"Man ist um Verhältnismäßigkeit bemüht"
| 23. April 2020Ausnahmeregelungen und Einschränkungen der persönlichen Bewegungsfreiheit: Im Interview spricht die Rechtsphilosophin Elisabeth Holzleithner über die derzeitige Realität, in der Rechtsnormen, die beispiellose Grundrechtseinschränkungen verfügen, unter großem Druck und in hoher Geschwindigkeit erlassen werden.
uni:view: Frau Holzleithner, wie geht es Ihnen in dieser Ausnahmesituation?
Elisabeth Holzleithner: Es ist schon recht herausfordernd. Da ich daran gewöhnt bin, vor mich alleine hinzuarbeiten und das auch mag, ist das kaserniert sein weniger Thema für mich. Die ganze Situation ist jedoch wirklich gespenstisch und ich verspüre persönlich eine große Unsicherheit. Und ich vermisse den Umgang mit meinen Studierenden, meiner Familie und generell mit anderen Menschen. Dennoch bin ich in einer sehr privilegierten Situation, da ich keine sozio-ökonomischen Ängste haben muss.
uni:view: Wie beurteilen Sie das Vorgehen der Bundesregierung?
Holzleithner: Die Bundesregierung ist mit einer absolut außergewöhnlichen Situation konfrontiert und versucht durch Maßnahmen, die Auswirkungen der Krankheit möglichst gering zu halten, sodass es zu keiner Katastrophe in unserem Gesundheitssystem kommt. Vor diesem Hintergrund sind die Maßnahmen nachvollziehbar. Auch im internationalen Vergleich — wenn man sich anschaut, was Wirrköpfe wie Bolsonaro oder Trump produzieren —, haben wir in Österreich ein wissenschaftlich möglichst abgesichertes, bedachtes Vorgehen, wobei versucht wird, die Verhältnismäßigkeit zu wahren.
Vor allem werden in Österreich die rechtsstaatlichen und demokratischen Vorgänge eingehalten. Wohl hat der Gesundheitsminister aufgrund des COVID-19 Gesetzes erhebliche Vollmachten. Dieses wurde mit großer Geschwindigkeit erlassen, juristisch-handwerklich sind wohl einige Fragen zu stellen, und der Verfassungsgerichtshof wird bald einiges zu tun bekommen – aber die demokratischen Abläufe sind eingehalten worden.
uni:view: Kürzlich haben Sie in einem Interview gesagt "Man darf einer Regierung nie trauen, nie". Aber ist nicht gerade in Krisenzeiten Vertrauen in die demokratisch gewählten Vertreter*innen besonders wichtig?
Holzleithner: Das ist als allgemeines Grundprinzip einer liberalen Demokratie zu verstehen. Die Regierung hat eine enorme Machtfülle, zumal in einer Ausnahmesituation wie der jetzigen; diese Macht bedarf der Kontrolle, sonst wird sie missbraucht. Hier sind die Medien, die Zivilgesellschaft und die parlamentarische Opposition gefragt. Durch diese Wachsamkeit entsteht ein Gefüge der Verantwortlichkeit. Ein Vertrauen in die Regierung kann sich dadurch einstellen, dass sie ihrer Tätigkeit transparent und gut begründet nachgeht, sodass ihre Maßnahmen laufend hinterfragt werden können. Aufgrund solcher Kritik bekommen die verantwortlichen Akteur*innen ja auch wichtige Impulse für ihr weiteres Vorgehen.
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uni:view: Werden Ihrer Einschätzung nach die jetzigen Einschränkungen der Freiheit langfristig die Gesellschaft und die Gesetze verändern?
Holzleithner: Wenn auch rechtlich wieder alles zum Normalzustand zurückkehrt — die COVID-19-Gesetze und Verordnungen sind ja befristet — glaube ich, dass viele Menschen einfach froh und glücklich sein werden, dass sie sich endlich wieder frei bewegen können. Freilich wird der Staat alle Hände voll zu tun haben, um Maßnahmen gegen die bereits im Gang befindliche Wirtschaftskrise zu setzen – das wird die wahre Herausforderung nach dem Ende der Maßnahmen sein. Und wir werden aufmerksam beobachten müssen, dass nicht Entwicklungen in Richtung einer weiteren Versicherheitlichung unsere Freiheiten nachhaltig einschränken.
uni:view: Wo sehen Sie bei den gesetzlichen Einschränkungen die Grenzen und wurden sie vielleicht teilweise sogar schon überschritten?
Holzleithner: Die derzeitigen Grundrechtseinschränkungen dienen dem Schutz der Gesundheit; sie müssen notwendig und verhältnismäßig sein. Ob das in jedem Fall so war, da wird es sicher noch einige Debatten geben. Hoch problematisch wären sicher verpflichtende Überwachungsmaßnahmen per Handy-Tracking.
Derzeit betreten wir Neuland, weil wir mit so einer Herausforderung bislang nicht konfrontiert waren. Hier spielen auch Jurist*innen eine wichtige Rolle, weil es um die Frage geht, die Grenzen des rechtlich Zulässigen zu bestimmen. Deshalb findet bei uns am Juridicum in diesem Semester ein interdisziplinäres Seminar zu rechtlichen Fragen der Corona-Krise statt. Wie sich die durchaus unübersichtliche Rechtslage genau darstellt, wie man sie interpretiert, das sind alles hoch komplexe Fragen. Und für uns Rechtsunterworfene gibt es viele Unsicherheiten, wie z.B. die Frage, wie viel wir uns tatsächlich in der Öffentlichkeit bewegen dürfen. Da gab es Vorfälle, wo die Polizei auch alleine sitzende Menschen von Parkbänken "gestempert" hat. So steht das jedenfalls nicht in der Verordnung.
uni:view: Zum Abschluss unseres Gesprächs möchte ich noch kurz zur Lehre kommen: Wie läuft der Home Learning Studienbetrieb für Sie ab?
Holzleithner: Die Studierenden fehlen mir sehr! Wir bleiben virtuell in Kontakt, seit dem Ende der Osterferien streame ich meine Lehrveranstaltungen; für jene, die nicht dabei sein können, nehme ich die Kurse auf. Zudem habe ich regelmäßig Lehrmaterialien via Moodle zur Verfügung gestellt und Reflexionsaufgaben formuliert. In einer aktuellen Vorlesung war eine meiner Fragen, was die derzeitige Situation für legitime Herrschaft bedeutet und wie sich das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit darstellt. Ich habe über 60 wirklich schöne und kluge Rückmeldungen dazu bekommen. Da war ich sehr stolz auf meine Studierenden und habe umso mehr bedauert, dass die Kommunikation momentan nur eingeschränkt möglich ist.
Besonders wichtig zu beachten scheint mir, dass die technischen Voraussetzungen der einzelnen Studierenden wohl sehr unterschiedlich sind. Wir müssen aufpassen, dass wir uns in der Fernlehre nicht nur an den virtuell Starken orientieren, sondern dass wir uns überlegen, was mit jenen ist, die Schwierigkeiten haben und dadurch leicht abgehängt werden können. Nicht wenige Studierende haben Verpflichtungen, zum Beispiel den außerordentlichen Zivildienst, oder sie kümmern um nahestehende Personen. Darauf müssen wir Rücksicht nehmen.
uni:view: Vielen Dank für das virtuelle Gespräch! (td)
Elisabeth Holzleithner ist seit Oktober 2014 Professorin für Rechtsphilosophie und Legal Gender Studies am Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht sowie Vorständin des Instituts. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen u.a. Politische Philosophie mit Schwerpunkt auf Menschenrechten und Theorien der Gerechtigkeit sowie Legal Gender & Queer Studies. (© Barbara Mair)