch das alles voranschreitet, ist besorgniserregend."
"In diesem Jahr hat sich etwas deutlich verändert, nämlich die öffentliche Wahrnehmung des Klimawandels als gravierendes Problem", bringt es Franz Essl auf den Punkt. Der Biodiversitätsforscher der Universität Wien unterstützt die Bewegung, der sich inzwischen auch rund 12.000 WissenschafterInnen aus dem deutschsprachigen Raum als "Scientists for Future" angeschlossen haben. (© Ursula Gerber)
Essl, der sich in seiner Forschung mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Biodiversität beschäftigt, sieht neuere Phänomene, wie die Verbreitung invasiver Arten in Österreich, etwa der Hanfpalme (zum uni:view Beitrag), die ursprünglich in wärmeren Gebieten vorkommt, oder das Fichtensterben in unseren Wäldern, als besorgniserregende Warnzeichen. "Das Artensterben ist ein gravierendes Alarmsignal, es zeigt, dass der Zustand unserer Ökosysteme das Überleben vieler Arten unsicher bis unwahrscheinlich macht", so Essl.
"Point of no Return"
Laut den Szenarien des Weltklimarats IPCC kommen bis zum Ende des Jahrhunderts globale Temperaturanstiege von vier bis sechs Grad auf uns zu, wenn wir die Emission von Treibhausgasen nicht reduzieren. Regional könnten das sogar sieben bis acht Grad sein. "Das sind Temperaturanstiege, die katastrophale Auswirkungen haben würden", warnt der Biodiversitätsforscher.
Sind wir vielleicht längst an einem "Point of no Return" angekommen? Es gebe nicht einen einzelnen Punkt, heißt es seitens der Wissenschaft. "Viele Systeme haben eine gewisse Anpassungskapazität, die aber von der Geschwindigkeit der Veränderung abhängt. Wenn es langsamer geht, ist es leichter." Und das betreffe keineswegs nur die Biodiversität, sondern auch die Gesellschaft, ist Essl überzeugt. Schon bei 1,5 bis 2 Grad mehr komme es zu vielen Kipp-Punkten, wo selbstverstärkende Effekte zu erwarten sind.
Die Biologie-Alumna Katharina Rogenhofer hat über den Aktivismus eine Vermittlerrolle gefunden: "Ich habe den Eindruck, dass Fridays for Future das Missing Link ist zwischen Wissenschaft und Politik. Wir berufen uns auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Konzepte liegen auf dem Tisch. Jetzt bauen wir Druck auf, damit es nicht bei Lippenbekenntnissen bleibt." (© Jake Tazreiter)
Missing Link
Dass die Klimapolitik unterm Strich versagt habe, darüber sind sich KlimawissenschafterInnen in Österreich einig. Koordiniert vom Climate Change Center Austria (CCCA), legten ForscherInnen nun einen eigenen Klimaplan vor, mit deutlich ehrgeizigeren Maßnahmen als jenem, der Ende 2018 von der Bundesregierung präsentiert worden und von der EU-Kommission als unzureichend kritisiert worden war.
Auch Biologie-Alumna Katharina Rogenhofer ist überzeugt, dass eine Wende möglich ist. Dass alle Parteien sich im Wahlkampf auf die Klimathematik beziehen mussten, wertet sie als Erfolg der Bewegung. Die Organisation der freitäglichen SchülerInnenstreiks liegt inzwischen bei anderen, die 26-Jährige beschäftigt derzeit eine weitere politische Initiative, das bundesweite Klimavolksbegehren. Für sie ein weiterer logischer Schritt hin zu einem breiten Dialog, um den notwendigen politischen Druck aufzubauen.
Eine gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft sieht auch Franz Essl: "Für mich als Wissenschafter ist es wichtig, diese Verantwortung wahrzunehmen, weil es entscheidende Zukunftsthemen sind, die politisch, aber auch in der breiteren Gesellschaft bisher nicht adäquat angekommen sind." Aber genau das scheint sich ja gerade zu ändern. (sh)
Lesen Sie den gesamten Beitrag in der November-Ausgabe von univie, dem Alumnimagazin der Universität Wien. (© Shutterstock/Jojostudio, Shutterstock/Apinan)
Unterstützung beim Berufseinstieg: MentorIn werden oder MentorIn finden: Mit der neu eingerichteten alma Mentoring Plattform unterstützt die Universität Wien den Erfahrungsaustausch von AbsolventInnen, die bereits im Berufsleben stehen, mit Studierenden und Jung-AbsolventInnen, die diesen Schritt noch vor sich haben. Die alma Mentoring-Convention am 22. und 23. November ist der offizielle Auftakt dieser Initiative.