Ein kritischer Blick auf die Geschichte
| 05. Oktober 2015Zum 100-jährigen Jubiläum der Republik Österreich 2018 soll das "Haus der Geschichte Österreich" fertiggestellt werden. Es will nationale Geschichte in Frage stellen und kritisch beleuchten, so Zeithistoriker Oliver Rathkolb von der Universität Wien, der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats.
uni:view: 2018 ist noch lange hin – können Sie schon jetzt verraten, was die BesucherInnen im "Haus der Geschichte Österreich" erwarten wird?
Oliver Rathkolb: Wir wollten einen starken Auftakt, und so wird sich im Eingangsbereich des Museums alles um die Frage "Who are the Austrians?" drehen. Es geht um eine kritische Auseinandersetzung mit klassischen Identitätssymbolen und Zugehörigkeitsdebatten. Wir wollen zeigen, dass es nicht den oder die ÖsterreicherIn gibt. Die österreichische Gesellschaft war schon im 19. Jh. eine Migrationsgesellschaft und ist das Produkt verschiedener Entwicklungen. Gleich zu Beginn möchten wir also ein Verständnis für Pluralität schaffen und den Blick öffnen.
uni:view: Und von dort, wie geht die Reise durch die Geschichte weiter?
Oliver Rathkolb: Im ersten Stock beginnt der Rundgang durch die Dauerausstellung, die sich auf rund 1.600m² erstrecken wird. Dort werden drei Längsschnitt-Themen realisiert: Demokratieentwicklung; Kriege, Gewalt und Friedensbewegungen sowie Holocaust und Nationalsozialismus. Wir konzentrieren uns hier auf die verspätete Auseinandersetzung Österreichs, auf Opfer und TäterInnen, inner-, aber auch außerhalb Österreichs.
uni:view: Ziel ist es also, einen kritischen Blick zu vermitteln…
Oliver Rathkolb: Ja, wir wollen Hotspots thematisieren, die im öffentlichen Diskurs gerne "weggewischt" werden. Es wird zum Beispiel die Wirtschaftsgeschichte einmal anders erzählt – etwa wird in den Blick gerückt, dass die Zweite Republik nie dort wäre, wo sie jetzt ist, hätte es nicht die blutige NS-Rüstungsindustrie und die Ausbeutung von ZwangsarbeiterInnen gegeben.
Ein weiterer Punkt wird die soziale Frage mit all ihren österreichischen Paradoxa sein: Heute ist Österreich einer der weltweit reichsten Wohlfahrtsstaaten, aber gleichzeitig werden Frauen in vielen Bereichen für dieselbe Arbeit ungleich bezahlt. Wir schleppen also eine Ungleichheit aus dem 19. Jh. noch immer mit – und das trotz der Tatsache, dass es zwischen 1970 und 1983 eine sozialdemokratische Mehrheit im Sinne einer Alleinregierung gab.
Es wird auch einen kulturhistorischen Schwerpunkt geben, der u.a. die Moderne beleuchtet. Auch hier wollen wir keinen Mythos schaffen: Kokoschka mischte einst das Establishment auf und zog dann mit großer Begeisterung in den Krieg; Arnold Schönberg entwickelte einen kaum nachvollziehbaren Nationalismus und Freud entdeckte seine "Libido" für die Monarchie Österreich-Ungarns. Ebenso wollen wir das Thema Migration vertiefen – vom Drama am Westbahnhof bis zu den burgenländischen Grenzen.
uni:view: Das "Haus der Geschichte Österreich" erzählt also entlang der Vergangenheit auch von der Gegenwart?
Oliver Rathkolb: In gewisser Weise… Man merkt an der jetzigen Krise der Kriegsflüchtlinge, dass die EU – anders als in den engagierten 1960er und 1970er Jahren – den geopolitischen Blick für internationale Entwicklungen verloren hat. Niemand hat sich um Afrika gekümmert und das, obwohl die Konflikte oftmals Erbe kolonialer Strukturen sind. Wir wollen also das Interesse für internationale Krisen wecken und Zusammenhänge herstellen. In diesem Sinne ist schon eine Wechselausstellung mit dem Weltmuseum angedacht, die den Nahen Osten und die österreichische Politik vom 18. /19. Jh. bis in die Gegenwart thematisiert – mit einem besonderen Fokus auf die Kreisky-Ära in den 70er Jahren. Bruno Kreisky hat übrigens schon damals gewarnt: "Wenn ihr euch für diese Krisen nicht interessiert, werdet ihr die Folgen im eigenen Land verspüren". Das ist jetzt passiert.
2018 soll das "Haus der Geschichte Österreich" am Heldenplatz in Wien im Komplex der "Neuen Burg" entstehen. "In der 'Neuen Burg' sollen künftig sieben Kultureinrichtungen unter einem Dach vereint sein", erzählt Oliver Rathkolb, Vorsitzender des internationalen wissenschaftlichen Beirats. Foto: Skizze des Eingangsbereichs der neuen Burg am Heldenplatz. (Foto: bka)
uni:view: In der "Neuen Burg" werden aber nicht nur das "Haus der Geschichte Österreich" und das "Weltmuseum" kooperieren…
Oliver Rathkolb: Die "Neue Burg" wird sieben Kultureinrichtungen unter einem Dach beherbergen, allen voran die Österreichische Nationalbibliothek, die ja auch quasi "Geburtshelferin" für das Haus der Geschichte war. Ein Neubau wäre zu teuer gewesen, aber durch die Eingliederung in ein bestehendes Gebäude konnten die Kosten gesenkt werden. Die Geburt war übrigens schwierig… in Österreich wird oft viel diskutiert, schubladisiert und wieder diskutiert, ehe ein Projekt in Angriff genommen wird.
uni:view: Wird auch der Heldenplatz, selbst ein geschichtsträchtiger Ort, Thema sein?
Oliver Rathkolb: Gemäß dem Motto "Raus aus dem Museum, rauf auf den Platz!" wollen wir den öffentlichen Raum ganz gezielt miteinbeziehen. Das ist aus historischer, aber vor allem aus stadtplanerischer Sicht interessant und verbessert die Lebensqualität in einem urbanen Raum, der zukünftig extrem wachsen wird. Es braucht ein neues, pulsierendes Zentrum in der Stadt und das könnte – neben dem Museumsquartier – der Heldenplatz sein. Und dann hätte das Haus der Geschichte schon mehr erreicht, als ein Museum eigentlich leisten kann. (hm)
Das "Haus der Geschichte Österreich" (HGÖ) wird voraussichtlich 2018 am Heldenplatz entstehen. Das Museum ist eine wissenschaftliche Einrichtung des Bundes und vermittelt die Geschichte Österreichs ab Mitte des 19. Jahrhunderts mit einem besonderen Schwerpunkt auf der Zeit von 1918 bis in die Gegenwart in ihrem europäischen und internationalen Kontext. Es richtet sich an ein möglichst breites Publikum und versteht sich als aktives und offenes Diskussionsforum für historische Fragestellungen und Themen der Gegenwart. Univ.-Prof. Mag. DDr. Oliver Rathkolb vom Institut für Zeitgeschichte ist Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats.