Mehr Naturkatastrophen durch Klimawandel?

Im Dossier "Naturkatastrophen" veröffentlichen Vortragende der RV "Naturkatastrophen und ihre Bewältigung", die im Sommersemester läuft, ihre Beiträge. Lesen Sie hier, was Klimaforscher Reinhard Böhm über Klimawandel und Naturkatastrophen im Blickfeld von Medien und Wissenschaft berichtet.

Die aktuelle öffentliche Debatte über den Klimawandel ist von einem Paradoxon gekennzeichnet, dem ein Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung (RV) "Bewältigung von Naturkatastrophen" (Artikel über die RV in uni:view) nachgeht. Im Vordergrund steht das meist nicht hinterfragte – man könnte sagen – "a priori" der Folgen des Klimawandels, dass dieser mit einer Zunahme der extremen Ausformungen von Wetter und Klima einhergeht. Die Medien sind voll von Meldungen über Jahrhundertsommer, tropische Stürme, Tornados, Muren, Hangrutschungen, Hochwässer und Dürren. Das waren sie auch früher schon, nur werden derartige Ereignisse nun meist mit "dem Klimawandel" in Verbindung gebracht. Interessanterweise geschieht dies auch für solche, die auf der anderen, der kalten Seite des Spektrums der Wetter- und Klimavariabilität angesiedelt sind, wie die heurige Kältewelle, Starkschneefälle und Lawinen. Es scheint klar zu sein, die Variationsbreite des Wetters und Klimas wird breiter.

Zunahme von Extremereignissen?

Das eingangs erwähnte Paradoxon besteht nun darin, dass bei sorgfältiger Analyse von Qualitätsdaten meist weder die behauptete Zunahme der Extremereignisse nachweisbar ist, noch deren als selbstverständlich angenommene kausale Verbindung mit dem Klimawandel (worunter üblicherweise der anthropogene Klimawandel infolge der Treibhausgasemissionen beim Verbrennen fossilen Kohlenstoffs verstanden wird). Abgesehen von der wenig überraschenden Zunahme von heißen Tagen und der analogen Abnahme von kalten Tagen bleibt meist nicht mehr viel übrig.


    Lesen Sie mehr zum Thema Naturkatastrophen im gleichnamigen uni:view-Dossier.



Für Mitteleuropa etwa konnten wir zeigen, dass die Variabilität des Klimas weder in den letzten mehr als 200 Jahren der hier besonders langen "instrumentellen Periode" zugenommen hat, noch dass sich die aktuellen 30 vorherrschend anthropogen geprägten Jahre durch verstärkte Variabilität von Luftdruck, Temperatur und Niederschlag auszeichnen. Andere Studien brachten ein analoges Ergebnis für die Sturmtätigkeit bei uns und in anderen Teilen Europas. Und eine aktuelle Analyse, die gerade in Arbeit ist, zeigt weder bei den großräumigen exzessiven Starkniederschlägen in den Einzugsgebieten der in den Alpen entspringenden Flüsse eine Zunahme, noch bei den am anderen Ende der sogenannten PDF ("Probability Density Function") angesiedelten exzessiv trockenen Monaten.

Schleichendes Phänomen

Wie kommt nun aber die Dominanz dieser Zuordnung "Klimawandel = mehr Katastrophen" zustande? Das liegt zum einen in der Eigenschaft der Wetter- und Klimaextreme, dass sie natürlich per Definition selten sind, dass sie aber auch meist räumlich sehr begrenzt auftreten. Sogar eine großräumige und länger dauernde Anomalie eines "Jahrhundertsommers in Europa" nimmt nur wenige Prozent der Erdoberfläche ein – ist somit statistisch global im Abstand weniger Jahre zu erwarten. Andere Phänomene wie Stürme, Starkregen, Gewitter oder Hagel überdecken – in dieser Reihenfolge – immer geringer werdende Flächen bis hinunter auf wenige Hektar, auf denen etwa ein Sturm den Baumbestand eines Forstes vernichtet. In Verbindung mit der immer perfekter werdenden globalen Vernetzung der Medien liefert die Natur somit andauernd irgendwo Extremereignisse, die deren Zunahme perfekt suggerieren.


Die Abbildung zeigt den Rückgang der interannuellen Variabilität der Lufttemperatur in drei Subregionen des Großraums Alpen vom variableren 19. zum ruhigeren 20. Jahrhundert (Grafik: Böhm 2012).



Da "der Klimawandel", an dessen Existenz und dessen Zuordnung zum anthropogenen Anstieg der Treibhausgase kein Zweifel besteht, jedoch ein schleichendes Hintergrundphänomen ist, kann er nur schwer direkt wahrgenommen werden. Einen globalen Temperaturanstieg von schwach ein Grad Celsius in einem Jahrhundert, den wir bereits erlebt haben, konnten wir weder fühlen noch anders direkt wahrnehmen. Er geht in der regional viel stärkeren Variabilität von Jahr zu Jahr, Monat zu Monat, Tag zu Tag unter – wissenschaftlich betrachtet ein typisches "signal to noise"-Problem.


Aufmerksamkeit für das Thema

Da liegt es nun nahe und ergibt sich beinahe von selbst, dass diejenigen, die von der ernsten Sorge um die künftige Klimaentwicklung angetrieben sind, gerade die von den Medien andauernd frei Haus gelieferten Extremwerte nutzen, Aufmerksamkeit für das Thema zu erzielen. Es sind dazu gar keine besonderen Anstrengungen nötig – das ist beinahe so etwas wie ein Selbstläufer. Unterstützt werden sie dabei von dem nicht weg zu diskutierenden tatsächlich vorhandenen Anstieg der wirtschaftlichen Schäden durch Naturkatastrophen, auch wenn man die nicht klimabedingten Schäden durch Erdbeben oder Tsunamis ausklammert. Darüber erfahren wir ja perfekt aufbereitet aus den Jahresberichten der großen internationalen Rückversicherer. Auch wenn man die Zeitreihen der Schäden inflationsbereinigt, zeigen sie meist eine starke Zunahme.

Wir sind empfindlicher gegen Naturkatastrophen geworden und erleiden mehr Schäden, da es mehr zu schädigen gibt. Zwei internationale Studien zeigen dies für die Flusshochwässer in Europa und für die Hurrikan-Schäden an der Atlantikküste der USA. Wir haben es also beim Thema "Klimawandel und Naturkatastrophen" mit einem betrüblichen Auseinanderdriften der öffentlichen Meinung und der Wissenschaft zu tun. Dieses sollte auch von denen, die das als "nützlich für einen guten Zweck" erachten, bedacht werden. Kurzfristig kann man mit den Wetter- und Klimaextremen leicht Aufmerksamkeit erzielen. Das funktioniert zurzeit perfekt. Langfristig ist aber zu befürchten, dass die Wissenschaft schleichend an Glaubwürdigkeit verliert – und das kann sehr "nachhaltig" sein.

Dr. Reinhard Böhm ist in der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in der Abteilung Klimaforschung tätig. Für das uni:view-Dossier "Naturkatastrophen" hat er seinen Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung "Naturkatastrophen und ihre Bewältigung – eine interdisziplinäre Annäherung", die im Sommersemester 2012 an der Universität Wien läuft, zusammengefasst.

Ringvorlesung: Naturkatastrophen und ihre Bewältigung – eine interdisziplinäre Annäherung
Studienprogrammleitung Geographie
LehrveranstaltungsleiterInnen: Christian Vielhaber, Christa Hammerl
Neues Institutsgebäude (NIG), Hörsaal 2, Erdgeschoß
Montag, 18.30 bis 20 Uhr
Weitere Informationen (Artikel in uni:view)