Gesunde Ernährung: Von Superfoods bis In-vitro-Burger

Im Rahmen der aktuellen Semesterfrage "Gesundheit aus dem Labor – was ist möglich?" sprach uni:view mit der Ernährungsphysiologin Veronika Somoza und dem Ernährungswissenschafter Jürgen König über gesunde Ernährung, Superfoods und das Potenzial von aus Zellkulturen gezüchteten In-vitro-Burgern.

uni:view: Ob Rohkost, Paleo-Diät oder Veganismus: Wenn es um gesunde Ernährung geht, gab es im Laufe der vergangenen Jahre immer wieder neue Trends. Was genau ist denn aus ernährungswissenschaftlicher Sicht eine "gesunde Ernährung"?
Jürgen König: Niemand kann so genau sagen, wie eine Ernährung aussehen muss, mit der jeder einzelne Mensch eine optimale Gesundheit erreicht. Es ist mir aber wichtig, zu bemerken, dass es im Grunde keine gesunden und ungesunden Lebensmittel gibt. Was es aber gibt, sind gesunde und ungesunde Lebens- und Ernährungsweisen. Bei der Ernährung kommt es immer auf die Menge an. Oder anders gesagt: Jedes Lebensmittel kann bei einer gewissen Dosierung negative Effekte auf die Gesundheit haben. Umgekehrt gilt das aber ebenso: Wenn man etwa jeden Tag eine kleine Dosis Schokolade zu sich nimmt, kann sich das unter bestimmten Aspekten durchaus auch positiv auswirken. Das bedeutet, dass man eigentlich jedes Lebensmittel stets im Gesamtkontext der Ernährung betrachten muss.
Veronika Somoza: Wissenschaftlich gesehen ist es zwar schwierig, bei einzelnen Lebensmitteln oder deren Inhaltsstoffen bestimmte positive oder negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit nachzuweisen. Worauf wir uns aber einigen können ist, dass die Vielfalt und Ausgewogenheit bei der Ernährung eine große Rolle spielt. Wenn gravierende Ernährungsfehler gemacht werden – zum Beispiel bei Überernährung oder einseitiger Ernährung über einen langen Zeitraum – sind bestimmte Risikofaktoren erhöht. Ausgeprägtes Übergewicht ist etwa ein anerkannter Risikofaktor für Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall.

uni:view: Kann ich mich als KonsumentIn gesünder ernähren, indem ich beim Einkaufen im Supermarkt gewisse Produkte vermeide?
Somoza: Alles, was man bei uns im Supermarkt kaufen kann, ist prinzipiell als sicher einzustufen, aber die Menge ist ausschlaggebend. In Lebensmitteln finden sich aber auch Kontaminanten, also chemische Stoffe, die weder natürlich in der Rohware vorkommen, noch während des üblichen Herstellungsprozesses in die Lebensmittel gelangen. Es kann sich dabei zum Beispiel um Verunreinigungen handeln, die etwa über den landwirtschaftlichen Anbau oder die Tierhaltung in das Nahrungsmittel gelangen. Diese können zum Teil schon in recht geringen Mengen bedenklich sein, weshalb ihr Vorkommen auch entsprechend überwacht werden muss. Hier ist die Herausforderung, diese Stoffe soweit es geht zu vermeiden oder deren Gehalt so niedrig wie möglich zu halten.
König: Ich habe einige Jahre für die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gearbeitet, die unter anderem für die Bewertung der Sicherheit von Inhalts- und Zusatzstoffen zuständig ist. Deshalb kann ich mit Bestimmtheit sagen, dass die Standards der Lebensmittelsicherheit in Europa sehr hoch sind. Alle Stoffe, die im Rahmen der Lebensmittelproduktion verwendet werden, werden einer sorgfältigen Sicherheitsbewertung unterzogen. Auf diese Weise wird verhindert, dass Stoffe in solchen Mengen in die Lebensmittel kommen, dass sie tatsächlich eine Gesundheitsgefährdung darstellen könnten. Das gilt im Übrigen auch für einen überdurchschnittlich hohen Konsum, der wird von der EFSA bereits berücksichtigt. Insgesamt kann man sagen, dass es wohl noch nie so sichere Lebensmittel gab wie heute.

uni:view: Nicht nur die Sicherheit, auch die Vielfalt in den Supermärkten ist heute weitaus größer als früher. Müsste man daher nicht annehmen, dass sich die Menschen auch automatisch gesünder ernähren?
König: Durch die breite Lebensmittelpalette in den Geschäften hat heutzutage jede bzw. jeder zumindest rein theoretisch die Möglichkeit, sich gesund zu ernähren. Diese Vielfalt hat allerdings auch negative Auswirkungen: Wir importieren außerhalb der Saison Lebensmittel aus fremden Ländern, was hohe Transportkosten, Umweltbelastungen und ungerechte Produktionsbedingungen in den Ursprungsländern hervorruft.
Somoza: Die Nahrungsmittelaufnahme war früher viel stärker mit der biologischen Selektion verknüpft. Dadurch war das Nahrungsangebot deutlich eingeschränkter. Wenn wir uns heute fragen, was gesund ist, ist das eigentlich ein Luxusproblem. Wir sehen aber in der Praxis am zunehmenden Problem der Fettleibigkeit, dass ein vielfältiges Sortiment im Supermarkt alleine nicht ausreicht, um die Gesundheit der Menschen zu verbessern. Hierfür müssen auch andere Faktoren stimmen als nur die Ernährung, beispielsweise der Lebensstil und die Bewegung.


uni:view: Spielen unsere Gene bei der Ernährung eine Rolle?
König: Gene können tatsächlich einen Einfluss darauf haben, wie ein Mensch Nährstoffe verwertet. Ob eine Nahrung sich bei jemandem positiv oder negativ auswirkt, hängt daher zu einem gewissen Teil auch von seinem genetischen Code ab. Untersuchungen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, liefern aber alle dasselbe Ergebnis: Die genetische Variation ist zwar ein Einflussfaktor, seine Bedeutung im Zusammenhang mit der Gesundheit ist im Vergleich zu anderen Faktoren wie dem Lebenswandel und den Ernährungsgewohnheiten insgesamt betrachtet aber eher klein.
Somoza: Man könnte jetzt meinen, dass es in Anbetracht des recht geringen Einflusses der Gene nicht viel Sinn macht, sich darüber Gedanken zu machen. Trotzdem kann der genetische Ansatz vielleicht in Zukunft eine Möglichkeit eröffnen, auf individuelle physiologische Voraussetzungen eines Menschen mit einer spezifisch angepassten Ernährungsstrategie einzugehen. In welchem Ausmaß diese sich dann auf die Gesundheit auswirkt, ob der oder die Betroffene dann beispielsweise fünf Jahre länger lebt, ist im Moment aber noch unklar.

uni:view: Was halten Sie von dem Hype um sogenannte "Superfoods"? Sind Chia-Samen, Goji-Beeren und Co. wirklich die Wundermittel, als die sie angepriesen werden?
König: Die Bezeichnung dieser Lebensmittel als Superfoods ist ein reiner Marketing-Gag. Es sind Lebensmittel, die von sehr weit her kommen und am heimischen Markt traditionell nicht zu finden sind. Die gesamtökologische Bilanz ist daher schon einmal nicht sehr gut. Hinzu kommt die Tatsache, dass diese Nahrungsmittel keine Eigenschaften besitzen, die nicht auch ein anderes herkömmliches Lebensmittel erfüllen könnte. Die Goji-Beere ist etwa mit einer normalen Heidelbeere vergleichbar und was der Chia-Samen kann, das kann auch der Leinsamen, den es mit einer langen Tradition bei uns gibt. Es wäre sinnvoller, diese regionalen und saisonalen Produkte zu bewerben und nicht solche exotischen Nahrungsmittel.
Somoza: Ich finde den Begriff "Superfoods" sehr irritierend, weil er suggeriert, dass man gesünder wird, wenn man diese Lebensmittel konsumiert. Nehmen wir zum Beispiel Kakao: Eine Schokolade mit einem Anteil von 90 Prozent schmeckt eher bitter, kann aber bei geringer Dosierung – zwischen 20 und 30 Gramm pro Tag – einen positiven Effekt auf den Blutdruck ausüben. Insgesamt gesehen bleibt die Wirkung aber eingeschränkt und Schokolade enthält fast gleichviel Zucker wie Kakao. Es gilt hier das Gleiche wie für andere Genussmittel: Man muss einen moderaten Konsum einhalten.

uni:view: Schauen wir 20 Jahre in die Zukunft: Werden wir nur noch hochkonzentrierte Nahrung in Kapselform zu uns nehmen, die uns mit allen wichtigen Nährstoffen versorgt?
König: Solche Produkte sind vereinzelt bereits heute schon erhältlich. Insgesamt betrachtet halte ich diese Methode aber nur als kurzfristige Lösung für brauchbar. Denn bei der Ernährung ist uns nicht nur die bloße Zusammensetzung unserer Lebensmittel wichtig, sondern auch eine ganze Reihe anderer Aspekte wie die Vielfalt, der Genuss oder der kulturelle Umgang mit Lebensmitteln.
Somoza: Rein biochemisch-physiologisch gesehen könnte man seinen Nährstoffbedarf schon mit solchen Produkten decken. In der Praxis macht das aber nur in bestimmten Extremsituationen Sinn. Auch AstronautInnen ernähren sich nicht mehr auf diese Weise, da eben Aspekte wie Genuss, Zubereitung oder Kauen fehlen, was wiederum die Lebensqualität negativ beeinflusst. Es gibt Studien, die davon ausgehen, dass sogar die Textur der Nahrung wichtig ist, weil sie das Sättigungsgefühl beeinflussen kann. Auch wenn der chemische Inhaltsstoff derselbe ist, kann ein Lebensmittel in seiner natürlichen Form stärker sättigen als in Kapselform.


uni:view: Welche zentralen Herausforderungen sehen Sie im Bereich Ernährung in Zukunft auf uns zukommen?
König: Eine der zentralen Herausforderungen aus gesundheitlicher Sicht wird sicherlich das Übergewicht werden bzw. weiterhin sein. Wir müssen eine Lösung für die Frage finden, wie sich das Missverhältnis von Energieaufnahme und -verbrauch besser in den Griff bekommen lässt. Wie sollen wir mit unserem Nahrungsüberfluss umgehen, dass wir möglichst gesund sein können? Dieses Problem werden wir aber nicht alleine von der Ernährungsseite her angehen können. Hier muss es auch ganz stark darum gehen, durch mehr Bewegung eine generell gesündere Lebensweise zu etablieren und zum Beispiel auch die infrastrukturellen Rahmenbedingungen dafür schaffen.
Somoza: Aus meiner Sicht wird eine große Herausforderung sein, dass schon 2050 knapp zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben werden, wie einige Prognosen vorhersagen. Die brennende Frage lautet: Wie können wir all diese Menschen ernähren? Hier sehe ich vor allem bei uns in der industrialisierten Welt eine enorme Verantwortung. Wir leben im Luxus und Überfluss, während es in ärmeren Ländern oft nicht einmal sauberes Trinkwasser gibt. Wohin das führt, wenn es so große Ungleichheiten auf der Welt gibt, sieht man deutlich an der aktuellen Flüchtlingsproblematik. Diese ist zwar im Wesentlichen auf politische und wirtschaftliche Verhältnisse zurückzuführen, sollte sich die Situation hinsichtlich der Nahrungssicherung aber weiterhin so einseitig entwickeln wie bisher, wird sich das Problem noch drastisch verschärfen.

uni:view: Wenn es um die Sicherstellung der Ernährung der anwachsenden Weltbevölkerung geht, wird die Diskussion oft auf das Thema Fleischkonsum gelenkt. Müssen wir in Zukunft alle zu VegetarierInnen bzw. VeganerInnen werden oder sind vielleicht Burger aus Zellkulturen eine brauchbare Alternative?
König: Das Thema Fleisch wird in Zukunft sicherlich eine wichtige Rolle spielen. Die Frage ist: Wie kann man den Anspruch der Weltbevölkerung nach diesem Lebensmittel zufriedenstellen? Unserer Meinung nach ist das nur mit einer drastischen Reduktion des Fleischkonsums zu erzielen. Ich glaube, dass das auf globaler Ebene nicht so leicht funktionieren wird – auch nicht, wenn ein gewisser Prozentsatz zu VegetarierInnen bzw. VeganerInnen wird. Deshalb müssen wir uns Alternativen überlegen. Da ist Fleisch, das aus Zellkulturen so produziert werden kann, dass es für die KonsumentInnen auch akzeptabel ist, schon eine gute Möglichkeit.
Somoza: Was die Herstellung von In-vitro-Fleisch betrifft, steht die Forschung aber noch ganz am Anfang. Die Qualität solcher Produkte ist im Moment noch eher eingeschränkt. Man muss sich aber auch überlegen, was solch eine Produktion bedeutet. Auch eine Muskelzellkultur braucht letztendlich Nährstoffe, die irgendwoher kommen müssen. Wenn wir Milliarden Menschen auf diese Weise versorgen wollen, müssen wir uns sehr gut überlegen, wo wir die Rohstoffe dafür herbekommen und wie wir die Abfallprodukte, die beim Produktionsprozess entstehen, wieder loswerden und entsorgen können.

Jedes Semester stellt die Universität Wien ihren WissenschafterInnen eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. In Interviews und Gastbeiträgen liefern die ForscherInnen vielfältige Blickwinkel und Lösungsvorschläge aus ihrem jeweiligen Fachbereich. Die Semesterfrage im Sommersemester 2017 lautet "Gesundheit aus dem Labor – was ist möglich?". Zur Semesterfrage

uni:view: Danke für das Gespräch! (ms)

Mehr über Veronika Somoza und Jürgen König:

Univ.-Prof. Mag. Dr. Veronika Somoza ist Vizedekanin der Fakultät für Chemie und Vorständin des Instituts für Ernährungsphysiologie und Physiologische Chemie der Universität Wien. Sie ist zudem Leiterin des Christian Doppler Labors für Bioaktive Aromastoffe und war von 2009 bis 2011 als Professorin und Vorständin der Forschungsplattform Molekulare Lebensmittelwissenschaft tätig.
Univ.-Prof. Dr. Jürgen König ist Leiter des Departments für Ernährungswissenschaften der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien und war von 2008 bis 2014 Mitglied des Wissenschaftlichen Gremiums für Lebensmittelzusatzstoffe und Lebensmitteln zugesetzten Nährstoffquellen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit.