Buchtipp des Monats von Sonja Schreiner
| 16. November 2015Tierliebe eint die AutorInnen von "Partner, Freunde und Gefährten". Sie beschäftigen sich mit der Frage, was Generationen vor uns bewogen hat, Beziehungen zu Tieren aufzubauen. Co-Herausgeberin Sonja Schreiner spricht im Interview über die Idee zum Buch – und verrät ihr aktuelles Lieblingsbuch.
uni:view: In "Partner, Freunde und Gefährten" befassen Sie sich gemeinsam mit Gabriela Kompatscher und Franz Römer mit Mensch-Tier-Beziehungen der Antike, des Mittelalters und der Neuzeit. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Schreiner: Zunächst natürlich unsere Tierliebe. Im Buch geht es aber weniger um unsere Zugänge, sondern darum, was Menschen bewogen hat, Beziehungen zu Tieren aufzubauen. Wir haben versucht, über Zeiten und Gattungsgrenzen hinweg Entwicklungslinien, Konstanten und Veränderungen sichtbar zu machen: Der älteste Text stammt aus der "Odyssee", der jüngste ist wenige Jahre alt; neben Dichtung steht Prosa, neben Fabeln Fachtexte.
Es begann so: Mit zwei Kollegen hat Gabriela Kompatscher Texte über "Tiere als Freunde im Mittelalter" herausgegeben; Franz Römer und ich haben eine Kinderuni-Vorlesung zu Tieren in der Antike gehalten; sie hat uns gefragt, ob wir ein Buchprojekt starten wollen: Da ich an der Veterinärmedizinischen Universität Wien Latein unterrichte, wobei "tierische" Texte zentral sind, und ich meinen ersten "pensionierten" Vet.med.-Beagle (auf dem Cover!) "adoptiert" hatte, habe ich nicht gezögert. (Knapp vor Abschluss des Buches ist er gestorben, was die Widmung im Buch erklärt und Gabrielas Trauergedicht-Kapiteln einen Subtext gibt, auf den wir gerne verzichtet hätten.) Franz Römer hat schon davor Texte über Delfine für die Schulbuchreihe "Orbis Latinus" aufbereitet: Plinius' Brief 9,33 und Abschnitte aus der "Naturkunde" seines Onkels, der bei der Rettung eingeschlossener Menschen beim Vesuvausbruch 79 n. Chr. verstorben ist.
uni:view: Welche Zielgruppe möchten Sie mit dem Sammelband erreichen?
Schreiner: Ansprechen wollen wir LeserInnen vom Tierarzt bis zum "Literatur-Afficionado", weswegen auch Texte in modernen Sprachen aufgenommen sind. Den lateinischen ist eine Übersetzung beigegeben, damit unterschiedliche Zugangsniveaus möglich sind: Das Buch eignet sich für Tierfreunde und den schulischen Gebrauch, wofür es einen online abrufbaren Fragenkatalog (PDF) gibt.
uni:view: Haben Sie auch neuere Erkenntnisse eingebaut?
Schreiner: Franz Römers Delfin-Kapitel ist ein regelrechtes "Modul" und zudem artenübergreifend, da die "fabelhafte" Freundschaft zwischen einem Löwen und einem Menschen geschildert und die Entwicklung des Delfins als Symbol beleuchtet wird. Für die an Zoologie oder Verhaltensforschung Interessierten sind weiterführende Artikel genannt, die Erstaunliches aus dem tierischen Verhaltensrepertoire wissenschaftlich untermauern. Dazu kommt die Tierethik, ein wichtiges Forschungsfeld am an der VUW beheimateten Messerli Forschungsinstitut, einer Kooperation mit der MUW und der Universität Wien. Wir hoffen, dass der "Spagat" zumindest einigermaßen gelungen ist; sicher ist, dass vieles, was von der Antike bis heute geschrieben wurde, Bestätigung durch Verhaltensforschung findet, wie z.B. Klugheit von Rabenvögeln oder Kooperationsfähigkeit von Ziegen.
uni:view: Gibt es wesentliche Unterschiede in den Mensch-Tier-Beziehungen zwischen Antike, Mittelalter und Neuzeit?
Schreiner: Schon früh war Erstaunliches bekannt: z.B. dass sich als infertil geltende Maultiere in seltenen Fällen doch fortpflanzen, oder dass besonders dominante Hündinnen das Hinterbein heben. Freilich gab es Irrmeinungen, etwa die Behauptung, dass Delfine mit Stacheln besetzte Flossen haben, Kamele und Pferde sich partout nicht leiden können oder Gorillas auch nur Menschen sind.
Tierliebe gab es immer, auch zu Zeiten, in denen sie mehr hinter vorgehaltener Hand praktiziert als offen gelebt wurde, desgleichen Ablehnung oder Gleichgültigkeit und Differenzierung (Haus- versus Nutztiere).
Der vielleicht größte wissenschaftliche Unterschied ist die Ausrichtung der Veterinärmedizin: Während Kleintiermedizin heute hochspezialisiert ist, kannte man lange nur Großtiermedizin. Das hatte mit der Wertigkeit und dem finanziellen Wert von Nutztieren, Kavalleriepferden etc. zu tun. Erst in der Neuzeit – und da erst relativ spät – setzte ein Wandel ein; heute wird für beide Seiten erfolgreich komparativmedizinisch in Human- und Veterinärmedizin gearbeitet, z.B. in der Onkologie.
uni:view: Haben sich die heutigen Mensch-Tier-Beziehung im Vergleich zu jenen, die im Buch beschrieben werden, sehr verändert?
Schreiner: Diese gute und schwierige Frage liegt im Auge des Betrachters. Liebevolle Heimtierhaltung ist kein modernes Phänomen – sie ist (fast) so alt wie die Menschheit; gleichzeitig gibt es viele, die "übertriebene" Fürsorge für ein Haustier nicht verstehen können oder wollen. Zudem werden Tiere in Kategorien eingeteilt: in solche, die wir essen, und in solche, die wir lieben. Diese Kategorien variieren, und Tiere können sie wechseln: Wenn eine Laborratte "ausgedient" hat und einen Pflegeplatz bekommt, wird sie vom Labor- zum Heimtier – mit einem Namen und Zuwendung.
Auch die Mensch-Tier-Grenze spielt eine Rolle, die zuweilen durchlässig ist, wie in der Mythologie, in der sich Menschen in Tiere verwandeln, in unserer westlichen Gesellschaft aber so gut wie unhinterfragt geblieben ist. Die Naturwissenschaften sind weiter: Biologisch gesehen ist der Mensch ein Säugetier; desgleichen sehen manche ForscherInnen die Mensch-Tier-Grenze als menschliches Konstrukt, wie man an der vieldiskutierten Frage sieht, welchen Lebewesen "Menschenrechte" zugestanden werden sollten. Das Bewusstsein für unsere Mitgeschöpfe ist in jedem Fall geschärft und sensibilisiert worden. Wie in so vielen Bereichen gibt es aber noch sehr, sehr viel zu tun.
Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek steht zumindest ein Buch interessierten LeserInnen zur Verfügung.
1x "Partner, Freunde und Gefährten", herausgegeben von Gabriela Kompatscher Gufler, Franz Römer und Sonja Schreiner,
1x "Der Philosoph und der Wolf. Was ein wildes Tier uns lehrt" von Mark Rowlands.
uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen?
Schreiner: Ein außergewöhnliches Buch eines außergewöhnlichen Autors: "Der Philosoph und der Wolf. Was ein wildes Tier uns lehrt" von Mark Rowlands. Der unkonventionelle Philosophieprofessor hat elf Jahre mit einem Wolf gelebt, wozu gehörte, dass er ihn in seine Vorlesungen mitnahm – was ihm die diszipliniertesten StudentInnen seiner Karriere bescherte. Am wichtigsten aber war ihm, dass er von Brenin lernte, wie der Lebensentwurf "Wolf/Hund" im Unterschied zu dem von "Affe/Mensch" funktioniert und welch unschätzbaren Gewinn man daraus für das Wohlergehen und die Psychohygiene der verschiedenen Spezies ziehen kann. Rowlands kombiniert einen Streifzug durch die Philosophiegeschichte mit der "Liebesgeschichte" zwischen seinem "Lebenstier" und ihm selbst – abwechslungsreich, spannend und im positivsten Sinn des Wortes intellektuell.
uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Schreiner: Berührend und nachdenklich machend, lustig und traurig, tröstend und hochemotional, unglaublich klug und absolut ehrlich, authentisch und nachvollziehbar für jeden, der mit einem Tier lebt oder gelebt hat – realistisch und ungeschminkt wie das Leben selbst: mit allen Höhen und Tiefen, Anekdoten und unvergesslichen Augenblicken. Der österreichische Tierrechtsaktivist Martin Balluch hat vor wenigen Monaten mit "Der Hund und sein Philosoph" Ähnliches versucht: Wenn ich noch ein Buch nennen darf, ist es das!
uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Schreiner: Versuche wenigstens, die Welt durch die Augen deines Gegenübers zu sehen; ob es sich um einen Menschen, einen Orang-Utan, eine Schildkröte, ein Schwein oder einen Hund handelt, ist nicht zwingend die allererste Frage.