Kastalia: "Diversität ist nicht nur Internationalität"

Die Nymphe Kastalia ist als Statue im Arkadenhof der Universität Wien verewigt und weiß als Zeitzeugin der letzten hundert Jahre so einiges zu berichten. Im Interview mit der Abteilung Gleichstellung und Diversität räumt sie mit einem Mythos auf: Diversität ist mehr als Internationalität.

Gleichstellung wird oft in einem Atemzug mit Diversität genannt. Was hat es denn damit auf sich?
Kastalia:
Wir haben ja schon darüber gesprochen, dass es bei Gleichstellung nicht nur um Geschlecht geht, sondern dass es auch andere soziale Zugehörigkeiten bzw. Diversitätsdimensionen gibt, die in der Antidiskriminierungsarbeit zu beachten sind. Vieles machen die Identität, die Erfahrungen und die gesellschaftliche Positionierung einer Person aus. Die nationale Herkunft bestimmt beispielsweise, ob eine Person in unserer Gesellschaft tendenziell besser oder schlechter gestellt ist. Übrigens wird Diversität auch oft im gleichen Atemzug mit Internationalität genannt. Da taucht in meinem Kopf gleich ein Bild von Buntheit und Menschen mit verschiedenen Hautfarben auf. Diese Assoziation ist aber nicht ungefährlich und kann auch rassistisch sein. Hautfarbe ist in einer Migrationsgesellschaft nicht mehr mit (inter-)nationaler Herkunft gleichzusetzen.

Diversität bezeichnet Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Menschen oder Gruppen. Diese lassen sich auf individueller, institutioneller und struktureller Ebene betrachten. Die strategische Beschäftigung mit Diversität an der Universität Wien findet vor dem Hintergrund des Frauenförderungs- und Gleichstellungsplans statt. Diversitätsdimensionen innerhalb einer Organisation werden oft mithilfe des Diversitätsrads veranschaulicht.


Was kann die Universität Wien tun, damit sie in puncto Diversität noch offener wird?
Kastalia:
Die Universität Wien hat vor mehr als 15 Jahren angefangen, sich intensiv mit diesem Thema auseinanderzusetzen und zunächst in einem Online-Portal alle Anlaufstellen versammelt, die Umgang mit Vielfalt und Antidiskriminierung zur Aufgabe haben. 2014 ist der Arbeitsschwerpunkt neu aufgesetzt und der Abteilung Gleichstellung und Diversität zugeordnet worden. Diese organisiert beispielsweise auch eine regelmäßig stattfindende Workshop-Reihe für das allgemeine Universitätspersonal, die Theorie zur Diversität vermittelt und den Umgang mit Diversität in der Praxis stärkt. Außerdem gibt es Schulungen für Schreibmentor*innen und viele Beratungs- und Unterstützungsangebote. Damit möchte die Universität Wien aktiv ein Umfeld schaffen, das unterschiedliche Menschen darin bestärkt, an die Universität zu kommen und auch zu bleiben.

Die Nymphe Kastalia ist auf der Flucht vor der sexuellen Belästigung des Gottes A. in eine Quelle gestürzt, die danach sprichwörtlich zur Inspirationsquelle für vor allem männliche Dichter wurde. Seit hundert Jahren ist sie als Statue im Arkadenhof der Universität Wien zur Ruhe gekommen. 2009 hat sie sich angesichts der fehlenden Repräsentation von Wissenschafterinnen im Arkadenhof das letzte Mal zu Wort gemeldet, um deutlich zu machen, dass sie genug hat. Nun ist es dem Team der Gleichstellung und Diversität gelungen, sie für eine Interviewreihe zum Thema Mythen der Gleichstellung zu gewinnen.


Gehört dazu auch, internationale Wissenschafter*innen und Student*innen an die Universität zu holen?
Kastalia:
Ja, schon. Gerade die Forschung und Lehre ist ja ein sehr internationales Umfeld, das davon lebt und profitiert, dass sich Wissenschafter*innen und Studierende auch über nationalstaatliche Grenzen hinweg austauschen. Wie sehr das inzwischen an der Universität Wien gelebt wird, zeigt auch der jährliche International Report, der aktuell für 2020 erschienen ist. Damit dokumentiert die Universität Wien die Umsetzung ihrer Internationalisierungsstrategie.
Aber manchmal wirkt es so, als würde man die Diversität auf die Internationalität der Universität reduzieren wollen. Doch das reicht nicht: Diversität ist nicht nur Internationalität. Es geht hier um die Frage, wer hier aufgrund privilegierter Diversitätsmerkmale studiert bzw. arbeitet, wer nicht und warum (noch) nicht? Es geht darum, möglichst viel verschiedenes Wissen, das sich aus unterschiedlichen Erfahrungen speist, an die Universität Wien zu holen und Bildung der Gesellschaft zugänglich zu machen.

Aber gerade an einer großen Universität wie der Universität Wien mit fast 100.000 Studierenden und Mitarbeiter*innen muss Diversität doch gegeben sein?
Kastalia:
Ja und nein. Natürlich sind die knapp 100.000 Universitätsangehörigen vielfältig und heterogen zugleich. Die Universität Wien hat daher auch ein "antikategoriales" Diversitätskonzept entwickelt, denn Menschen lassen sich nicht auf einzelne Kategorien reduzieren. Diversität ist vielmehr eine Grundlage menschlicher Beziehungen und betrifft somit alle – nicht nur einzelne gesellschaftlich marginalisierte Gruppen. Dieses Konzept hat übrigens 2018 den Diversitas Preis des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung gewonnen. Wir sehen aber auch, dass vor allem Menschen mit ganz bestimmten sozialen Hintergründen an die Universität kommen – zum Beispiel die Menschen, deren Eltern bereits Akademiker*innen waren. Deswegen sagt man auch, dass Bildung vererbt wird. Das heißt, dass bestimmte Lebenserfahrungen sowie das Wissen und die Perspektiven, die mit diesen Erfahrungen einhergehen, an der Universität noch fehlen oder zumindest unterrepräsentiert sind und viel schwerer Gehör finden. Einen Einblick dazu hat u.a. die Diversity-Studierendenbefragung gebracht.

Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Abteilung Gleichstellung und Diversität stellen wir vor:
Diversity-Studierendenbefragung an der Universität Wien

Als Startschuss für die neue Konzeptionierung des Diversitätsbereichs an der Universität Wien wurde 2014 eine große Studierendenbefragung durchgeführt, an der rund 19.000 reguläre Studierende der Universität Wien teilgenommen haben. Der Fokus der Befragung lag auf den thematischen Schwerpunkten Migrationshintergrund, sozioökonomische Merkmale, Behinderungen sowie Diskriminierungserfahrungen. Die Befragung hatte zum Ziel, ein differenziertes Bild über die Studierenden zu erhalten und gruppenspezifische Bedürfnisse zu erfassen.