Eine Frage, die die Welt bewegt

Timothy Taylor und Anton Zeilinger von der Universität Wien antworten in der aktuellen "Edge"-Publikation auf die Frage "What 'should' we be worried about?"

Während Fragen wie "Was war zuerst da – das Huhn oder das Ei?" noch immer auf eine Antwort warten, stellt John Brockman auf edge.org jährlich eine Frage, die die Welt bedeutet – und auf die er teils überraschende und brillante Antworten aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen erhält.
"We worry because we are built to anticipate the future. Nothing can stop us from worrying, but science can teach us how to worry better, and when to stop worrying", so John Brockman – Literaturagent, Avantgardist und Gründer von "Edge" – im Intro seiner vielbeachteten diesjährigen "Edge-Frage": "What 'should' we be worried about?"

Heuer erläutern 155 ForscherInnen, was Menschen gegenwärtig aus wissenschaftlichen Gründen beunruhigen sollte – und welche Ängste hingegen wissenschaftlich unbegründet sind. Mit dabei: Timothy Taylor vom Institut für Ur- und Frühgeschichte und Anton Zeilinger von der Fakultät für Physik der Universität Wien.



Neben der Online-Veröffentlichung der diesjährigen Edge-Frage 2013 "What 'should' we be worried about?" ist kürzlich die Edge-Frage 2012 "This explains everything - What is your favorite deep, elegant, or beautiful explanation?" als englisch- und deutschsprachige Printversion erschienen. Timothy Taylor erläutert darin die Theorie "Warum die alten Griechen rote Menschen auf schwarze Töpfe gemalt haben"; Anton Zeilinger erklärt die Geschichte von "Einsteins Photonen".




Armageddon

Weltuntergangsszenarien, das Jüngste Gericht oder endzeitliche Entscheidungsschlachten sind Teil fast aller religiösen Weltdeutungen. "In der Auseinandersetzung mit dem Beginn der Welt ist eine Auseinandersetzung mit ihrem Ende meist inkludiert – was wiederum Entscheidungen zu Ressourcenverteilungen, Populationskontrolle oder Technologieentwicklungen nachhaltig beeinflusst", so Timothy Taylor, Professor für Urgeschichte des Menschen.

Taylor sieht in seinem Beitrag "Armageddon" die Bedrohung anders gelagert: Ideologien verschiedener Couleurs stellen Individuen in ein Spannungsfeld aus Ängsten und Heilsversprechungen – fernab wissenschaftlicher Erklärungen. Im schlimmsten Fall könnte das in ein neues "Dunkles Zeitalter" führen, wie Taylor am Beispiel der in Nigeria verbreiteten islamistischen Ideologie "Boko Haram" (lose übersetzt: "Bücher sind verboten") der Gruppe "Jama'atu Ahlus-Sunnah Lidda'Awaiti Wal Jihad" erläutert: Ketzerei (etwa der Glaube an die Evolutionstheorie oder daran, dass Regen aus Wasserdampf entsteht) wird mit der Todesstrafe geahndet.

Optimismus und Aufklärung

Für Tim Taylor ist diese Beobachtung mit einer inneren Verpflichtung verbunden: "Wissenschaft hat die Pflicht, einen weiten Blick auf die Welt zu werfen – klar, bestimmt und nicht zuletzt optimistisch." Er möchte einer breiten Öffentlichkeit verständlich machen, "was wichtig ist." In dieser Hinsicht ist die diesjährige Frage für Taylor, der sich bereits seit der Gründung von Edge (1996) an den jährlichen Umfragen beteiligt, zukunftsweisend.

Die Vollständigkeit verlieren

Auch Anton Zeilinger von der Forschungsgruppe für Quantenoptik, Quantennanophysik und Quanteninformation blickt mit (Für-) Sorge in die Zukunft der Wissenschaften. Er sieht eine Tendenz dazu, Brücken zwischen verschiedenen intellektuellen, geistigen und humanistischen Weltbildern zu zerschlagen.

"Wirft man einen Blick ins Europa des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts, zeigt sich Wien als Hotspot in Wissenschaft, Kunst, Literatur, Musik, Psychologie und anderen Disziplinen", so Zeilinger. Große Köpfe bewegten sich wie selbstverständlich zwischen den Disziplinen: Johannes Brahms unterrichtete im Hause Wittgenstein Musik und bewegte sich damit auf dem Parkett des Wiener Kreises, der einen neuen Blick auf fundamentale Fragestellungen eröffnete. Erwin Schrödinger, der Entdecker der Wellenmechanik, hätte fast eine Stelle als Professor für Physik in der heutigen Ukraine angenommen – was er selbst als Chance gesehen hätte, sich mehr der Philosophie zu widmen.

Brücken bauen

Während Spezialisierung und Ausdifferenzierung von Wissen in immer kleinere Einheiten fortschreiten, sind immer weniger Menschen dazu in der Lage, die Zwischenräume zwischen den Disziplinen zu schließen – eine Entwicklung, die laut Zeilinger auch durch den zunehmenden Einfluss des Internets vorangetrieben wird: "Das Internet liefert umfassende Antworten zu spezifischen Fragestellungen – je enger die Frage, desto besser die Antwort. Eine tiefgehende Analyse elementarer Fragen unterscheidet sich wesentlich von der Suche im Internet."

Zeilinger befürchtet, dass durch eine weitere Verengung des (wissenschaftlichen) Blicks "signifikante Aspekte unseres kulturellen Erbes" verloren gehen könnten – "und damit Teile unserer menschlichen Identität". (sb)