"Heureka!" (1)
| 25. August 2014An der Universität Wien wird nicht nur geforscht, sondern auch stetig an den Geräten und Methoden selbst getüftelt. Im ersten Teil unserer neuen Serie "Heureka!" erklärt Siegfried Reipert sein gemeinsam mit Helmuth Goldammer an der Fakultät für Lebenswissenschaften entwickeltes "Agitationsmodul".
uni:view: Herr Reipert, was genau haben Sie – gemeinsam mit Helmuth Goldammer – an der Core Facility für Cell Imaging und Ultrastrukturforschung (CIUS) der Universität Wien erfunden?
Siegfried Reipert: Dazu muss ich kurz ausholen: Um biologische Proben mittels Elektronenmikroskopie untersuchen zu können, müssen sie zuerst hochwertig präpariert werden. Das Ziel ist es, die Zellen oder Gewebe im Lebendzustand schnellstmöglich einzufrieren und dadurch quasi einen "Schnappschuss des Lebens" zu erhalten. Um diesen Schnappschuss für die Untersuchung zu fixieren, wird die gefrorene wässrige Phase durch ein organisches Lösungsmittel und Fixativ ersetzt – dieser Austauschprozess (Substitution) passiert bei sogenannten Kryotemperaturen. Das sind Temperaturen von minus 80 bis minus 90 Grad Celsius. Der gesamte Substitutionsprozess läuft heute zwar automatisiert ab, erfordert aber immer noch einen immensen zeitlichen Aufwand, der sich zumeist über mehrere Tage erstreckt …
uni:view: … und diese Wartezeit konnten Sie reduzieren?
Reipert: Genau. Wir haben eine einfache technische Lösung gefunden, die gefrorenen Proben während der Substitution in der Kammer des Gefriersubstitutionsgeräts zu bewegen und auf diese Weise den Austauschprozess zu beschleunigen. Das Patentmuster unseres "Agitationsmoduls" lässt sich in kommerziell erhältliche, automatische Gefriersubstitutionsanlagen (AFS) einsetzen, ohne einen Eingriff in das Gerät selbst vornehmen zu müssen. Zu diesem Zweck überträgt unser Agitationsmodul die Kraft rotierender Magnete berührungslos in das Innere der Kryokammer der AFS. Dort wird sie in eine diskontinuierliche Probenbewegung überführt, die dabei hilft, die Substitutionszeiten drastisch zu verkürzen. Das lange Warten auf Ergebnisse entfällt.
uni:view: Wo kann die neue Erfindung eingesetzt werden?
Reipert: In weiten Bereichen der Zell-und Molekularbiologie sowie Genetik und Medizin. Derzeit begleiten Kryo-Techniken die biologische Forschung nur in geringem Maße, und das, obwohl die potenziellen Vorteile von Kryo-Probenpräparationen schnell eingefrorenen Lebens unumstritten sind. Dieses scheinbar rein technische Problem hat schwerwiegende Konsequenzen. Denn es bringt mit sich, dass unsere Vorstellungswelt von althergebrachten – zugegebenermaßen verbesserungswürdigen – Präparationstechniken dominiert wird. Wenn sich nun die Prozesszeiten verkürzen, wird sich hoffentlich auch der Anteil adäquater Kryo-Probenpräparation in der Forschung deutlich erhöhen.
uni:view: Was bringt das für konkrete Veränderungen im Forschungsalltag mit sich?
Reipert: Die Erfindung dürfte inhaltliche Konsequenzen für die analytische Auswertung von Proben haben. Ich denke, dass sich viele KollegInnen, die beispielsweise an einer ultrastrukturellen Lokalisation von Proteinen, Elementen und Isotopen in Dünnschnitten interessiert sind, über ein deutlich verkürztes Protokoll freuen werden, vor allem auch deswegen, weil es Auswaschungen von biologischem Material reduziert. Bei Schwermetallverunreinigungen zum Beispiel ließe sich eine höhere Effizienz der Analytik mittels elektronenspektroskopischer Methoden und Röntgenmikroanalyse erreichen. Aber die verkürzten Prozesszeiten haben auch einen ganz praktischen Vorteil, nämlich kann der Verbrauch an flüssigem Stickstoff als Kühlmittel verringert werden und Gefriersubstitutionsanlagen der nächsten Generation könnten platzsparender ausfallen.
MEIN HEUREKA-MOMENT:
Seit über einem halben Jahrhundert läuft die Gefriersubstitution biologischer Proben für die Elektronenmikrokopie auf tagelanges Warten hinaus. Umso mehr hat es mich erstaunt, dass sich auch Neuentwicklungen von Substitutionsgeräten mit diesem offenkundigen Mangel abgefunden hatten. Obwohl es offensichtlich schien, dass Bewegung dem Austauschprozess zu Gute kommt, verharrten die Proben nach wie vor unbeweglich in der Kammer der neuen, teuren Geräte.
Gefragt war also eine automatische, flexible und noch dazu sicherheitstechnisch unbedenkliche Lösung, für die man keine Umbauarbeiten am neuen Gerät – und damit etwaige Garantieansprüche – riskieren muss. Nun sehe ich täglich im Labor, wie Rührknochen im Becherglas mittels Magnetkräften angetrieben werden und dachte mir daher, dass sich die Drehmomente ja auch über das Glasfenster einer Substitutionskammer übertragen lassen müssten. Damit war die Idee einer über Magnetkraft angetriebenen Probenbewegung in der Substitutionskammer auch schon geboren – und fand Aufmerksamkeit und einen kreativen, hochmotivierten Partner: Helmuth Goldammer brachte die Idee einer diskontinuierlichen Probenbewegung ins Spiel und hatte dafür eine elegante technische Lösung parat. Dank ihm war der Weg von der Idee zur Umsetzung denkbar kurz.
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uni:view: Wie geht es nun weiter?
Reipert: Nachdem die technischen Voraussetzungen geschaffen sind, muss das Patentmuster seine Nützlichkeit für die verschiedensten Anwendungen unter Beweis stellen. Das aber heißt, die beschleunigte Substitution in die Präparationskonzepte und für Projekte unserer Forschungsgruppe zu integrieren und inhaltlich relevante Ergebnisse zu erzielen. Vor Helmuth Goldammer und mir liegen arbeitsreiche Monate, in denen es gilt, die Möglichkeiten und Grenzen der neuen Technik auszuloten. Beabsichtigt ist, durch Anwendungsbeispiele einen "Will haben"-Effekt unter FachkollegInnen zu erzeugen, der stark genug sein könnte, zu einem kommerziellen Produkt zu führen.
uni:view: Setzen Sie selbst die Erfindung in Ihrer täglichen Arbeit ein?
Reipert: Seit wir das Patentmuster haben, ist die beschleunigte Gefriersubstitution nicht mehr von der täglichen Arbeit an der Core Facility für Cell Imaging und Ultrastrukturforschung der Universität Wien wegzudenken. Diverse Forschungsprojekte – zu Themen von der Endosymbiose kleinster Meeresbewohner bis hin zum Studium von Moosen, Algen, fleischfressenden Pflanzen und Biofilmen – zählen auf die neue Technik. Auch für mich selbst ist die technische Verbesserung der Gefriersubstitution eigentlich ein Mittel zum Zweck: Ich nutze sie für meine Forschung zur strukturellen und funktionalen Aufklärung von sogenannten "tubulohelikalen Membranarrays" – das sind einzelorganellartige Zellstrukturen, die ich entdeckt habe. (red)
Über die Erfinder:
Siegfried Reipert arbeitet als Ass.-Professor an der EM-Facility der Core Facility für Cell Imaging und Ultrastrukturforschung der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien. Sein PhD-Studium schloss er 1996 an der Universität Manchester (UK) ab. Es beinhaltete elektronenmikroskopischen Studien des Zelltodes unter dem Einfluss von Anti-Krebs-Medikamenten und wurde so zum Ausgangspunkt für sein weiteres Berufsleben als Elektronenmikroskopiker. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf der Anwendung von Kryopräparationsmethoden für die Elektronenmikroskopie von Zellen und Geweben.
Helmuth Goldammer arbeitet als Lehrbeauftragter und technischer Berater der Core Facility für Cell Imaging und Ultrastrukturforschung der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien. Sein Schwerpunkt liegt auf Projekten und der Wissensvermittlung im Bereich Mikroskopie, Foto und Film. Er ist ausgebildeter Feinmechaniker und besitzt langjährige Berufserfahrungen im technischen und kaufmännischen Bereich, erworben bei der Firma Leitz-Austria. Er ist Mitbegründer der Firma Optoteam (Generalvertretung von Nikon im Bereich Mikroskopie) und agierte bis zu seinem Ruhestand im Jahre 2006 als deren Prokurist.
Das Dossier "Heureka!" ist eine Kooperation von uni:view Magazin und der Abteilung Technologietransfer des Forschungsservice der Universität Wien.