Buchtipp des Monats von Stephan Grigat
| 27. Juli 2017Agitation gegen die EU, ein reaktionäres Geschlechter- und Familienbild und die aggressiv-nationalistische Positionierung eint u.a. die beiden Parteien FPÖ und AfD, sagt Politikwissenschafter Stephan Grigat, der diese Parteien in seiner neuen Publikation einander gegenüberstellt.
uni:view: In Ihrer jüngsten Publikation "AfD & FPÖ" vergleichen Sie die Parteien "Alternative für Deutschland" und die "Freiheitliche Partei Österreichs". Inwieweit finden sich Parallelen bzw. was macht diese Parteien gut vergleichbar?
Stephan Grigat: Hinsichtlich der Begeisterung für die unmittelbare Herrschaft eines vermeintlichen "Volkswillens", den diese Parteien merkwürdigerweise stets meinen bereits zu kennen, und den damit verbundenen Ressentiments gegen Repräsentation und gesellschaftliche Vermittlung liegen die Gemeinsamkeiten auf der Hand. Gleiches gilt für die Agitation gegen die EU, das reaktionäre Geschlechter- und Familienbild, die aggressiv-nationalistische Positionierung in der Asyl- und Flüchtlingsdebatte und die außenpolitische Nähe zu Wladimir Putins Russland.
Für die AfD als ausgesprochen junge Partei ist es von zentraler Bedeutung, mit der FPÖ einen Verbündeten parat zu haben, der auf jahrzehntelange Erfahrung im politischen Geschäft sowie im Umgang mit den Medien zurückblicken kann. Die Bundessprecherin der AfD, Frauke Petry, hat denn auch erklärt, ihre Partei "wäre mit dem Klammerbeutel gepudert, nicht von den Erfahrungen der FPÖ zu profitieren".
uni:view: Im Buch wird auch der vergangenheitspolitische Umgang beider Parteien mit dem Nationalsozialismus betrachtet. Wie sieht dieser aus?
Grigat: Die FPÖ hat sich zumindest hinsichtlich der Außendarstellung eine Modernisierung und Mäßigung allzu offener Bewunderung von Versatzstücken der Ideologie des Nationalsozialismus verordnet. Gleichzeitig spielen aber die weit rechts außen stehenden, deutsch-völkischen Burschenschafter in der Partei weiterhin eine entscheidende Rolle, was diesen Kurs immer wieder konterkariert. In der AfD ist diesbezüglich noch unklar, welcher Flügel sich in der Partei durchsetzen wird. Leute wie der thüringische Vorsitzende Björn Höcke vertreten Positionen, die letztlich NPD-kompatibel sind. Aber auch die von Jörg Meuthen geführte baden-württembergische Landtagsfraktion hat gefordert, dass Zuschüsse für Fahrten zu "Gedenkstätten nationalsozialistischen Unrechts" zukünftig umgewidmet werden für Fahrten zu "bedeutsamen Stätten der deutschen Geschichte". Und Meuthen, neben Petry der zweite Bundesvorsitzende der AfD, wird stets als moderates Gesicht der Partei präsentiert.
uni:view: Wie stehen die beiden Parteien zur Einwanderung von Muslimen und Musliminnen?
Grigat: Beide Parteien stehen der Einwanderung aus islamisch dominierten Ländern ablehnend gegenüber. Doch ihr Verhältnis zum Islam ist bei weitem nicht so eindeutig, wie häufig suggeriert wird. Oft kombinieren diese Parteien Ressentiments gegenüber in Europa lebenden Muslimen und Musliminnen mit einer gewissen Ehrbekundung für den Islam oder den "islamischen Raum", der gerade von den theoretischen Vordenkern der Neuen Rechten stets auch als potentieller Bündnispartner im Kampf gegen den westlichen Liberalismus ins Spiel gebracht wird. Dementsprechend sollte man bei der Kritik an diesen Parteien auch nicht auf einen Kampfbegriff wie "Islamophobie" zurückgreifen, der letztlich jegliche Kritik sowohl am Islamismus als auch am orthodox-konservativen Mainstream-Islam fatalerweise unter Rassismusverdacht stellt – und es so Parteien wie der AfD und der FPÖ erst ermöglicht, sich als mutige Tabubrecher zu inszenieren.
uni:view: Wie sehen Sie persönlich die Zukunft dieser beiden rechtspopulistischen Parteien?
Grigat: In dem Band wird unter anderem thematisiert, inwiefern die Charakterisierung dieser Parteien als "rechtspopulistisch" hinsichtlich einiger Aspekte durchaus angemessen ist, hinsichtlich anderer allerdings auf eine Verharmlosung hinausläuft. Die FPÖ wird wohl weiterhin eine entscheidende Rolle im politischen Systems Österreichs spielen – nicht zuletzt, weil die meisten anderen Parteien sich eine Kooperation mit ihr durchaus vorstellen können. Mit der AfD steht ihr in Deutschland erstmals eine Schwesterpartei zur Verfügung, die zwar rechts von den Unionsparteien agiert, aber anders als etwa die NPD auch auf Bundesebene breitere Wählerschichten anspricht und nicht permanent von einem Verbot bedroht ist.
Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung:
1 x "AfD & FPÖ. Antisemitismus, völkischer Nationalismus und Geschlechterbilder" von Stephan Grigat (Hrsg.)
1 x "Djihad und Judenhaß. Über den neuen antisemitischen Krieg" von Matthias Küntzel
uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen?
Grigat: "Djihad und Judenhass. Über den neuen antijüdischen Krieg" des Hamburger Politikwissenschafters Matthias Küntzel, erschienen im Freiburger ça ira-Verlag, der auch hinsichtlich seiner sonstigen Publikationen sehr zu empfehlen ist.
uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Grigat: Matthias Küntzel beschreibt die Frühgeschichte des Islamismus anhand der ägyptischen Muslimbrüderschaft und skizziert den Siegeszug eines extrem aggressiven Antisemitismus in der palästinensischen Gesellschaft – insbesondere anhand der Person des Mufti von Jerusalem, der als Führer der damaligen arabischen Nationalbewegung in Palästina eng mit den Nazis kooperierte und später in Berlin residiert hat. Er thematisiert die Bedeutung des Antisemitismus in den diversen Spielarten des aktuellen Islamismus, zeichnet aber stets ein differenziertes Bild der arabischen und islamisch geprägten Gesellschaften. Und das alles in einer wohltuend deutlichen und verständlichen Sprache.
uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Grigat: Das Buch ist kurz nach den Anschlägen von 9/11 erschienen, aber leider weiterhin hochaktuell. Würden solche Bücher stärker rezipiert werden, ließe sich vielleicht auch im deutschsprachigen Raum endlich eine vernünftigere Diskussion über den Nahen Osten führen. Die müsste zu allererst reflektieren, welche eminente Bedeutung der Antisemitismus für die Entstehung und Entwicklung des Nahostkonfliktes hatte und hat. (td)
Stephan Grigat ist Lehrbeauftragter an den Instituten für Politikwissenschaft, Philosophie und Judaistik der Universität Wien. 2016/17 war er Gastprofessor am Moses Mendelssohn Zentrum der Universität Postdam, 2017/18 ist er Research & Teaching Fellow an der Hebrew University of Jerusalem.