Ist das Werbung oder kann das weg?

Bis vor Kurzem hing u.a. an der Votivkirche ein Werbeplakat eines deutschen Smoothie-Herstellers, das für Aufregung sorgte. uni:view sprach mit Werbeforscher Jörg Matthes über diese "provokante" Österreich-Kampagne.

uni:view: Herr Matthes, aus Sicht des Werbeforschers: Funktioniert "provokante" Werbung, zahlt es sich für die Firmen aus?
Jörg Matthes:
Ja, die Wirkungen von provokanter Werbung sind mittlerweile gut erforscht. Provokante Werbung sorgt für Aufmerksamkeit, ein knappes Gut unter den Konsumenten. Wenn provoziert wird, wird hingeschaut und es wird darüber diskutiert, dies sorgt dafür, dass die Werbung sprichwörtlich in aller Munde ist. Man kennt das Produkt in der Folge, es verankert sich im Gedächtnis. Nach einiger Zeit ist jedoch die möglicherweise negative Emotion, die durch die Provokation ausgelöst wurde, wieder weg. Was bleibt, ist die Bekanntheit.

Die Firma selbst bezeichnet die Kampagne als Satire mit dem Ziel, "derartige Themen in den Fokus der Menschen zu rücken" (zur Stellungnahme). Bereits 2016 versuchte die Firma, ihre Produkte durch sexuelle Sprüche medienwirksam zu bewerben. (Foto: True Fruits)

Im Falle von True Fruits heißt das: Fragt man die Menschen nach einer Smoothie-Marke, können sie in Zukunft True Fruits nennen, die Marke bleibt kleben. Emotionen sind aber kurzlebiger. Von daher zahlt sich gut gemachte provokante Werbung aus, zumindest bis zu einer gewissen Grenze.
Wird durch eine Kampagne Ekel bzw. eine extrem starke negative Emotion hervorgerufen, kann das natürlich nach hinten losgehen. Mit diesem Maßstab betrachtet ist die True Fruits Kampagne aber noch relativ harmlos. Hier wird mit gesellschaftlichen Ressentiments gespielt, sie werden den Bürgern vor Augen gehalten. Betrachtet man die Slogans, wird deutlich, wie dumm rassistische und ausländerfeindliche Sprüche eigentlich sind. Die Kampagne setzt der Gesellschaft einen Spiegel vor, sie fühlt der Gesellschaft mit Humor auf den Zahn.

Es gibt noch einen weiteren Grund für diese Kampagne: True Fruits schärft ihr eigenes Markenprofil als außergewöhnlich, schräg und rebellisch. Das ist durchaus so intendiert. So kann man im faden Image der Smoothies aufscheinen.

uni:view: Inwieweit kann Werbung das gesellschaftliche Denken bzw. die politische Stimmung beeinflussen?
Matthes: Die Kampagne wird sicherlich diskutiert, wird aber selbst kaum einen Einfluss auf das politische Denken haben. Man darf den Einfluss der Kampagne auch nicht überschätzen.

uni:view: Was ist überhaupt erlaubt in der Werbung? Gibt es (offizielle) Grenzen?

Matthes:
Ja, hier gibt es schon klare Spielregeln, die durch den österreichischen Werberat festgelegt sind. Werbung muss sich an die Gesetze halten, darf nicht die Würde des Menschen oder die Privatsphäre anderer verletzen, darf nicht diskriminieren und muss dem Grundsatz der Wahrhaftigkeit entsprechen. All diese Grundsätze sind aus meiner Sicht bei der True Fruits Werbung nicht verletzt.

Jörg Matthes, Vorstand des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, ist seit Oktober 2011 Professor für Werbeforschung und Leiter der Abteilung Advertising and Media Effects (AdMe) an der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind Werbeforschung, Politische Kommunikationsforschung, Inhalts-, Rezeptions- und Wirkungsforschung und Methodenforschung. (Foto: Barbara Mair/Universität Wien)

uni:view: Welche Möglichkeiten haben KonsumentInnen, gegen missliebige Werbung vorzugehen?
Matthes: Die Konsumenten können eine Beschwerde beim Werberat einreichen (zur aktuellen Stellungnahme des Werberats), dort wird die Werbung dann geprüft, entweder erfolgt ein Aufruf zum Stopp, zur Sensibilisierung oder es gibt Entwarnung.

uni:view: Wie sollte man reagieren, wenn einem das Sujet nicht passt? Durch Artikel, Teilen etc. verbreitet man ja die Werbung, d.h. der Firma bringt es noch mehr Aufmerksamkeit?

Matthes: Ich denke, etwas Gelassenheit tut sicher gut. Niemand nimmt Schaden an dieser Kampagne. Sie arbeitet mit Humor, und dieser hilft bekanntlich immer, die Dinge etwas gelassener zu sehen.

uni:view: Vielen Dank für das Interview!