Der Vorstudienlehrgang feiert Geburtstag
| 16. Mai 2017Deutsch, Fachinhalte und ein "Crashkurs" in Unialltag: Seit 1962 bereitet der Vorstudienlehrgang der Wiener Universitäten (VWU) ausländische Studierende auf ihr Studium vor. uni:view spricht mit Leiterin Margarete Kernegger über Anfänge, Herausforderungen und Wünsche zum 55. Geburtstag des VWU.
Jedes Jahr beginnen rund 900 Studierende das Semester – aber nicht an ihrer Alma Mater, sondern am Vorstudienlehrgang (VWU) in Rudolfsheim-Fünfhaus. Reifeprüfung, Motivation und Zulassung zum Studium bringen sie mit, was in den meisten Fällen noch fehlt, sind ausreichende Deutschkenntnisse oder Ergänzungsprüfungen.
Anlaufstelle Vorstudienlehrgang
Der VWU ist Anlaufstelle für Studierende aus über 80 Ländern. In der Regel sind es Menschen aus Least Developed Countries, Personen mit Fluchthintergrund und asylwerbende Menschen, die auf eigene Kosten Kurse besuchen. "Wenn das ausländische Reifezeugnis nicht dem österreichischen Maturazeugnis entspricht, müssen Studierende vor Beginn des ordentlichen Studiums bestimmte Inhalte – von Deutsch über Mathematik bis Geographie – nachholen. Rund 50 engagierte Lehrkräfte bereiten die Studierenden auf ihr Studium vor", erzählt Margarete Kernegger, Direktorin des Universitätslehrgangs.
Rund 900 Studierende besuchen jedes Semester den VWU, um sich auf ihr Studium an einer der sechs wissenschaftlichen Wiener Universitäten vorzubereiten. Gut zwei Drittel von ihnen streben einen Abschluss an der Universität Wien an. (Foto: VWU)
Wie alles begann …
Die engagierte Deutschlehrerin blickt auf 37 Dienstjahre zurück, den Klassenraum hat sie bereits 1994 gegen das Direktionszimmer eingetauscht. Die Anfänge des VWU hat sie zwar nicht miterlebt, kennt die Geschichte der Einrichtung aber gut: "Es begann vor 55 Jahren mit 50 syrischen Regierungsstipendiaten, die für ein Studium nach Wien kamen. Die ÖH und Universitätenkonferenz wollten sich den nicht-deutschsprachigen Studierenden annehmen und riefen den Österreichischen Austauschdienst OeAD ins Leben, daraus entstand auch der VWU." Der VWU wird heute noch immer vom OeAD in Kooperation mit den sechs wissenschaftlichen Wiener Universitäten durchgeführt.
Renate Faistauer, Fachbereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache der Universität Wien: "Dem VWU, seiner umsichtigen Direktion, seinem engagierten Kollegium und den vielen tollen Studierenden, die mit Freude und Fleiß die deutsche Sprache lernen, sei zum 55. Geburtstag für die wichtige Arbeit im Bereich der Internationalisierung der österreichischen Universitäten gedankt und gratuliert. Alles Gute und weiter so in den kommenden Jahren!" (Foto: Barbara Mair)
VWU in Zeiten von Flucht und Migration
"Rund 55 Jahre später betreuen wir im VWU erneut viele syrische Studierende – heute allerdings keine StipendiatInnen, sondern geflüchtete Menschen", so Kernegger. Im Zuge der großen Migrationsdynamik 2015 hat die Universitätenkonferenz die Flüchtlingsinitiative MORE umgesetzt, mit positiven Folgen: Geflüchtete Studierende wurden im hochschulpolitischen Diskurs und in der breiten Öffentlichkeit Thema und Universitäten richteten Stipendien für geflüchtete StudienbewerberInnen ein.
"Es ist schon viel passiert, doch noch immer haben wir mit asylwerbenden, studienberechtigten Menschen zu tun, die zwar ihre Grundversorgung bekommen, sich aber den VWU nicht leisten können. In diesen Fällen springen oftmals NGOs ein – das kann aber keine nachhaltige Lösung sein, die Politik ist gefordert", gibt Kernegger zu bedenken.
Universitäre Luft schnuppern
"Am VWU versuchen wir, den Studierenden nicht nur fachliche Inhalte mitzugeben, sondern sie auch auf Realitäten an den Universitäten vorzubereiten", erzählt Kernegger. So sind in den Kursen am VWU neben Deutsch und Ergänzungsprüfungen auch Unterschiede in Lernkulturen und Unialltag Thema. Doch wo lässt sich Universität besser erleben als an der Universität selbst? Studierendengruppen vom VWU schnuppern daher regelmäßig universitäre Luft: bei Informationsveranstaltungen des Student Points, geführten Touren durch die Universitätsbibliothek oder als "MithörerInnen" in Vorlesungen.
VWU als "Praxisfeld" für angehende Lehrkräfte
Für Studierende aus dem Fachbereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (DaF/DaZ) der Universität Wien ist der VWU "Praxisfeld" und es herrscht eine rege Zusammenarbeit: Studierende hospitieren bei Lehrkräften am VWU, im Rahmen des "Transkuturellen Praktikums" setzen DaF/DaZ-Studierende und VWU-StudentInnen gemeinschaftlich Projekte um und jüngst wurden in einer DaF/DaZ-Lehrveranstaltung Unterrichtsmaterialien entwickelt, die Studierende des VWU gezielt auf Studienalltag und Fachsprache in Vorlesungen und Seminaren vorbereiten sollen.
Circa 60 Studierende aus dem Fachbereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache der Universität Wien setzten sich mit dem Thema Studierstrategien auseinander, um Unterrichtsmaterialien für den Einsatz am VWU zu entwickeln. Lehrveranstaltungsleiter Michal Dvorecký blickt auf die Kooperation zurück: "Ohne engagierte Lehrende und Studierende wäre die Zusammenarbeit unmöglich gewesen. Der VWU ist eine Institution, ohne die ich mir meine wissenschaftlichen Aktivitäten kaum vorstellen kann. Zum 55. Geburtstag wünsche ich alles Gute, viele engagierte MitarbeiterInnen und Studierende. Und vielleicht ergibt sich in Zukunft wieder eine Möglichkeit, ein solches im österreichischen Kontext einzigartiges Projekt zu entwickeln."
Ein Geburtstagswunsch für den VWU
Margarete Kernegger freut sich über die fruchtbare Kooperation mit der Universität Wien. Ideen, um die Zusammenarbeit noch besser zu gestalten, gehen ihr aber auch nach 37 Dienstjahren nicht aus. "Wenn wir unsere Studierenden 'entlassen', finden sie an den Universitäten nur minimale Strukturen, die sie unterstützen", bedauert die Leiterin des VWU. Zum 55. Geburtstag der Institution würde sie sich daher wünschen, dass an den Hochschulen begleitende Sprachkurse angeboten und Programme für VWU-Studierende ausgebaut werden. "Es lohnt sich. Viele Menschen kommen aus eigener Kraft nach Österreich, um hier zu studieren. Wir haben die Möglichkeit, ihnen etwas zu vermitteln und gleichzeitig von ihnen zu lernen", ist Margarete Kernegger überzeugt. (hm)