Die Mondmuschel: Leben in Symbiose

Mondmuscheln leben in Symbiose mit Schwefelbakterien. Auch ForscherInnen gehen mitunter jahrelange intensive Beziehungen mit ihren Forschungstieren ein. Im Zeichen der Semesterfrage stellen WissenschafterInnen der Uni Wien ihre aktuellen Partner vor. Mikrobiologin Jillian Petersen über eine besondere Muschel.

Mensch und Tier im Kurzportrait

Name: Jillian Petersen (© SOI/Mary Lide Parker)
Art/Gattung: Homo sapiens
Ernährung: Dosenbier und alles vom Grill, Hauptsache keine Meeresfrüchte ;-)
Lebensraum: UZAI und Spielplätze im Wiener 18. Bezirk
Vorkommen: Centre for Microbiology and Environmental Systems Science


Name: Mondmuschel 
Art/Gattung: ca. 400 – 500 Arten (mindestens) bilden die Familie Lucinidae
Lebensraum: Überall im Meer wo das giftige H2S-Gas gebildet wird – Tief im Sand in Küstengewässern (wir beproben z.B. Strände und Buchten im Mittelmeer). Einige Arten findet man sogar in der Tiefsee.
Vorkommen: Weltweit, größte Vielfalt und Anzahl in marinen tropischen Gewässern

Was ist das faszinierende an Mondmuscheln?

Alle Mondmuscheln brauchen zum Überleben eine bestimmte Bakterienart, von der sie sich ernähren. Die Bakterien nehmen Energie aus teilweise giftigen Substanzen wie Schwefelwasserstoff (der Gestank von faulen Eiern), und nutzen die Energie um Zucker und andere wichtige Nährstoffe herzustellen. Durch diese spezielle Ernährungsart, in Zusammenarbeit mit 'symbiotischen', also vorteilhaften Bakterien, können die Muscheln Lebensräume besiedeln, die für die meisten Lebewesen feindlich oder giftig wären. Ein faszinierendes Beispiel dafür, wie wichtig die Zusammenarbeit in der Natur ist. Das wurde in der Evolutionsforschung lange unterschätzt. Selbst der Mensch ist auf die Hilfe von nützlichen Darmbakterien für ein gesundes Leben angewiesen.

Welche Rolle spielen Mondmuscheln innerhalb ihres Ökosystems?

Mondmuscheln spielen eine zentrale Rolle in marinen Ökosystemen auf der ganzen Welt. Sie stellen eine wichtige Nahrungsquelle für andere Tiere dar, von Zugvögeln in Afrika bis Hummer in der Karibik. Sie unterstützen auch das Wachstum von Seegräsern, die wiederum eine Vielzahl an wichtigen Ökosystemdiensten liefern, z.B. als Kohlenstoffspeicher oder geschützter Lebensraum für junge Fische. Wir haben entdeckt, dass die nützlichen Bakterien von Mondmuscheln in der Lage sind, Stickstoffnahrung aus der Luft zu gewinnen – das könnte auch eine wichtige Rolle spielen, weil es dort, wo sie gedeihen, typischerweise wenig Stickstoffnahrung gibt. Sie können also ihre eigene Umwelt mit Stickstoff düngen. 


Die Muscheln können ohne die Bakterien, die ihre Kiemen besiedeln, sprichwörtlich nicht mehr leben. (Im Bild rot: Bakterien; blau: Muschelzellkerne, © Sarah Zauner) 

Sind Mondmuscheln gefährdet?

Wir wissen im Moment noch wenig über die Anzahl und Verteilung der Mondmuscheln in der Natur. Die Daten reichen nicht aus, um abschätzen zu können, ob und wie der menschliche Einfluss sie gefährdet.
Für den Fall, dass Mondmuscheln aussterben würden: Was für Auswirkungen hätte das?
Da sie eine Schlüsselrolle in marinen Ernährungsnetzen spielen, würde ich sagen, dass das fiktive Aussterben aller Mondmuscheln wohl globale Auswirkungen hätte. Sie halten ganze Netzwerke an biologischen Interaktionen zwischen Tier- und Pflanzenarten zusammen. 

Eine spannende Zahl zur Mondmuschel

Ist die Zahl eins. Das ist die Anzahl der Bakterienarten, mit denen die Mondmuschel in enger Symbiose lebt. Im Unterschied dazu leben bis zu tausend Bakterienarten im menschlichen Darm. Diese natürliche, aber 'einfache' Symbiose, wo nur zwei Parteien zusammenleben, stellt eine einmalige Chance für die Erforschung an vorteilhaften Beziehungen zwischen unterschiedlichen Arten da. Mit diesen Tieren als 'Modell' hoffen wir grundlegende Fragen beantworten zu können, beispielsweise: Wie erkennt ein Tier die 'richtigen' Bakterien? Immerhin gibt es wohl eine Milliarde unterschiedlicher Bakterienarten!


Mondmuscheln leben in natürlicher Umgebung am Boden von Seegraswiesen. (© Jillian Petersen)

Die Superkräfte von Mondmuscheln

Die Symbiose zwischen Mondmuscheln und Bakterien ist schon ewig alt – sie entstand schon vor der Zeit der Dinosaurier, also vor mehr als 400 Millionen Jahren. Mondmuscheln leben schon so lange von ihren vorteilhaften Bakterien, dass sich ihr ganzer Körperbau und die Funktion einzelner Organe über die Evolution komplett verändert haben. Zum Beispiel: ihre Kiemen, die 'Lunge' der Muschel, entwickelten sich um die Bakterien zu beherbergen und ihnen perfekte Bedingungen für ihren ungewöhnlichen Stoffwechsel zu bieten. Geatmet wird deswegen vermutlich nicht mehr mit dieser 'Lunge', sondern über die Haut. Mit ihrem 'Fuß', ein Organ das andere Muscheln nutzen, um im Sand zu buddeln, können sie vermutlich die Energiequellen der Bakterien 'riechen'. 

Jedes Semester stellt die Universität Wien eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. Die Semesterfrage im Wintersemester 2019/20 lautet: Wie schützen wir die Artenvielfalt? Zur Semesterfrage

Mondmuscheln und ich: Wie haben wir uns kennengelernt?

Über Tinder. Nein, Scherz. Wir wurden aber von einer gemeinsamen Freundin verkuppelt. Meine Doktormutter hat mir nahegelegt, dass die Mondmuscheln genau das Richtige sind für die Forschungsfragen, die mich am meisten interessiert haben. Seitdem verbringe ich viel mehr Zeit im Neoprenanzug am Strand am Mittelmeer!

Das ERC-Projekt "400 Million Years of Symbiosis: Host-Microbe Interactions in Marine Lucinid Clams from Past to Present" unter der Leitung von Ass.-Prof. Dr. Jillian Petersen startete 2018 am Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung des neuen Zentrums für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien.