Kastalia: "Frauen wollen Karriere machen"

Kastalia-Statue im Arkadenhof der Universität Wien

Die Nymphe Kastalia ist als Statue im Arkadenhof der Universität Wien verewigt und weiß als Zeitzeugin der letzten hundert Jahre so einiges zu berichten. Im Interview mit der Abteilung Gleichstellung und Diversität räumt sie mit einem Mythos auf: Frauen entscheiden sich nicht einfach von alleine gegen Karriere.

Warum sind in Zeiten von "Karrierefrauen" und "Self-made Women" immer noch verhältnismäßig wenig Frauen in Führungspositionen zu finden?
Kastalia: Das liegt am Phänomen der gläsernen Decke. Dieses Bild beschreibt, dass Frauen zwar auf dem Papier alle Karrieremöglichkeiten haben, aber an einem Punkt auf ihrem Weg nach oben auf eine gläserne Decke stoßen: Diese hindert Frauen daran weiter aufzusteigen. Damit verwandt ist die sogenannte Leaky Pipeline. Die beschreibt, dass die Frauenanteile geringer werden, je höher die Positionen sind – wie aus einem tropfenden Rohr verschwinden die Frauen langsam, aber stetig. Das ist übrigens auch in der Wissenschaft allgemein und an der Universität Wien so. 

Und woran liegt das?
Kastalia: Das kommt zum Beispiel durch einen Gender Bias in Personalentscheidungen zustande, oder dadurch, dass Frauen in den eher männlich dominierten Netzwerken an der Spitze eine Außenseiter*innenposition haben. Aber ein großer Brocken ist immer noch die Frage nach Kindern und wie Familien organisiert sind. Es wird nach wie vor selbstverständlich davon ausgegangen, dass sich daheim eher die Frauen um die Kinder kümmern. Frauen müssen sich also zumeist immer noch entscheiden, ob sie Kinder oder Karriere haben wollen. Beides bedeutet in der Regel eine enorme Doppelbelastung und ein Aufgerieben werden zwischen den unterschiedlichen Anforderungen.   

Auch wenn immer mehr Väter in Karenz gehen, tun sie das normalerweise sehr kurz – nur etwa fünf Prozent der Kinderbetreuungstage werden zum Beispiel von Vätern in Anspruch genommen. Und anschließend arbeiten Männer Vollzeit weiter, während Frauen in Teilzeit wechseln und damit auf Karrieremöglichkeiten verzichten.

Es sollte aber doch auch jeder Frau freistehen, mit den Kindern zuhause zu bleiben, und anschließend Teilzeit zu arbeiten, oder?
Kastalia: Natürlich. Es geht hier nicht um einzelne Frauen, die ihre individuellen Entscheidungen treffen, sondern darum, wie die Strukturen beschaffen sind. Und wenn wir hier einen genaueren Blick darauf werfen, sehen wir, dass Frauen oft in einer Entweder-oder-Entscheidung stecken. Das fängt unter anderem vielfach damit an, dass Frauen im Schnitt ja immer noch weniger verdienen als Männer. Das heißt, Familien entscheiden oft aus ökonomischen Gründen, dass besser die Frau mit den Kindern zuhause bleibt und nicht der Mann. Damit wird natürlich die Annahme, dass Frauen ihre Karriere unterbrechen, um sich um ihre Kinder zu kümmern, wieder bestätigt. Sie steigen in der Arbeit nicht auf und ihr Gehalt verbessert sich somit auch nicht. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Aber es kommen auch noch andere, eher kulturelle Umstände dazu, die nicht in Zahlen zu fassen sind. Frauen, die Karriere machen, und Mütter werden oft sehr streng beurteilt und können es kaum richtigmachen – schon gar nicht, wenn sie versuchen, beides zu vereinen. Auch das hat Einfluss auf die Entscheidungen von Frauen und führt gerade auch in der Wissenschaft dazu, dass Frauen ihre ursprünglichen Karrierepläne im Laufe der Zeit ändern. 

Dann wollen Frauen also doch Karriere machen?
Kastalia: Davon bin ich überzeugt. Viele Frauen wollen in ihrem Beruf aufgehen. An der Universität Wien gibt es Maßnahmen, die versuchen, die Strukturen, die Frauen eher zwingen, auf Karriere zu verzichten, aufzuweichen die von den Frauen viel genutzt werden. Dafür gibt es zum Beispiel Karriereförderungsmaßnahmen, die extra für Wissenschafterinnen angeboten werden. Die sind nicht dazu da, um Defizite von Frauen auszugleichen, sondern die für Männer günstigere Ausgangslage: Mentoringprogramme, Trainings für Habilitation, Berufung oder auch die Stärkung von Führungskompetenzen und noch vieles mehr. Außerdem gibt es Möglichkeiten, die sowohl dem wissenschaftlichen als auch dem allgemeinen Universitätspersonal offenstehen wie flexible Arbeitszeiten oder das Handbuch Karenzmanagement, dass dafür sorgen soll, dass eine Karenz möglichst komplikationslos für alle Beteiligten funktioniert. So trägt die Universität Wien hoffentlich einen Teil dazu bei, dass Frauen aus dem Entweder-oder kommen.

Die Nymphe Kastalia ist auf der Flucht vor der sexuellen Belästigung des Gottes Apollo in eine Quelle gestürzt, die danach sprichwörtlich zur Inspirationsquelle für vor allem männliche Dichter wurde. Seit hundert Jahren ist sie als Statue im Arkadenhof der Universität Wien zur Ruhe gekommen. 2009 hat sie sich angesichts der fehlenden Repräsentation von Wissenschafterinnen im Arkadenhof das letzte Mal zu Wort gemeldet, um deutlich zu machen, dass sie genug hat. Nun ist es dem Team der Gleichstellung und Diversität gelungen, sie für eine Interviewreihe zum Thema Mythen der Gleichstellung zu gewinnen. 

Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Abteilung Gleichstellung und Diversität stellen wir vor:
Karriereförderungsprogramme an der Universität Wien
Das Entwickeln und Organisieren verschiedener Maßnahmen im Bereich der wissenschaftlichen Karriereförderung gehört zu den Hauptaufgaben der Abteilung Gleichstellung und Diversität. Das Angebot ist jeweils auf die Zielgruppen Praedoc, Postdoc und angehende Professorinnen zugeschnitten. Angeboten werden Mentoringprogramme, Stipendien, Trainings und Workshops, sowie Vernetzungsveranstaltungen.