"Wir ertrinken in Kakao!"

Eine brenzlige Situation: In dem Disney-Animationsfilm "Ralph reichts" retten sich zwei Figuren knapp aus Treibsand – Nesquik-Kakaopulver-Treibsand. Solche Nahrungsmittelplatzierungen in Kinderfilmen und ihre Auswirkungen untersucht, erstmals in Österreich, Publizistikwissenschafter Jörg Matthes.

uni:view: Der Animationsfilm "Ralph reichts" (engl. Originaltitel "Wreck-It Ralph") strotzt vor Produktplatzierungen – der Nesquik-Treibsand ist nur eine davon. Welche Lebensmittel werden vor allem in Kinderfilmen beworben?
Jörg Matthes: Studien zeigen, dass es sich größtenteils um ungesunde, also stark zucker- und fetthaltige Produkte wie Chips, Gummibärchen, Bonbons, Schokolade und Limonaden handelt. Wie die Produkte in die Filme eingebunden werden, ist dabei entscheidend für ihre Werbewirkung. In Kinderfilmen werden die Produkte auf eine spielerische Art und Weise platziert, und sind oftmals per Skript in die Handlung eingebaut – wie der Nesquik-Treibsand. Isst eine der beliebten Figuren einen bestimmten Snack oder trinkt einen bestimmten Softdrink, hat das einen großen Effekt auf die jungen ZuschauerInnen, weil sie sich mit ihrer Lieblingsfigur identifizieren.

uni:view: Wieso sind gerade Kinderfilme für Firmen als Mittel der Produktplatzierungen so interessant?
Matthes:
Kinder können in der Regel nicht zwischen Programm und Werbung unterscheiden, so dass sie dieser meist "wehrlos" ausgesetzt sind. In Kinderfilmen potenziert sich der Werbeeffekt noch einmal, weil die Kinder gar nicht merken, dass sie mit Werbung konfrontiert sind. Sie schauen einen spannenden Film an, sind also vermutlich in einer positiven Stimmung, und richten auch ihre volle Aufmerksamkeit darauf.

Parallel zu Produktplatzierungen in Filmen sind oftmals auf den Verpackungen der beworbenen Produkte entsprechende Filmbilder abgebildet. So auch beim Beispiel "Wreck-It Ralph" (dt. "Ralph reichts") auf Nesquik-Kakaodosen.

uni:view: In ihrem kürzlich gestarteten ÖNB-Projekt untersuchen Sie und ihr Team vom Institut für Publizistik der Universität Wien nun, ob diese Nahrungsmittelplatzierungen tatsächlich das impulsgetriebene Essverhalten der Kinder beeinflussen können. Wieso ist das Thema so wichtig?
Matthes:
Immer mehr Menschen haben bereits in jungen Jahren Übergewicht. Ernährungsgewohnheiten werden bereits im Kindesalter geprägt: Unser Lieblingssnack aus der Kindheit begleitet uns meist ein Leben lang. Und wenn das ein ungesundes Produkt ist, kann es negative Effekte auf unsere Gesundheit haben.

uni:view: Wie läuft das dreijährige Projekt ab?
Matthes: Im ersten Schritt analysieren wir Nahrungsmittelplatzierungen in internationalen und nationalen Kinderfilmen aus den Jahren 2013 und 2014, die in Österreich erhältlich sind. Das sind ca. 80 Filme. Wenn möglich, möchten wir aber noch zehn Jahre zurückgehen und schauen, ob sich etwas verändert hat. Dabei halten wir fest, welche Produkte auf welche Weise und in welcher Frequenz in den Filmen auftauchen. Im zweiten Schritt führen wir gezielt Studien an österreichischen Schulen durch – um herauszufinden, welche Impulse Nahrungsmittelplatzierungen in Filmen bei den SchülerInnen (8-14 Jahre) auslösen.

"Wir möchten mit unserer Forschung auf die Problematik der omnipräsenten Produktplatzierungen aufmerksam machen und die Souveränität von Kindern gegenüber solchen Werbemaßnahmen stärken. Es geht nicht darum Firmen zu zeigen, wie sie noch geschickter agieren können", erklärt Projektleiter Jörg Matthes. (Foto: Universität Wien)

uni:view: Die komplexe Studie findet in Abstimmung mit Eltern, LehrerInnen und DirektorInnen der Schulen sowie dem Stadt- und Landesschulrat statt. Wie gehen Sie dabei vor?
Matthes:
Wir haben ein experimentelles Design, d.h. die SchülerInnen werden auf zufällige Gruppen aufgeteilt. Die Gruppen bekommen dann Filmausschnitte zu sehen. Jede Gruppe sieht den gleichen Filmausschnitt, mit dem Unterschied, dass in der einen Gruppe Nahrungsmittelplatzierungen vorhanden sind, in der anderen Gruppe nicht. Im Anschluss können sich die SchülerInnen einen Snack aussuchen. Wichtig ist, dass dies eher im Vorbeigehen passiert, also ganz spontane Impulsreaktionen sind. Wir vermuten, dass bei den SchülerInnen, die die Produktplatzierungen gesehen haben, ein Effekt auftritt.

uni:view: Wie schaut es mit langfristigen Effekten aus?
Matthes: Wir gehen davon aus, dass sich der Effekt auch langfristig entfalten würde. Daher wäre eine entsprechende Untersuchung ethisch nicht vertretbar, denn wir möchten die SchülerInnen durch unsere Studien nicht negativ beeinflussen. Nach der Untersuchung machen wir daher ein sogenanntes Counter-treatment, also eine Gegenmaßnahme, und klären die SchülerInnen spielerisch über den Unterschied zwischen Programm und Werbung und die Bedeutung gesunder Ernährung auf, um potenzielle Effekte zu nivellieren. Das ist das Standardvorgehen in solchen experimentellen Studien.

In dem ersten Teil des Films "Spy Kid" von Robert Rodriguez isst Protagonistin Carmen Pommes Frites und einen Burger. Parallel gab es bei McDonalds in jedem Happy Meal ein zum Film passendes Spielzeug. Zudem enthielt jedes Menü einen Code, mit dem die Kinder auf der McDonalds-Website an einem Quiz mit Fragen zum Film teilnehmen konnten. (Screenshot YouTube/afdsafasd)

uni:view: Den Film "Ralph reichts" habe ich mir selbst vor einiger Zeit angeschaut. Werde ich als erwachsene Person nicht von den Produktplatzierungen beeinflusst?
Matthes: Eigentlich sind wir ab einem Alter von zwölf, 13 Jahren grundsätzlich in der Lage, Werbung als solche zu erkennen und uns dagegen "zu wappnen". Neue Studien deuten allerdings darauf hin, dass uns ab diesem Alter Produktplatzierungen in Filmen dennoch beeinflussen können. Denn um etwas kritisch zu reflektieren, benötigen wir kognitive Ressourcen. Wenn wir uns aber einen Film anschauen, sind wir meist so in die Handlung vertieft, dass uns keine kognitiven Ressourcen zur Verfügung stehen – sonst wären wir aus dem Unterhaltungserleben "raus". So fällt es auch Erwachsenen oft schwer zu erkennen, dass das, was ihre Lieblingsfigur gerade isst, Werbung ist.

uni:view: Was möchten Sie mit ihrem Projekt bewirken?
Matthes: Wir erhoffen uns natürlich eine gesellschaftliche Diskussion anzuregen. Viele Eltern gehen ja beispielsweise davon aus, dass bestimmte Computerspiele für ihre Kinder nicht gut seien, und versuchen, das diesbezügliche Konsumverhalten zu regulieren. Bei Kinderfilmen ist diese Sensibilisierung hinsichtlich der Produktplatzierungen (noch) nicht gegeben. Uns geht es in der Studie darum zu schauen, wie die Souveränität von Kindern als RezipientInnen und KonsumentInnen gestärkt werden kann, um sie so vor dem Einfluss von Werbung – insbesondere im Kontext ungesunder Produkte – zu schützen. (mw)

Das Projekt "Nahrungsmittelplatzierungen in Kinderfilmen. Inhalte, Wirkmechanismen und Schutzmaßnahmen", Leitung: Univ.-Prof. Dr. Jörg Matthes, Mitarbeiterinnen: Franziska Marquart, M.A. und Mag. Brigitte Naderer, BA Bakk. (alle vom Institut für Publizistik), läuft von April 2015 bis März 2017. Es wird durch den Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank (OeNB) gefördert.