Kastalia: "Diskriminierung passiert auch unabsichtlich"

Die Nymphe Kastalia ist als Statue im Arkadenhof der Uni Wien verewigt und weiß als Zeitzeugin einiges zu berichten. Im Interview mit der Abteilung Gleichstellung und Diversität räumt sie mit einem Mythos auf: Auch, wenn es nicht so gemeint ist, können Menschen diskriminierende Dinge sagen und tun.

Wir haben schon darüber gesprochen, dass die meisten Menschen nicht diskriminieren wollen – wieso passiert es trotzdem?
Kastalia:
Zum Teil liegt es daran, wie der Mensch psychologisch funktioniert. Menschen sind grandios darin, Muster zu finden. Sie erkennen sehr schnell, wo sich Dinge entsprechen und es Ähnlichkeiten gibt. Diese Fähigkeit hilft ihnen, Situationen einzuschätzen und Entscheidungen zu treffen. Im Endeffekt heißt das, dass Menschen auf der Basis von ganz wenigen ähnlichen Momenten sehr schnell verallgemeinern können.

Ein banales Beispiel: Wenn man in drei verschiedenen Supermärkten gewesen ist, dann erwartet man auch im vierten Supermarkt, dass das Gemüse gleich nach dem Eingang kommt. Diese Fähigkeit, Muster zu finden und zu verallgemeinern, kann aber auch nach hinten losgehen. So kann es passieren, dass ich zum Beispiel viele Männer sehe, die etwas Technisches studieren und daraus schließe, dass alle Männer gerne etwas Technisches studieren. Ergo: Alle Männer sind technikaffin! Und weil wir Geschlecht gesellschaftlich als sehr gegensätzlich denken, legt das auch den Umkehrschluss nahe, dass Frauen dann eben nicht technikaffin sind. So schnell sind wir bei Stereotypen, die dann auch leicht zu Diskriminierung führen können.

Sie haben gesagt, dass es zum Teil daran liegt. Woran liegt es noch?
Kastalia:
Zu diesem psychologischen Element kommt ein eher soziologisches. Wir leben in einer Gesellschaft voll sozialer Ungleichheit. Das erscheint uns oft so normal, dass uns ihre Ungerechtigkeit gar nicht auffällt. Wir sind also an eine diskriminierende Welt gewöhnt und haben sie bis zu einem gewissen Grad verinnerlicht. Dann sagen oder tun wir Dinge, von denen wir gar nicht merken, dass sie diskriminieren. Das heißt, Diskriminierung passiert auch unabsichtlich – aber nicht nur! Es gibt auch Menschen, die bewusst diskriminieren und die sich diese Diskriminierung mit wissenschaftlich bereits lang widerlegten Begründungen wie "Männer sind von Natur aus die besseren Mathematiker, natürlich haben sie deswegen mehr Erfolg in der Mathematik" schönreden. Dazu kommt noch, dass ein guter Teil der Diskriminierung, die tagtäglich passiert, gar nicht von individuellen Einstellungen oder Handlungen abhängt. Also, selbst wenn jeder einzelne Mensch nicht diskriminiert, ist damit Diskriminierung in unserer Gesellschaft noch nicht abgeschafft.

Können Sie das noch ein bisschen genauer erklären?

Kastalia:
Nehmen wir Rassismus als Beispiel. Es gibt auch eine subtile Form – zum Beispiel, wenn nicht-weiße Menschen in Österreich gefragt werden, woher sie kommen. Und wenn sie antworten, dass sie aus Österreich sind, wird nachgehakt: Nein, woher sie wirklich kommen. Das ist normalerweise nett gemeint, aber damit wird nahegelegt, dass sie als nicht-Weiße keine "richtigen" Österreicher*innen sein können. Das ist individuelle Diskriminierung. Aber es gibt auch die sogenannte strukturelle Diskriminierung. Da geht es darum, dass Regeln, die für alle gelten, so gemacht sind, dass manche Menschen davon benachteiligt werden und andere nicht. Ein Beispiel dafür ist die automatische Gesichtserkennung: Die Programme funktionieren nach demselben Schema, um ein weißes oder schwarzes Gesicht zu erkennen. Aber weil diese Programme überwiegend mit Weißen getestet werden, ist es bei der Erkennung von schwarzen Gesichtern fehleranfälliger. Das führt dazu, dass innovative Techniken für Schwarze oft kaum verwendbar sind.

Für Interessierte und von Rassismus betroffene Menschen gibt es an der Universität Wien die folgenden Ressourcen:
•    Das Referat für antirassistische Arbeit der ÖH bietet Beratung und Unterstützung.
•    Im Diskriminierungsfall ist der Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen  die erste Anlaufstelle für alle Universitätsangehörige.
•    Ressourcensammlung zum Nachlesen, Reflektieren und (Weiter-)Bilden
•    Diversität im universitären Lehren & Lernen: Leitfaden für Lehrende

Die Universität Wien ist bestrebt, ihr Angebot zum Thema zu erweitern.

Aber, wenn ich nicht diskriminieren will und es trotzdem so schnell passieren kann, wie merke ich das dann überhaupt und was kann ich tun?
Kastalia:
Ganz wichtig ist erst mal, dass den Betroffenen zugehört wird – sie wissen am allerbesten, was diskriminierend wirkt und was nicht. Ob etwas gut gemeint war, ist nicht mehr relevant. Unsere Handlungen haben oft nicht-intendierte Konsequenzen und diese sollten dann im Vordergrund stehen – weniger das Beteuern der guten Absicht. Fehler (dürfen) passieren. Und dann sind wir alle in der Pflicht zu lernen. In den meisten Fällen unabsichtlicher Diskriminierung geht es vor allem darum, sich zu entschuldigen und zu lernen, wie man es beim nächsten Mal besser machen kann, um diese nicht-intendierten Konsequenzen in Zukunft zu vermeiden.

Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Abteilung Gleichstellung und Diversität stellen wir vor: Wissenschaftskarriere und Gender Bias
Die Handreichung zeichnet die Wirkungsweisen des Gender Bias in der wissenschaftlichen Laufbahn nach und möchte ermutigen, Aspekte des unconscious bias in Kommissionsarbeit zu reflektieren und zu diskutieren.