Familienleben: Coronavirus-Shutdown erfordert neue Strukturen
| 17. März 2020Das neue Leben im Coronavirus-Shutdown stellt uns vor große Herausforderungen. "Familien sind es nicht gewohnt, so viel Zeit miteinander zu verbringen", so Soziologin Ulrike Zartler-Griessl. Es gehe nun vielfach darum, neue Abläufe zu definieren und mit den Kindern über das Thema zu sprechen.
Die aktuelle Situation sei "einfach so unglaublich außergewöhnlich", dass es keine einigermaßen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse gebe, auf die man sich stützen kann, sagte Ulrike Zartler-Griessl vom Institut für Soziologie der Universität Wien. Auch Untersuchungen über Eltern, die mit Kindern im Gefängnis sind, seien nicht unbedingt vergleichbar. Es gebe also "kein Vorbild, keine Regeln, keine Normen und etablierte Strukturen dafür, wie man sich in so einer Situation verhält", so Zartler-Griessl.
Nicht in Ferienmodus wechseln
Plötzlich wird nun vielfach der Arbeitsplatz aller Familienmitglieder in die eigenen, meistens nicht dafür ausgelegten vier Wände verlegt. Es stellen sich neue mitunter fordernde Fragen zur Gestaltung des Tagesablaufes und des vor allem für kleine Kinder wichtigen Essensrhythmus. Den Eltern komme nun auch oft die neue Aufgabe zu, die Kinder zum Lernen anzuhalten, und nicht in den Ferienmodus zu wechseln. "Das birgt natürlich auch viel Konfliktpotenzial", sagte die Soziologin. Gut sei aber, dass die Schulen auch "ganz klare Aufgaben", teils mit Deadlines stellen.
Corona hat das Familienleben verändert. Aber wie genau? Wie gehen Eltern damit um, dass sie Mama oder Papa, Kindergartenpädagog*innen, Lehrer*innen und Spielgefährt*innen gleichzeitig sein sollen, vielleicht noch zusätzlich zu Home Office? Was bedeutet das alles für die Beziehungen in der Familie? Und wie ist es, wenn die Wohnung zu eng wird und Angst um den Job dazukommt? Haben Sie mindestens ein Kind im Kindergarten- oder Schulalter? Sind Sie bereit, ein telefonisches Interview zu geben oder ein Tagebuch zu führen? Dann schreiben Sie bitte an und unterstützen Sie die Studie von Ulrike Zartler und ihrem Team: cofam.soz(at)univie.ac.at oder rufen Sie uns an (01/4277-49242).
Nicht zuletzt fallen für Kinder, Jugendliche und Eltern viele Sozialbeziehungen nun schlicht weg. Zartler-Griessl: "Kinder pflegen einen Großteil ihrer Sozialbeziehungen außerhalb der Familie in der Schule oder in Sportvereinen. Wie können Eltern Kontakte zu Gleichaltrigen ersetzten? Antwort: Eigentlich gar nicht!"
Bedürfnisse der Kinder ernst nehmen
Dieses Bedürfnis der Kinder sollte man aber ernst nehmen, indem man etwa mehr mit ihnen spielt, was wiederum mit dem viel zitierten Home Office konkurriert. Je jünger die Kinder sind, desto schwieriger ist die produktive Heimarbeit klarerweise umzusetzen. Hier sollte auch mit realistischen Erwartungen an die Sache herangegangen werden.
Abseits all der Diskussionen um Home Office dürfe man nicht auf die Familien vergessen, in denen Eltern arbeiten müssen. Auch das bringe nämlich Unsicherheit. Insgesamt gelte: "Wichtig ist, dass Eltern mit ihren Kindern auch über die Situation reden". Das treffe auch auf kleine Kinder zu, die mit völlig neuen Rhythmen konfrontiert sind, die auch bedrohlich auf sie wirken können, so die Wissenschafterin.
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Beratungsangebote annehmen
Es liege auf der Hand, dass nun mitunter Konflikte und Spannungen aufleben, ausbrechen oder neu entstehen. Eine wichtige Rolle komme hier den Beratungsangeboten der psychosozialen Dienste wie der "Kummer Nummer" (0800 66 99 11), der Telefonseelsorge (142) sowie "Rat auf Draht (147) zu. "Die werden wir wahrscheinlich brauchen", sagte die Soziologin. Positiv zu bewerten seien überdies neue Kommunikationswege wie Videotelefonie und Co, die dabei helfen können, das gesteigerte Informations- und Kommunikationsbedürfnis zu stillen sowie den Kontakt zur erweiterten Familie zu halten. (APA/red)
Ulrike Zartler ist seit September 2017 Assoziierte Professorin für Familiensoziologie am Institut für Soziologie der Uni Wien. Sie forscht u.a. zu den Themen Kindheits- und Jugendsoziologie sowie Soziale Medien im Kindes- und Jugendalter und lehrt im Universitätslehrgang Studium Generale am Postgraduate Center. (© citronenrot)