Das erste Bild eines Schwarzen Lochs

100 Jahre nach ihrer Veröffentlichung gibt es einen weiteren Beweis für Einsteins Relativitätstheorie: Erstmals ist internationalen ForscherInnen die Aufnahme eines Schwarzen Lochs gelungen – "und damit der direkte Nachweis für seine Existenz", erklärt Astrophysiker Bodo Ziegler von der Uni Wien.

uni:view: Aktuell ist es internationalen ForscherInnen rund um die Informatikerin Katie Bouman vom Massachusetts Institute of Technology gelungen, eine Aufnahme eines Schwarzen Lochs zu machen. Wie haben sie das geschafft?
Bodo Ziegler:
Die Aufnahme gelang nur durch Zusammenschaltung (Kopplung) von mehreren hochleistungsfähigen Radioteleskopen auf verschiedenen Kontinenten, also eine wahrlich globale Errungenschaft. Um den winzigen "Fleck" des Schwarzen Lochs am Himmel räumlich auflösen zu können (um also mehr als nur einen einzigen Punkt sehen zu können), bräuchte man ein Teleskop, das so groß wie die gesamte Erde ist – je größer nämlich der Teleskopdurchmesser, desto kleinere Strukturen kann man erkennen. Natürlich ist es unmöglich, solch ein Teleskop zu bauen, aber die Radioastronomie hat den Vorteil, dass man mehrere Teleskope, die an verschiedenen Orten der Erde stehen, zusammenschalten kann (mit optischen Teleskopen funktioniert das übrigens nicht). Diese Technik nennt man Interferometrie.

uni:view: Das Event Horizon Telescope (EHT), mit dem das Bild des Schwarzen Lochs gemacht wurde, ist also kein einzelnes Teleskop?

Ziegler:
Genau. Es nutzt mehrere Observatorien simultan. Ein ganz wesentlicher Beitrag kommt von ALMA, einem erst jüngst gebauten Radiointerferometer in der chilenischen Atacamawüste, an dem durch unsere Mitgliedschaft bei ESO (European Southern Observatory) auch Österreich beteiligt ist.

uni:view: Was hat die Informatik damit zu tun?
Ziegler: Nur mit Hochleistungsrechnern (wie unserem Supercomputer VSC) kann man alle nötigen physikalischen Prozesse auf allen relevanten Größenskalen "durchrechnen". Dafür sind spezielle numerische Rechenmethoden und Computercodes nötig.

uni:view: Was genau ist auf dem "Foto" des Schwarzen Lochs zu sehen, das gerade durch alle Medien geht?

Ziegler:
Ein Schwarzes Loch ist per definitionem eine mathematische Singularität, die durch Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie beschrieben werden kann. Astronomen finden nun Objekte, die mit diesem Konzept erklärbar sind, und die durch extrem hohe Massen (-verdichtungen) zustande kommen. Die Gravitation (Anziehungskraft) dieser extrem großen Masse auf extrem kleinem Raum verhindert auch das Aussenden von Licht (Licht kann physikalisch durch Partikel beschrieben werden).

Wenn sich das Schwarze Loch vor einem hellen Hintergrund befindet, macht es sich also als dunkler Fleck (eben "Schwarzes Loch") bemerkbar, in den Medienberichten zur aktuell veröffentlichten Aufnahme als "Schatten" bezeichnet (die schwarze Scheibe in der Bildmitte). Ein Teil des verschluckten Lichts wird aber durch die Raumkrümmung um das Loch so verzerrt (gebeugt) und gespiegelt, dass es als heller Ring um das Zentrum erscheint.

uni:view: Warum ist diese Aufnahme so spektakulär?

Ziegler:
Weil es das erste Mal ist, dass man ein Schwarzes Loch direkt mit Teleskopen sehen kann (wenn auch im Radiobereich und nicht im optischen Wellenlängenbereich). Alle bisherigen Darstellungen basieren nur auf Modellen und sind sozusagen "künstlerische Zeichnungen", sprich Animationen. Erst jetzt wurde also der direkte Nachweis für die reale Existenz eines Schwarzen Lochs erbracht.
Dieser Nachweis ist eine weitere Bestätigung der Allgemeinen Relativitätstheorie, 100 Jahre nach ihrer Formulierung.

uni:view: Wo befindet sich das Schwarze Loch?
Ziegler:
Es handelt sich um ein Schwarzes Loch im Zentrum einer riesigen Galaxie (die im Messier-Katalog die Nummer 87 hat, deswegen M87 genannt) im Galaxienhaufen Virgo, 55 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Es ist ein sogenanntes "Supermassives Schwarzes Loch", weil es so viel Masse hat wie 6,5 Milliarden Sonnen. Der Schatten selbst ist dabei 40 Milliarden km groß (eine extrem kleine Größe für astronomische Verhältnisse). Zur Erklärung: Ein "Supermassives Schwarzes Loch" ist ein anderes Objekt als ein "Stellares Schwarzes Loch", das durch den Kollaps eines sehr massereichen, großen Sterns erzeugt wird.

uni:view: Was bedeutet dieses Ergebnis für die Forschung zu Schwarzen Löchern bzw. die Astrophysik allgemein?
Ziegler:
Diese Beobachtung zeigt, dass es sich um ein reales Objekt handelt und nicht nur durch die Theorie hervorgesagt wird. Also eine Bestätigung der Vorhersage durch die Allgemeine Relativitätstheorie. Das Wesentliche dabei ist, dass es sich nicht um ein Einzelphänomen handelt: Die moderne Astrophysik geht davon aus, dass alle Galaxien solch ein Supermassives Schwarzes Loch in ihrem Zentrum haben. Diese Objekte haben eine sehr große Auswirkung auf die gesamte Lebensdauer (Entwicklung) einer Galaxie von ihrer Bildung nach dem Urknall bis heute. Auch in der Mitte unserer Milchstraßengalaxie soll es solch ein Supermassives Schwarzes Loch geben. Dieses wird als nächstes vom EHT ins Visier genommen.

uni:view: Wie werden Schwarze Löcher an der Uni Wien erforscht?
Ziegler: Am Institut für Astrophysik der Uni Wien werden Supermassive Schwarze Löcher als solche nicht erforscht (als Einzelobjekte mit all ihren detaillierten, kleinskaligen Phänomenen). Aber deren Existenz und Einfluss auf die gesamte Galaxie ist Bestandteil vieler meiner Forschungsprojekte. Insofern ist der direkte Nachweis, wie er jetzt gelang, natürlich auch für uns eine Bestätigung und ein Ansporn, sich weiter mit diesen faszinierenden Objekten zu beschäftigen.

uni:view: Danke für das Interview!

Univ.-Prof. Dr. Bodo Ziegler ist Professor für Galaxienentstehung im frühen Universum an der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie der Uni Wien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Galaxienentstehung und Galaxienentwicklung (Beobachtung und Theorie), Galaxiengruppen und Galaxienhaufen, Schwarze Löcher und Sternentstehung in Galaxien.