Kleine Früchte ganz groß

Bohne, Erbse und Co stehen 2016, dem von der UNO ausgerufenen Jahr der Hülsenfrüchte, ganz im Mittelpunkt. Und das absolut zu Recht, sagt Jürgen König vom Department für Ernährungswissenschaften im Interview mit uni:view, liefern sie doch u.a. hochwertiges Eiweiß und qualitativ gute Fette.

uni:view: Hülsenfrüchte sind kleine und vor allem gesunde Energielieferanten. Gerade in Europa sind sie jedoch nicht mehr allzu oft am traditionellen Speiseplan zu finden ...
Jürgen König:
Traditionell wurden bei uns viel Linsen, Erbsen und Bohnen angebaut, die vor dem Zweiten Weltkrieg auch eine große Rolle in der Ernährung gespielt haben. Einer ihrer großen Vorteile ist die gute Haltbarkeit. Man kann sie Monate, oft Jahre lagern, ohne dass sie sich nennenswert in ihrer Zusammensetzung verändern. Und es sind ernährungsphysiologisch sehr wertvolle Lebensmittel. Wirklich schade, dass sie bei uns aus der Mode gekommen sind.

uni:view: Was steckt dahinter?
König:
Es gilt als Arme-Leute-Essen. Früher hatten sie einen sehr hohen Stellenwert in der Ernährung, waren aber gleichzeitig ein relativ einseitiges Essen. Dadurch kommt ein Lebensmittel grundsätzlich in Verruf. Wenn nun "hochwertigere" Lebensmittel wie Fleisch oder Weizen zur Verfügung stehen, fallen Lebensmittel mit vermeintlich sozial niedrigem Status langsam aus der Ernährung weg. Das ist gerade im Fall von Hülsenfrüchten sehr schade.

uni:view: Nun finden sich ehemalige "Exoten" wie Kichererbse und Sojabohne vermehrt auf unseren Tellern …
König:
Das hat zum einen mit dem Trend zur veganen Ernährung zu tun und zum anderen damit, dass wir in einer multikulturellen Gesellschaft leben und EinwandererInnen natürlich auch ihre Lebensmittel, wie z.B. Humus, mitbringen. Was wir übrigens für ganz günstig halten (schmunzelt).

uni:view: Was macht Hülsenfrüchte ernährungstechnisch so wertvoll?
König:
Sie haben einen hohen Eiweißgehalt gepaart mit einer günstigen Aminosäure-Zusammensetzung. Eiweiß benötigen wir, um unseren Körper aufzubauen, gleichzeitig brauchen wir bestimmte Aminosäuren, die wir nicht selbst herstellen können. Diese nennen wir essentielle Aminosäuren.
Das Besondere bei den Hülsenfrüchten ist, dass die limitierende Aminosäure, das schwefelhältige Methionin, weniger vorkommt, während dieses in Getreideprodukten in höheren Mengen vorhanden ist. Umgekehrt besitzen Hülsenfrüchte viel Lysin, und daran sind wiederum Getreideprodukte arm. So ist die Kombination von Hülsenfrüchten mit Getreideprodukten ideal: Der Körper erhält damit Eiweiß in der Qualität eines Voll-Eies.

uni:view: Das heißt Kichererbseneintopf mit Reis ist eine hochwertige und sehr gesunde Mahlzeit?
König:
Ja, genau. Oder Linseneintopf mit Semmelknödeln. Auch die Kombination mit Erdäpfeln hat eine gute Ergänzungswirkung. Von der Wertigkeit sind das ideale Kombinationen. Das ist gerade für eine vegane und vegetarische Ernährung spannend.

uni:view: Von Skeptikern der vegetarischen und besonders veganen Ernährung hört man immer wieder "tierisches Eiweiß ist unbedingt notwendig". Stimmt das?
König:
Nein, das ist falsch. Durch die schlaue Kombination von pflanzlichen Eiweißquellen lässt sich ohne weiteres die Qualität von tierischem Eiweiß erreichen. Wir brauchen in unserer Ernährung kein Fleisch zur Eiweißversorgung. Hülsenfrüchte sind aber nicht nur eine wichtige Proteinquelle, sondern auch eine gute Fettquelle, da sie über hochwertige Fette mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren verfügen.

uni:view: Ist es übertrieben, jeden Tag Hülsenfrüchte zu essen?
König
: Nein. Generell bin ich aber ein großer Verfechter von abwechslungsreicher Ernährung; wer nur Hülsenfrüchte isst, ernährt sich natürlich einseitig. Aber die Wirklichkeit schaut ohnehin anders aus: Im Durchschnitt essen die ÖsterreicherInnen nur etwa einmal im Monat Hülsenfrüchte – ideal wäre aber zwei bis drei Mal pro Woche. So wie es zu Vorkriegszeiten üblich war.

uni:view: Wir haben jetzt viel über die Vorteile von Hülsenfrüchten gehört. Gibt es eigentlich auch Nachteile?
König:
Ja, auch die gibt es. Viele Menschen vertragen sie nicht gut, da sie relativ reich an bestimmten Kohlenhydraten – wie Raffinose, Stachyose oder Trehalose – sind. Da diese im menschlichen Verdauungstrakt nicht aufgespalten werden, können sie bei einigen Menschen zu Blähungen führen. Der Darm kann sich allerdings mit der Zeit an die Kohlenhydrate gewöhnen. Zudem gehören etwa Soja und die etwas exotischen Hülsenfruchte Erdnüsse zu den Lebensmitteln mit vergleichsweise hohem allergenen Potenzial.

uni:view: Apropos Sojabohne. In der öffentlichen Meinung ist sie etwas umstritten. Zu Recht?
König:
Bei der Sojabohne gibt es tatsächlich ein paar Einschränkungen, wo man meiner Meinung nach etwas vorsichtig sein sollte. Andere Hülsenfrüchte auch, aber insbesondere die Sojabohne enthält eine ganze Reihe von Verbindungen, die wir als Phytoöstrogene bezeichnen. Sie docken an den Östrogen-Rezeptor an und können dort eine ähnliche Wirkung auslösen wie das Hormon Östrogen, wenn auch mit deutlich niedrigerer Intensität. Die Hauptaufgabe des Östrogens ist es, das Reifen von befruchtungsfähigen Eizellen zu fördern und den Eisprung auszulösen. Es beeinflusst aber generell die Entwicklung des Organismus im Hinblick auf die Fruchtbarkeit.

uni:view: Heißt das, dass Frauen und Männer unterschiedlich auf Soja reagieren können?
König:
Theoretisch ja. Frauen produzieren natürlich deutlich mehr Östrogen und sind in ihrer Physiologie stärker durch Östrogen beeinflusst als Männer. Aber die Wirkung des pflanzlichen Östrogens ist deutlich geringer als die des menschlichen Östrogens.

Phytoöstrogene sind streng genommen nichts anderes als endokrine Disruptoren. Wenn man sich nun grundsätzlich Sorgen über hormonähnliche Wirkungen macht, dann muss man sich auch über die phytoöstrogene Wirkung von Sojabohnen Gedanken machen. Auch wenn diese relativ unbedeutend sein dürfte, wird genau diese Wirkung in anderen Bereichen – etwa in Zusammenhang mit Bisphenol A oder Glyphosaten – sehr kontrovers diskutiert. Solange diese Fragen nicht abschließend geklärt sind, bin ich kein großer Freund davon, Sojabohnen sehr massiv in unsere Ernährung einzubauen.

uni:view: Hülsenfrüchte sind ja nicht nur für die menschliche Ernährung sehr wichtig…
König:
Richtig. Hülsenfrüchte sind für die Fruchtbarkeit der Böden sehr wichtig. Heute arbeiten wir hauptsächlich mit künstlichen Düngern, aber traditionell gesehen gehören Hülsenfrüchte zur typischen Fruchtfolge, die auch heute noch für eine ökologische Landwirtschaft von Bedeutung ist. Leguminosen gehen eine Symbiose mit Bakterien ein und können dadurch den Stickstoff aus der Luft fixieren.

uni:view: Durch den "Hype" von Soja wird es nun auch vermehrt bei uns angebaut…
König:
Ob man Soja bei uns zu Lasten von traditionellen Hülsenfrüchten wie Linsen anbauen muss, darüber lässt sich streiten.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (td)

Univ.-Prof. Dr. Jürgen König ist der Leiter des Departments für Ernährungswissenschaften an der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien.